Als sich Ende der 1980er-Jahre, kurz nach und wohl auch in Folge der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl, in Lübeck eine Erzeuger-Verbraucher-Genossenschaft gründete, um biologisch produzierte Lebensmittel zu vermarkten, wussten die Landwirtinnen und Landwirte sowie deren Kunden noch nicht, dass sich der „Verkauf aus dem Kofferraum" gut drei Jahrzehnte später zu einer erfolgreichen Biosupermärkte-Landschaft in der Hansestadt entwickelt haben würde. Das Motto „Landwege - Bio aus nächster Nähe“ galt damals wie heute.
Bei den rund 30 Biohöfen der ersten Jahre, die im Schnitt 30 km rund um Lübeck liegen, ist es geblieben; allerdings zählt die Genossenschaft heute gut 1 700 Mitglieder und bietet in fünf Biosupermärkten in Lübeck und Umgebung das volle Biosortiment an, von Grundprodukten über Convenience-Produkte bis zum Mittagstisch. Weitere Betriebszweige sind eine Produktionsküche, die die Produkte von einigen der Höfe verarbeitet, sowie eine Vollkorn-Bäckerei, das „Freibackhaus“.
1992 wurde im sogenannten Werkhof das erste kleine Ladenlokal eröffnet: Bis zu dieser Zeit war es nur den Mitgliedern möglich, bei der Genossenschaft einzukaufen. Dieser Markt wurde dann jedoch auch für andere Verbraucher geöffnet. „2001 war der Landwege-Markt am Brink der allererste Biosupermarkt in der Stadt. Damals hatten sich die Mitglieder noch gefragt, wie die vielen Regale nur mit eigenen Produkten zu befüllen wären“, berichtet Sandra Bocks, zuständig fürs Marketing bei der Landwege eG, über deren Entwicklung. Heute gehört dieser Markt zu den eher kleineren Ladenflächen.
In den aktuell fünf Supermärkten wird das volle Sortiment an Bioprodukten angeboten. Das kann natürlich nicht von nur 30 Biohöfen aus dem Lübecker Umland erzeugt werden, denn die können nicht die Mengen vorhalten, die abgefragt werden. „Wir legen aber den Fokus ganz klar auf die Vermarktung der Hofprodukte und generell auf geschlossene regionale Biowertschöpfungsketten“, betont Sandra Bocks. Mehr als 30 % des Umsatzes würden aus dem regionalen Sortiment generiert. Dabei würden auch zahlreiche kleinere Anbieter einbezogen. „Wir haben kein Warenlager und holen die Produkte auch nicht auf den Höfen ab. Jeder bringt seine Erzeugnisse selber, pro Woche sind durchschnittlich 20 verschiedene Lieferanten an unseren Märkten“, so Bocks. Das sei eine logistische Herausforderung, habe aber auch Vorteile. „Jeder unserer fünf Märkte kommt mehrmals pro Woche in direkten persönlichen Kontakt mit den landwirtschaftlichen Erzeugerinnen und Erzeugern. Wir sind so zusagen der verlängerte Vermarktungsarm der Höfe.“
Ein gutes Beispiel dafür, dass diese Erzeuger mit neuen Hofprodukten ihren Weg in den Markt finden, sei der Hof Klostersee. Dort werde Mehl aus selbst angebauten Getreidearten gemahlen und abgepackt. So auch Leinsaat, das als neues „Superfood“ den Chia-Hype ergänzt habe. „Ein vergleichsweise kleiner Betrieb benötigt das Potenzial, seine Produkte auch in den Markt zu bringen. Die Leinsaat war der Renner und recht schnell ausverkauft“, zeigt sich Sandra Bocks zufrieden über die erfolgreiche Markteinführung der Mehle und Saaten vom Hof Klostersee.
Dass manche Produkte plötzlich ausverkauft und nicht mehr nachlieferbar sind, sei für manche Zielgruppen problematisch. Auch die Saisonalität der einen oder anderen Gemüse- und Obstsorte sei nicht jedem Kunden eingängig. „Da ist noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten!“, weiß die Marketing-Frau. Daher fänden in den Landwege-Märkten regelmäßig Aktionen statt, die den Verbraucherinnen und Verbrauchern die Produktion, die Verarbeitung und schlussendlich darüber den (Mehr)Wert der Bioprodukte näherbringen sollen. „Wir haben zum Beispiel in unserer Produktionsküche, in der sowohl frisch für den Mittagstisch in den Bistros, aber eben auch eine Auswahl an Suppen und Eintöpfen in Einweckgläsern gekocht werden, die Maxime „from nose to tail“ ausgelobt, so dass wir unseren Erzeugern ganze Tiere abkaufen und nicht nur die Edelteile, die der Kunde bisher kennt, kauft und isst“, erläutert Sandra Bocks eine Maßnahme, um die bio-regionale Wertschöpfung zu beleuchten.
2021 habe es außerdem eine „True-Cost-Analyse“ inklusive Plakataktion gegeben. „Wir haben die Folgekosten eines Produkts, in diesem Fall der Kartoffel, beziffert und grafisch dargestellt, wie teuer das Produkt Kartoffel aufgrund seiner Produktionsweise eigentlich sein müsste. Dazu haben wir Kartoffeln aus konventioneller Erzeugung, Kartoffeln aus EU-Bioproduktion und aus Verbands-Biobetrieben der Genossenschaft einander gegenübergestellt. Anhand der Zahlen konnten wir zeigen, dass in unserem Beispiel Kartoffeln aus ökologischem sowie aus Bioverbands-Anbau für die Gesellschaft günstiger sein können als konventionell erzeugte - wenn denn die Folgekosten eingepreist würden“, ergänzt Bocks, die die Verbraucher anhand dieser Darstellung dazu ermuntern möchte, die Veränderung der Landwirtschaft über ihre Kaufentscheidung mitzugestalten. Am Kühlregal für Milchprodukte wiederum wird erklärt, was Ammenkuhhaltung bedeutet, und an der Gemüseauslage geht es um samenfeste Sorten und die Zusammenarbeit mit dem Kultursaat e.V. „Noch mehr Menschen müssen verstehen, wie die Strukturen funktionieren.“
Letzteres gelte auch für die Genossenschaftsidee. „Wir werben nach wie vor für mehr Mitglieder in unserer Landwege eG unter den Verbraucherinnen und Verbrauchern.“ Dafür habe Landwege Flyer aufgelegt, in denen das neue Beitragsmodell der Genossenschaft erläutert und die Mitgliedschaft mit einem Rabattsystem beim Einkauf in den Landwege-Märkten attraktiv gemacht werden. Außerdem lockt Landwege mit Aktionen, wie der Verkostung sortenreiner Säfte von Biobetrieben aus der Region, oder kürzlich mit dem Abend „Käse und Wein“, an dem verschiedene Wein- und Käse-Paarungen probiert werden konnten - beide Produkte stammten von Betrieben, die der Genossenschaft angeschlossen sind. „Eine große Produktauswahl im Sortiment soll so aktiv mit dem Regionalen verbunden werden“, betont Sandra Bocks den Hintergrund. Auf regelmäßig stattfindenden Höfetouren könne jeder Kunde und jede Kundin sehen, wie dort gewirtschaftet wird.
Bocks hofft, dass so immer mehr Menschen Gefallen an der Direktvermarktung in der Stadt und damit der Idee finden, auf mehreren Biobetrieben gleichzeitig einzukaufen. „Das fördert die Ökologisierung der Region Lübeck und sichert unsere Biohöfe“, zeigt sie sich zuversichtlich.
Meike Siebel,Landwirtschaftskammer NRW