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Geschlossene Kreisläufe und offene Netzwerke

03.06.2022

Auf dem Biobetrieb der Familie Neitzert im Westerwald läuft vieles ein wenig anders als auf anderen (Bio)Betrieben. Das ist vor allem dem Ideenreichtum von Betriebsleiter Philipp Neitzert zu verdanken, der stets auf der Suche nach Nischen und Alleinstellungsmerkmalen ist, mit denen er seinen Biohof charakteristisch - eben anders - gestalten kann.

2016 hat der damals 20-Jährige den Hof von seinem Vater übernommen und direkt auf „Bio“ umgestellt. „Dass ich so früh Betriebsleiter geworden bin, war so nicht geplant. Mein Vater ist schwer erkrankt, konnte nicht mehr auf dem Hof arbeiten und so bin ich quasi ins kalte Wasser gesprungen“, berichtet Philipp Neitzert von seinem Schnellstart als Landwirt. Den Hof in Rodenbach bei Puderbach, Ortsteil Neitzert, gibt es schon seit sieben Generationen. Bemerkenswert ist, dass keiner der Betriebsleiter in der langen Familientradition Landwirt war, sondern der Betrieb stets im Nebenerwerb geführt wurde. „Alle haben einen „vernünftigen“ Beruf gelernt, auch ich!“, lacht der bald 27-jährige Hofnachfolger, der eigentlich Zerspanungsmechaniker ist und als solcher bis 2021 auch gearbeitet hat. Vater Markus Neitzert war der erste und bislang einzige in der Familie, der den Betrieb ab 1990 im Vollerwerb als klassischen Gemischtbetrieb mit Milchvieh, Fleischrindern, Ackerbau und einer sehr komfortablen Flächenausstattung von mehr als 300 ha bewirtschaftet hat. 2006 ist die letzte Kuh gemolken worden, danach lag der Schwerpunkt auf dem Ackerbau und der Haltung einer Limousin-Herde.


Keine Abhängigkeiten mehr

Mit der Umstellung auf Biolandbau hatte Philipp Neitzert anfangs in erster Linie ein Ziel im Visier: „Ich wollte unabhängiger werden. Unabhängig von großen Genossenschaften, von Futtermittellieferanten, von konventionellen Vermarktungsstrukturen. Und ich wollte und möchte nach wie vor die alleinige Kontrolle über das haben, was ich an meine Tiere verfütter, womit ich die Böden dünge und welche Qualität die Produkte haben, die ich mit unserem Namen verkaufe. Diese Unabhängigkeit sehe ich im Biolandbau mehr als in der konventionellen Landwirtschaft“, klärt der Jungbauer über seine Motive auf. Darüber hinaus ist es ihm enorm wichtig, über die Produktion von eigenem Futter für die Tiere und die Düngung der Flächen mit deren Mist eine ausgeglichene Hoftorbilanz vorzuweisen und Nährstoffkreisläufe zu schließen. „Unser Betrieb ist EU-Bio-zertifiziert. Doch sollte ich mich einmal einem der gängigen deutschen Bio-Verbände anschließen, wird es wohl Demeter werden, da der ganzheitliche Kreislaufgedanke dort am ehesten greift.“

So hat Philipp Neitzert den Hof seit der Umstellung 2016 wenn nicht auf den Kopf gestellt, so doch umgekrempelt: In die Limousinherde wurden nach und nach Hereford-Rinder eingekreuzt, sodass die Herde beinahe reinrassig ist. 70 Mutterkühe plus Nachzucht stehen auf dem Hof, 30 Bullen werden auf der Weide gemästet. Dazu hält der 27-Jährige 600 Legehennen in zwei Hühnermobilen, 50 Masthähnchen, ebenfalls im Mobil, und betreibt Bruderhahnaufzucht. Vor einem Jahr sind noch Mastschweine dazugekommen, eine Gruppe mit Duroc-Schweinen, eine zweite mit Bunten Bentheimer Landschweinen.

Einen Teil der Pachtflächen hat Neitzert abgegeben und bewirtschaftet nun noch 220 ha, davon 140 ha als Acker. „In den ersten fünf Jahren nach der Umstellung hatte ich die Ackerfläche komplett eingesät. Aktuell bauen wir Winterweizen, Dinkel, Hafer als Marktgetreide und Kartoffeln an. Darüber hinaus Ackerbohnen und Körnermais, um eigenes Eiweißfutter zu erzeugen. Und wir haben Ölsaaten auf den Flächen stehen: Raps, Hanf und Öllein“, zählt er auf. Sowohl beim Hanf als auch beim Öllein habe der Zufall seine Hand im Spiel gehabt. „Den Hanf hatten wir schon im fünften Anbaujahr, ich habe ihn ursprünglich für ein Unternehmen in Berlin wegen des Cannabidiol (CBD)-Gehaltes angebaut. Die Firma ging Pleite, der Hanf stand da - also haben wir ihn gedroschen. Vergangenes Jahr sind wir auf die biozertifizierte Ölmühle von Achim Bertgen in Koblenz gestoßen, an die wir den Hanf liefern konnten. Bertges hat uns auch dazu ermuntert, Raps anzubauen, was im Biolandbau ja nicht gang und gäbe ist“, erklärt Philipp Neitzert. Und die 7 ha Öllein haben ihre Aussaat einem Mangel an Sommergerstensaatgut zu verdanken. Auch hier war es Ölmüller Achim Bertgen, der den jungen Biolandwirt zum Anbau von Öllein ermuntert hat. Mit Erfolg!


