Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht - das gilt auch aus Sicht von Fairtrade, der unabhängigen Initiative zur Förderung des fairen Handels, im Hinblick auf die EU-Entwaldungsverordnung (EUDR). Martin Schüller, Referent für Entwicklungspolitik, Klima und Umwelt bei Faitrade, hat in einem Interview mit der LZ Rheinland darüber gesprochen, welche Konsequenzen eine Umsetzung in der bisherigen Fassung hätte - für die Erzeuger in den Ländern des globalen Südens, aber auch für die Verbraucher hierzulande.
M. Schüller: Fairtrade sieht in der Verschiebung sowohl Vor- als auch Nachteile. Einerseits ist der Walderhalt dringendst notwendig. Die weltweite Agrarproduktion muss gesichert werden, was keinen Aufschub duldet, denn mit der Natur kann man nicht verhandeln. Schon allein die Wasserversorgung für die weltweite Agrarproduktion kann ohne Erhalt der noch existierenden Wälder nicht mehr lange gesichert werden. Ähnliches gilt für Bestäubungsleistungen für viele wesentliche landwirtschaftliche Kulturen.
Deswegen unternimmt Fairtrade auf der in-stitutionellen Ebene große Anstrengungen zur Umsetzung der EUDR und ist vergleichsweise weit, was die Umsetzung der definierten Unterstützungsleistungen für betroffene Unternehmen angeht sowie die Integration bestimmter gesetzlicher Anforderungen in die Fairtrade-Standards. Was uns besonders macht, ist, dass bei all dem die Vorgaben der EU General Data Protection Regulation (EU GDPP) gewahrt werden, sodass Daten zur Landnutzung nur mit Einwilligung der Fairtrade-Kleinbauern und -bäuerinnen erhoben und verarbeitet werden.
Andererseits werden durch die EUDR ungerechterweise enorme Kosten und Aufwände auf betroffene Kaffee- und Kakaoproduzenten abgewälzt, die diese nicht bewältigen können. Erst recht nicht bis zum ursprünglich geplanten Termin. Das betrifft auch Fairtrade-zertifizierte Kooperativen. Insofern ist die Verschiebung auch eine temporäre Erleichterung.
M. Schüller: Die offensichtlichsten Schwachpunkte der EUDR – aus Fair-trade-Sicht – müssen adressiert werden. Dies ist vor allem die fehlende Klarheit hinsichtlich der Kostenübernahme für die Umsetzung der EUDR entlang der Lieferkette. Verantwortlich dafür sind eigentlich die in den Geltungsbereich der EUDR fallenden Unternehmen und nicht die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern am Anfang der Lieferkette. Dennoch sind diese zumeist trotzdem mit enormen Kosten und hohem Arbeitsaufwand konfrontiert – weil die Kosten für die Erhebung und Aufbereitung von Geodaten an den Anfang der Lieferkette durchgereicht werden. Das muss sich ändern. Vorstellbar wäre zum Beispiel eine verbindliche Verteilung der Kosten der Umsetzung der EUDR auf die Akteure der Lieferkette, entsprechend ihrem jeweiligen Anteil an der Wertschöpfung – dann würden Kleinbauern und -bäuerinnen nur mit sehr wenigen Prozent dieser Kosten konfrontiert.
Außerdem muss die EU vor allem kleinbäuerliche Erzeuger bei der Umsetzung der EUDR finanziell unterstützen. Im Moment wird hinsichtlich der Kosten und technischen Anforderungen eine Kakaobäuerin mit 2 ha Land genauso behandelt wie ein Sojafarmer mit Tausenden Hektar. Dies ist eine massive systematische Ungerechtigkeit, denn Kleinbauern tragen kaum zur Entwaldung bei, Großbetriebe hingegen oft sehr viel.
M. Schüller: Neben der Kostenabwälzung und systematischen Ungerechtigkeit, weil Fairtrade-Kleinbauern nur wenig Land besitzen, selten mehr und oftmals weniger als 5 ha. Es entstehen unverhältnismäßig hohe Erhebungskosten pro Hektar bezüglich der erforderlichen Geodaten. Hinzu kommt, dass viele mit der Umsetzung von technischen Anforderungen konfrontiert werden, für die sie nicht ausgebildet sind und wofür sie nun viel Zeit aufbringen müssen. Diese Zeit fehlt dann zum Beispiel für die Ernte von Kaffee oder Kakao. So entstehen neben den hohen Kosten gegebenenfalls auch noch Einkommenseinbußen.
Außerdem kommen immense Probleme durch die gleichzeitige Umsetzung der neuen EU-Bio-Verordnung (EUOR) hinzu, die sehr viele Fairtrade-Kaffeebauern direkt betrifft. Diese Verordnung schreibt ihnen als Kooperativen-Mitgliedern vor, dass sie nicht mehr als 5 ha Land beziehungsweise nicht mehr als 25 000 € Jahreseinnahmen haben dürfen. Dies zwingt Bauern und Bäuerinnen dazu, aus Kooperativen auszuscheiden und sich als Einzelbetriebe bio-zertifizieren zu lassen. Dann müssen sie die bislang anteiligen Bio-Zertifizierungskosten allein zahlen. Dies wird kaum möglich sein. Gemeinsam können EUDR und EUOR dann durchaus dafür sorgen, insbesondere Bio-Fairtrade-Kleinbauern aus dem Markt zu drängen und ihnen die Lebensgrundlage zu entziehen.
