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Geld verdienen mit Humuszertifikaten?

15.07.2022

Weltweit sind die als Humus in Böden gespeicherten Kohlenstoffmengen etwa vier- bis fünfmal so groß wie die in der Atmosphäre. Die Idee, zugunsten des Klimas atmosphärisches CO2 in Form von Humus im Boden festzulegen, ist zunächst naheliegend.

Es ist unbestritten, dass Humus als zentrale Größe der Bodenfruchtbarkeit im Boden sehr positive Wirkungen auch mit Blick auf die Ertragsstabilität bei zunehmenden Witterungsextremen entfaltet. Jeder Landwirt hat ein ureigenes Interesse an einer guten Humusversorgung.

Humusvorrat im Boden

Ackerböden speichern im oberen Meter 95 t/ha organischen Kohlenstoff. Das entspricht 160 t Humus. Grünlandböden speichern sogar mehr als 135 t/ha organischen Kohlenstoff oder 230 t/ha Humus. Im Vergleich liegt dieser sogenannte Humusvorrat unter Wald mit 170 t/ha Humus ungefähr auf dem Niveau von Ackerböden. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung an über 3 000 landwirtschaftlichen Flächen in Deutschland. Die sogenannte Bodenzustandserhebung Landwirtschaft wurde 2018 durch das Thünen-Institut veröffentlicht. In einem NRW weiten Projekt werden zudem unter Mitwirkung der Landwirtschaftskammer seit mehr als zehn Jahren Ackerflächen intensiv auf Humus untersucht. Die ermittelten Humusvorräte sind im Schnitt sehr gut vergleichbar mit denen der deutschlandweiten Bodenzustandserhebung, wenngleich es deutliche regionale Unterschiede gibt. Während in Regionen mit wenig Viehbesatz oder ausgeprägtem Gemüseanbau weniger Humus im Boden gespeichert ist, finden sich im Münsterland in Gebieten mit intensivem Wirtschaftsdüngereinsatz die NRW weit größten Humusvorräte.



Humusaufbau langwierig

In wissenschaftlichen Untersuchungen zeigt sich, dass Humus in erster Linie von den örtlichen Bodenverhältnissen und den klimatischen Bedingungen und häufig nur nachrangig von der Bewirtschaftung beeinflusst wird. Das Humusmonitoring NRW und zahlreiche deutsche wie internationale Langzeituntersuchungen belegen, dass Veränderungen des Humusgehalts vergleichsweise langsam ablaufen. Häufig wird berichtet, dass der Humusgehalt, zum Beispiel durch die Zufuhr von organischer Düngung, in der Größenordnung von 0,1% in zehn Jahren oder 0,01% pro Jahr gesteigert werden konnte. Schnellere Veränderungen konnten oftmals nur auf Standorten mit geringen Ausgangshumusgehalten erzielt werden und dies bei gleichzeitigem Einsatz extrem großer Mengen organischer Düngemittel, die die heute zulässigen Mengen deutlich übersteigen.

Mit Blick auf wissenschaftliche Untersuchungen zum Humussteigerungspotenzial sollte man wissen, dass die zugrundeliegenden Dauerversuche eine vermeintliche „Schwäche“ aufweisen. In der Regel zielen diese Untersuchungen darauf ab, die Auswirkungen einzelner Maßnahmen zu erfassen und es geht nicht darum, die Auswirkungen kombinierter Maßnahmen zu untersuchen. Praxiserfahrungen zeigen, dass der Humusgehalt durch die Kombination geeigneter Maßnahmen im Einzelfall auch schneller gesteigert werden kann, eine Erfolgsgarantie gibt es jedoch keinesfalls.

Nährhumus wird rasch abgebaut

Grundsätzlich können zwei Humusfraktionen unterschieden werden. Dauerhumus ist gegenüber mikrobiellem Abbau vergleichsweise stabil und kann hunderte Jahre im Boden überdauern. Nährhumus hingegen ist leicht verfügbares Futter für die Mikroorganismen und ist insofern eine Art durchlaufender Posten. Durch den Eintrag organischer Düngung, Pflanzen- und Wurzelreste wird einerseits organisches Material nachgeliefert, aber gleichzeitig auch nahezu ständig umgesetzt. Eine sehr rasche Humusmehrung beruht fast ausschließlich auf einem Anstieg der Nährhumus-Fraktion, die bei Beendigung humusfördernder Maßnahmen auch genauso schnell wieder abgebaut wird. Zumindest der langfristigen Bodenfruchtbarkeit und auch dem Klima ist damit letztlich nicht gedient.

