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Pflanzenforschung.de: Artgenossen als Appetithäppchen

23.08.2017
Tomatenpflanzen verwandeln Raupen in Kannibalen

Kannibalismus ist im Tierreich keine Seltenheit. Eine Pflanze als Auslöser dagegen schon. Tomatenpflanzen sind in der Lage, den Appetit von Raupen auf Artgenossen zu lenken. Mit der ersten Beobachtung dieser Art wird ein neues Kapitel im Handbuch der Pflanzenverteidigung eröffnet.

Not mach erfinderisch. Dies gilt vor allem dann, wenn man am Anfang der Nahrungskette steht, wie es Pflanzen nun einmal tun. Wen wundert es da, dass sie im Laufe der Evolution ein breites Spektrum von Verteidigungsmaßnahmen entwickelt haben. Und doch ist die Natur immer wieder für Überraschungen gut, die selbst Fachleute zum Staunen bringen. Jüngstes Beispiel ist die Fähigkeit von Tomaten (Solanum lycopersicum), Fressfeinden Appetit auf die eigenen Artgenossen zu machen. Mit anderen Worten, sie in Kannibalen zu verwandeln.

Faszinierend und schauerlich zugleich

Beobachtet wurde das Phänomen an den Schmetterlingsraupen von Spodoptera exigua, einem nachtaktiven Eulenfalter (Noctuidae). Nun sind diese Raupen weder als reine Pflanzenfresser bekannt noch ist Kannibalismus unter Insekten allgemein eine Seltenheit. Das Besondere ist, dass sich eine Pflanze dieses Phänomen zunutze macht, um sich zu schützen.

Sie schlägt damit sogar gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: Nicht nur, dass sie die Raupen dazu bringt, ihren Appetit auf ein anderes Ziel zu lenken und somit selber verschont bleibt. Sie hält damit auch die gesamte Schädlingspopulation in Schach, wenn der Feind als Auftragskiller gegen die eigenen Artgenossen eingesetzt wird.

Du bist nicht du, wenn du hungrig bist

Doch wie läuft diese Manipulation ab? Zunächst muss man wissen, unter welchen Bedingungen die Raupen von S. exigua auf ihre Artgenossen losgehen. Sie tun dies vor allem dann, wenn das Angebot an pflanzlicher Kost mengenmäßig nicht ausreicht oder von minderwertiger Qualität ist. Die Tiere stehen dann unter akutem Ernährungsstress.

Schauen wir uns nun die Tomate an. Wie viele andere Pflanzenarten, reagiert auch sie auf einen Angriff durch Fressfeinde u. a. mit der Freisetzung flüchtiger Verbindungen. Dazu zählt unter anderem Methyljasmonat. Registrieren noch unbeschadete Pflanzen in der Umgebung den Konzentrationsanstieg in der Luft, beginnen sie mit der Produktion chemischer Abwehrstoffe. Nicht immer handelt es sich dabei nur um harmlose „Geschmacksverderber“. Oft sind es auch Wirkstoffe, die die Vitalität der Feinde einschränken und mitunter tödlich sein können.

Ein Cocktail als Appetitzügler

Zur Enttäuschung der Leser geht aus der Studie leider nicht genauer hervor, welche chemischen Verbindungen nun genau die Raupen zu Kannibalen machen. Wir müssen uns zunächst mit dem Wissen begnügen, dass ein positiver linearer Zusammenhang zwischen der Konzentration des Warnstoffes Methyljasmonat und der Häufigkeit von Kannibalismus auf den Blättern der vorgewarnten Tomatenpflanze besteht.

Eine neue Geheimwaffe gegen Schadinsekten?

Nun klingt die Idee verlockend, das neue Wissen rasch zu praktischen Methoden des Pflanzenschutzes zu entwickeln. Zum Beispiel mit der Züchtung von Tomatenpflanzen, die konstant und in hohen Konzentrationen Methyljasmonat verströmen und sich so gegenseitig in einen dauerhaften Zustand erhöhter Abwehrbereitschaft versetzen. Doch wie so oft ist es in der Realität dann doch nicht so einfach.

Es hat seinen Grund, dass Tomatenpflanzen erst bei einem tatsächlichen Schädlingsbefall Abwehrmaßnahmen einleiten. So ist die Produktion von Methyljasmonaten eine kostspielige bzw. ressourcenaufwendige Angelegenheit für Pflanzen und könnte auf Kosten des Ertrages gehen. Der Landwirt wäre dann nicht so glücklich.

Willkommen in der Black-Box

Der neu entdeckte Mechanismus ist absolutes Neuland und viele Details müssen noch geklärt werden. Bei welchen Schädlingen kann man den Kannibalismus-Trick überhaupt einsetzen? Welche ökologischen Konsequenzen hätte pflanzeninduzierter Kannibalismus und wie wirkt er sich auf die Dynamik innerhalb von Insektenpopulationen aus? Auf jeden Fall ein faszinierendes neues Forschungsfeld, über das wir weiter berichten werden.

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