Viele Vermarktungsmöglichkeiten

Für die Vermarktung seiner vielen Erzeugnisse in Bioqualität hat Philipp Neitzert zahlreiche Wege erschlossen. Allen gemein ist der Kontakt zwischen Landwirt und Kunden über die wörtlich zu nehmende Direkt-Vermarktung. „Wir beliefern insgesamt zehn Marktschwärmereien entlang der Rheinschiene von Koblenz bis Düsseldorf unter anderem mit Kartoffeln, Eiern, selbstgemachtem Eierlikör und Öl. Unser Marktgetreide geht direkt an die Mühlen oder an Bäckereien, wie die Bäckerei „Gassen“ in Koblenz, die unter anderem unseren Hanf zu Hanfbrot verbackt. Eine Manufaktur in Worms macht Nudeln aus unseren Eiern. Die Metzgerei Muscheid in Straßenhaus verkauft Eier, Nudeln und Kartoffeln, Eier von unseren Biohühnern gibt es außerdem in einem Koblenzer Unverpackt-Laden. Und in dem just eröffneten Café Minimensch werden sie in leckeren Kuchen verwendet. Seit 2021 haben wir außerdem einen eigenen Bio-Hofladen zentral in Puderbach, in dem wir alles anbieten, was wir auf dem Biohof erzeugen“, zählt Philipp Neitzert nur einige der Marktpartner auf, an die er die Erzeugnisse seines Biohofs vermarktet.

Das Rindfleisch geht frisch ans Steakhouse in Altwied und wird ansonsten als Tiefkühlware vermarktet. Aus dem Schweinefleisch werden Wurst, Grillfleisch, Kotelettes und andere „Schweinereien“ hergestellt, die Bruderhähne zu Frikassee, Hühnersuppe und diversen Wurstwaren verarbeitet. Dazu fährt Philipp Neitzert die Schlachtrinder persönlich zu einem biozertifizierten Schlachthof im knapp 35 km entfernten Morsbach, Schweine und Hähnchen werden etwa 60 km nach Dillenburg gebracht. Darüber hinaus arbeitet Philipp Neitzert eng mit dem Biohof Kapplermühle in Bad Berleburg zusammen, die ebenfalls eine Schlachterei haben und Tiere aus Rodenbach abnehmen und vermarkten.

Umgekehrt gehen im Puderbacher Hofladen auch die Produkte anderer landwirtschaftlicher Betriebe und handwerklicher Verarbeiter über die Ladentheke. „Wir haben im Laden kein einziges Produkt, das weiter als 40 km transportiert worden ist. Hier zählt für mich die Regionalität ebenso viel wie die Bioqualität“, betont der junge Landwirt.


Intensives Netzwerken

Um eine Vermarktung jenseits der herkömmlichen Strukturen und unter 100 % eigener Kontrolle aufzubauen, wird es Philipp Neitzert nimmer müde, Kontakte zu knüpfen. „Auf der Eröffnung unseres Hofladens vor gut einem Jahr haben der Landrat und der Bürgermeister Grußworte gesprochen und die Regionalvermarktung gelobt. Allein: Die Wege, die dahinterstecken, versanden oft wegen fehlender Infrastruktur. Da ist nichts mehr - keine Bäcker, keine Metzger, kaum kleine handwerkliche Verarbeitungsbetriebe. Doch genau die machen unsere Produkte ja authentisch und wertig. Daher versuche ich, soviele Kontakte zu umliegenden Verarbeitern und Verbrauchern zu knüpfen, wie eben möglich“, betont Philipp Neitzert sein Engagement, die berühmten Wertschöpfungsketten auch in den Kreisen des Westerwaldes wieder zu verzahnen.

So ist er beim Regionalmarketing „Wir Westerwälder“ gelistet, ist Mitglied in der erst vor wenigen Wochen geründeten Genossenschaft „Wäller Markt“, die Produkte von vor der Haustür bis zur Haustür liefert, macht sich bei der „Kräuterwind GmbH“ stark, in der der Landkreis Neuwied Erzeuger und Gastronomen zusammenbringt und hält Kontakte zu der gemeinnützigen GmbH „live2give“, deren Gemüse im Hofladen verkauft wird. Auch beim Schließen der Wertschöpfungsketten greift in meinen Augen die Denk- und Wirtschaftsweise eines ganzheitlichen Betriebes.“

Mit Brief und Siegel (Bio)Landwirt

Philipp Neitzert beginnt übrigens noch in diesem Herbst einen zwei Jahre dauernden berufsbegleitenden Aufbaukurs für Landwirte. Auch wenn er die Prüfung vermutlich schon heute bestehen würde, möchte er sich fundiert und klassisch zum Landwirt ausbilden lassen und damit nochmals neue Maßstäbe auf dem Biohof Neitzert setzen. 


Meike Siebel,

Landwirtschaftskammer NRW

Weitere Informationen


 

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