Zertifizierung von Humusaufbau

In den letzten Jahren haben sich privatwirtschaftliche Unternehmen und Initiativen auf den Weg gemacht, Humusaufbau unter Ackerflächen als klimapositive Umweltschutzleistung zu zertifizieren. Auf der einen Seite steht der Verursacher von Emissionen, auf der anderen Seite der Landwirt, der die Emissionen durch Humusaufbau kompensieren kann. In aller Regel wird das Geschäft durch ein Zertifizierungsunternehmen vermittelt, das für die Einhaltung von Standards und die Abwicklung verantwortlich ist. Man kann bei der Ermittlung des zusätzlich aufgebauten Humus grundsätzlich zwei Ansätze unterscheiden. Bei maßnahmenbasierten Ansätzen wird entsprechend der angewendeten humusfördernden Maßnahmen und bezogen auf den betroffenen Flächenumfang ein pauschaler, zumeist wissenschaftlich basierter Durchschnittswert angesetzt.

Bei erfolgsabhängigen Ansätzen wird der Humusaufbau im Rahmen einer Erfolgskontrolle vor, während und nach der Zertifizierungsphase von üblicherweise zehn Jahren durch Laboruntersuchungen ermittelt. Der aufgebaute Humus wird jeweils umgerechnet in sogenannte CO2-Äquivalente und anschließend wird ein vertraglich vereinbarter Betrag ausbezahlt. Gegenwärtig beträgt der Auszahlungspreis zumeist 30 € pro t C02-Äq.

Dieser Preis ist in den Augen einiger Experten zu gering, weil dies den finanziellen Aufwand für humusfördernde Maßnahmen oder gar den Verzicht auf besonders wertschöpfungsrelevante Kulturen im Zuge der Umgestaltung von Fruchtfolgen vielfach nicht ausgleichen kann. Zudem wird bemängelt, dass häufig nicht sichergestellt ist, dass der Humusaufbau nachhaltig, das heißt über die Zertifizierungsphase hinaus, erhalten bleibt, was aber Grundvoraussetzung für dauerhaft positive Klimawirkung ist.


Carbon-Farming

Die sogenannte Carbon-Farming-Strategie der EU hat zum Ziel, auf der landwirtschaftlichen Betriebsebene einerseits die Emission von Treibhausgasen zu reduzieren und andererseits atmosphärisches CO2 klimaunschädlich im Boden in Form von Humus zu speichern. Im Rahmen eines länderübergreifenden Projekts im Nordseeraum wurden in Pilotprojekten auf Praxisbetrieben besonders vielversprechende Maßnahmen für den Humusaufbau untersucht. Ein wichtiges Kriterium ist dabei auch die Praxistauglichkeit und die Umsetzbarkeit dieser Maßnahmen. Herausgekommen sind im Wesentlichen fünf Maßnahmen, die in Abhängigkeit von Standort und Umsetzung unterschiedliche Humuswirksamkeit entfalten können. Die Tabelle kann insofern nur eine grobe Orientierung bieten, im Einzelfall kann die Wirkung deutlich abweichen.

Maßnahmen und deren Humuswirksamkeit

Maßnahme

 

Wirkung

 
 

org. C [kg/ha]

Humus [kg/ha]

C02-Äq [kg/ha]

Zwischenfruchtanbau ausweiten

500

860

1800

Humuszehrende Fruchtfolgen aufweiten

600

1000

2200

Grünlandmanagement optimieren

1000

1700

3700

Kompost und Festmist

500

860

1800

Agroforst

500

860

1800

    

Quelle: verändert nach Interreg  North Sea Region Carbon Farming


Attraktivität im Fokus

Weiterhin hat das Projektkonsortium, bei dem auf deutscher Seite das Thünen-Institut und das 3N Kompetenzzentrum aus Niedersachsen vertreten sind, Empfehlungen für die weitere Ausgestaltung der Carbon-Farming-Strategie an die EU-Kommission formuliert. Drei Dinge sind demnach besonders wichtig: stimulierende regulatorische Vorgaben, eine faire Vergütung für den Landwirt und die Förderung des privaten Marktes durch die Entwicklung international geltender Standards. Eine "anregende europäische Politik mit einem guten Einkommensmodell" mache es "für Landwirte attraktiv" an Carbon-Farming teilzunehmen.