M. Schüller: Das stimmt und dass sie zum Walderhalt beitragen, ist die Folge einer meist vergleichsweise besseren finanziellen Situation von Fairtrade-Kleinbauern infolge von Mindestpreisen, der Fairtrade-Prämie und gegebenenfalls weiteren Bio-Zuschlägen. Das versetzt sie besser in die Lage, die Anforderungen der EUDR (und der EUOR) umzusetzen. Es liegt aber auch an den vielen Beratungsleistungen der Fair-trade-Produzentennetzwerke für ihre Mitglieder. Beide Faktoren sind allerdings unabhängig davon, ob die EUDR verschoben wird oder nicht.
Würde sie nicht verschoben, wäre der zeitliche Druck für viele kleinbäuerliche Fairtrade-Kooperativen zu hoch, um es bis Ende 2024 schaffen zu können. Sie würden dadurch den Marktzugang zum EU-Markt verlieren und damit eine wesentliche, wenn nicht die größte Einnahmequelle. Es würde viele kleinbäuerliche Familien in Armut stürzen.
M. Schüller: Gerade haben wir die Halbjahreszahlen 2024 veröffentlicht, die ein Absatzplus von 3 % zeigen. Es liegt ein Wachstum bei allen Kernprodukten wie Kaffee, Kakao und Bananen vor und wir gehen von einer positiven Prognose für das Gesamtjahr aus.
Die Verordnungen könnten als Konsequenzen für den deutschen Markt Lieferengpässe und leerere Regale bei Kaffee- und Kakaoprodukten haben. Falls Lieferketten kollabieren, was wir durchaus für möglich halten. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist auch mit Preisanstiegen bei Kaffee- und Kakaoprodukten zu rechnen, was aber nicht automatisch bedeutet, dass die Kleinbauern dadurch auch Mehreinnahmen erhielten. Genau solche sind aber dringend geboten, wenn man weiterhin Kaffee und Kakao im bisherigen Umfang importieren möchte.
M. Schüller: Wir beobachten die EU-Politik sehr genau und bekommen daher auch mit, wie bei hiesigen Bäuerinnen und Bauern beziehungsweise deren Verbänden über die EUDR gedacht wird. Allerdings hat Fairtrade kein Mandat für Industrieländer in Europa, weswegen wir bezüglich der deutschen Landwirtschaft keine Position beziehen.
Fairtrade hat sich klar für Walderhalt positioniert, die Gründe sind vereinfacht gesagt „kein Wald – kein Wasser – keine Landwirtschaft“ sowie der notwendige Erhalt der Biodiversität. Fairtrade-Produktion ist generell an agrarökologischen Grundsätzen orientiert und sehr häufig auch bio-zertifiziert. Weiterhin sind alle Fairtrade-Bauern und Bäuerinnen ausschließlich Kleinbauern mit wenigen Hektar Land, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Derartige Kleinbetriebe und Produktionsformen lassen sich nur sehr bedingt mit deutschen bäuerlichen Betrieben vergleichen. Was uns eint, ist die Forderung nach fairen Preisen für Agrarprodukte. Gerade da, wo es Gemeinsamkeiten, aber auch unterschiedliche Positionen gibt, ist ein Dialog immer sinnvoll.
M. Schüller: Was bislang zu wenig Beachtung findet, ist der Zusammenhang mit der EU-Bio-Verordnung, der für viele Kleinbauern eine existenzbedrohende Situation erzeugt. Außerdem fehlt der EU der Blick gegenüber negativen entwicklungspolitischen Wirkungen von Regulierungen wie EUDR und EUOR: Wenn beispielsweise durch kleinliche Flächenvorgaben die Existenz mancher Kleinbauern im globalen Süden zerstört wird, ist das das Gegenteil von Nachhaltigkeit. Gut gemeint ist nicht das-selbe wie gut gemacht.
Was meiner Meinung nach völlig fehlt, ist die Stimme der Menschen aus den Anbauländern im globalen Süden. Kleinbäuerinnen und -bauern sind massiv von den EU-Regulierungen betroffen, aber sind sie vorher dazu gehört und konsultiert worden? Ich nehme der EU ihre Bemühungen bezüglich der Durchsetzung von einer nachhaltigeren Wirtschaft ab, gleichzeitig sollte man sich ernsthaft Gedanken machen, dass nicht die Wahrnehmung entsteht, Europa schreibe den Ländern des globalen Südens vor, was zu tun ist, und zwar ohne finanzielle Kompensation. Das bereitet mir Sorgen.
Was uns eint, ist die Forderung nach fairen Preisen für Agrarprodukte.
Quelle: Kathrin Fries/ LZ Rheinland Ausgabe 42/2024
Der Umsatz mit Fairtrade-Produkten in Deutschland stieg 2023 um 8,5 % auf 2,6 Mrd. € bei leicht rückläufigen Absätzen. Erstmals lagen die Pro-Kopf-Umsätze hierzulande bei über 30 €. Positiv stimmen die wachsende Verfügbarkeit auf zuletzt 8 500 gesiegelte Produkte und erste Zahlen für 2024: Fairtrade-Absätze nehmen wieder zu.
Fairtrade-Produzenten haben im Vergleich zu nicht zertifizierten Betrieben bessere Voraussetzungen, Waldflächen in ihrer Anbauregion zu schützen. Das ist das wichtigste Ergebnis einer Studie, für die zertifizierte und nicht zertifizierte Kooperativen in Kolumbien, Honduras und Côte d’Ivoire untersucht wurden. Informationen zu den Ergebnissen gibt es auf der Fairtrade-Webseite.