Kriterien für dauerhaften Klimaeffekt

Welche Kriterien erfüllt sein müssen, damit humusfördernde Maßnahmen am Ende auch tatsächlich netto dem Klima zugutekommen, beschäftigt zurzeit Forschende unter anderem an der TU München und am Thünen-Institut. Im Wesentlichen werden vier Kriterien als besonders wichtig erachtet. Es muss sichergestellt werden, dass der Aufbau von Humus erstens zusätzlich und zweitens dauerhaft ist, weil sonst keine echte Klimawirksamkeit gegeben ist. Drittens sollen Verlagerungseffekte, im Englischen Leakage, von vornherein ausgeschlossen werden. Verlagerungseffekte wären unter anderem dann gegeben, wenn einzelne Flächen in besonderem Maße mit humusfördernden Maßnahmen beaufschlagt werden und dies gleichzeitig zulasten anderer Flächen geschieht. Viertens wird als Kriterium auch die Nachweisbarkeit angeführt. Infrage käme ein flächenscharfer Nachweis per Laboranalytik, der mit erheblichem Aufwand verbunden wäre und auch aufgrund methodischer Herausforderungen nur in begrenztem Umfang aussagekräftig ist.

Natürlich müssen alle Fördermaßnahmen stets gerecht gestaltet sein. Es sollen nicht diejenigen bestraft werden, die wegen ihrer bislang schon humusfördernden Bewirtschaftung bereits sehr gut versorgte Böden haben, die nur wenig Steigerungspotenzial bieten.

Förderung: maßnahmenbasiert oder erfolgsabhängig?

Wenngleich beide Alternativen jeweils Vor- und Nachteile haben und Experten nicht immer einer Meinung sind, erscheint die maßnahmenbasierte Förderung unter Abwägung vieler Faktoren gegenwärtig sinnvoller zu sein. Erstens ist diese Form der Förderung weniger aufwendig, weil zum Beispiel keine einzelflächenspezifischen Probenahmen und Laboranalysen zur Erfolgskontrolle notwendig sind. Weiterhin dürfte auch der bürokratische Aufwand deutlich geringer sein, der ansonsten sogar von der Teilnahme an Carbon-Farming abhalten könnte.

Humusaufbau  immer schwieriger

Experten von Thünen-Institut und TU München gehen ohnehin davon aus, dass es angesichts des Klimawandels zukünftig eher darum gehen wird, die heutigen Humusvorräte dauerhaft zu erhalten als weiter zu steigern. Selbst wenn das 1,5-°C-Ziel erreicht werden kann und gleichzeitig großflächig humusfördernde Maßnahmen umgesetzt werden, muss gegenwärtig damit gerechnet werden, dass mittel- bis langfristig weniger Hums im Boden gespeichert sein wird. Auch hier wird es natürlich Ausnahmen geben, die aber die Regel bekanntlich bestätigen. Erfolgsbasierte Maßnahmen sind über kurz oder lang für den Landwirt wenig attraktiv, zumal auch heute schon überwiegend diejenigen profitieren, die sich bislang wenig um den Humus gekümmert haben. Unter Experten ist wenig strittig, dass dort das größte Humusaufbaupotenzial besteht, wo aktuell infolge der bisherigen Bewirtschaftung wenig Humus gespeichert ist.

Fakt ist jedenfalls, dass Humus schon vor jeder Diskussion zu Klimaschutz und Klimaanpassung eine zentrale Funktion für die Bodenfruchtbarkeit und damit auch für die Landwirtschaft hatte. Landwirte wissen in aller Regel jedenfalls sehr gut um die Bedeutung intakter, gut mit Humus versorgter Böden. Was sich geändert hat, ist vor allem die öffentliche Wahrnehmung und die inzwischen breite gesellschaftliche Diskussion. Es ist mehr als wünschenswert, wenn landwirtschaftlichen Betriebe, die ihrerseits extrem vom Klimawandel betroffen sind und sein werden, unbürokratisch und fair profitieren können, wenn sie im Interesse der Öffentlichkeit aktiv Klimaschutzmaßnahmen umsetzen.


Christiane Baum, Eduard Eich, Tobias Heggemann, Caroline Labonte,

Landwirtschaftskammer NRW

Weitere Informationen

Carbon Farming ist umstritten

Obwohl noch keine Regelungen zu Carbon-Farming festgezurrt wurden, ist schon der Ansatz umstritten. Die Rolle der Böden als großer und wichtiger Kohlenstoffspeicher ist zwar anerkannt, jedoch gibt es kritische Stimmen, wonach Carbon-Farming bei weitem nicht die gewünschte Klimawirksamkeit erreichen könne. Fragen werden aufgeworfen, ob etwaige Finanzmittel nicht an anderer Stelle besser investiert seien. Zudem wird infrage gestellt, ob Humusaufbau generell geeignet ist zur CO2-Kompensation, da die dauerhafte Speicherung davon abhänge, dass humusfördernde Maßnahmen auch dauerhaft Anwendung finden. Es scheint aktuell noch nicht klar, in welcher Form die Carbon-Farming-Strategie der EU in der Praxis Einzug erhält.

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