Baumreihen auf landwirtschaftlichen Produktionsflächen können nicht nur die Artenvielfalt bereichern, sondern helfen auch, die Folgen des Klimawandels abzumildern. Agroforstsystemen wird daher immer mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Einen ganzen Thementag widmete Anfang November die Natur- und Umweltschutz-Akademie NRW in Kooperation mit der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) dem Agroforst.
Interessierte aus Forschung, Verwaltung, Ministerien, Verbänden und der Praxis waren nach Recklinghausen gekommen, um zu hören und zu diskutieren, was Agroforstsysteme für Naturschutz und Landwirtschaft leisten können. Besonders spannend waren die Berichte von Landwirten, die bereits erste Erfahrungen mit Baumstreifen auf ihren Flächen gemacht haben. Das Projekt „Bäuerliche Agroforste“ der AbL, gefördert durch die Stiftung Umwelt und Entwicklung Nordhein-Westfalen, bietet interessierten Landwirten Einstiegsberatungen, Infoveranstaltungen und Exkursionen sowie ein Netzwerk.
Agroforstsysteme als multifunktionale Landnutzungssysteme fördern unter anderem nicht nur Biodiversität, Wasserrückhalt und Klimaresilienz, sondern auch das Gemeinwohl. In seinem Grußwort betonte Dr. Gregor Kaiser MdL, Mitglied des Stiftungsrats der Stiftung Umwelt und Entwicklung NRW, dass Agroforstsysteme in landwirtschaftlichen Produktionsräumen Strukturvielfalt schaffen und zugleich Erwerbsmöglichkeiten für die Landwirte bieten. Sie tragen zur angesichts des Klimawandels gebotenen resilienten Landwirtschaft und Nachhaltigkeit bei. Darüber hinaus leisten Agroforstsysteme einen Beitrag zur regionalen Versorgung mit kurzen Transportwegen und zur Steigerung der Wertschätzung bäuerlicher Lebensmittelproduktion.
Über Biodiversitätseffekte von Agroforstsystemen berichtete Anna-Lea Ortmann vom Deutschen Fachverband für Agroforstwirtschaft (DeFAF), Fachbereich Natur & Umwelt. Selbst ein Kurzumtrieb-Agroforst, wo schnellwachsende Gehölzarten alle drei bis 15 Jahre geerntet werden, bietet schon ein verbessertes Mikroklima, Schutz vor Winderosion, Insektenförderung und neue Strukturen in der Landschaft. Allein auf Weiden, die sich auch für den Kurzumtrieb eignen, leben in Deutschland 670 phytophage Insektenarten! Weitere Agroforstformen sind Baumreihen aus Obst- oder Nussbäumen oft kombiniert mit Blühstreifen, Wertholz-Agroforste mit Erntealter 60 bis 120 Jahre – besonders insektenfreundlich unter anderem Speierling, Elsbeere oder Wildkirsche – oder sogenannte Nahrungswälder oder Waldgärten, bei denen nahrungsliefernde Bäume, Sträucher und Stauden in verschiedenen Vegetationsschichten gemeinsam wachsen.
Auch im Bezug auf den Wasserhaushalt landwirtschaftlicher Flächen haben Agroforstsysteme positive Effekte, wie Jan-Fritz Nierste, Landwandler Umweltberatung, erläuterte. So leisten Baumstreifen auf Ackerflächen erwiesenermaßen wertvolle Beiträge zur Verringerung der Verdunstung und somit zur Dürreprävention, zum Hochwasserschutz und zur Erosionsminderung. Insbesondere wenn unterbrochene Pflugfurchen entlang der Baumreihen angelegt werden, in denen das Oberflächenwasser punktuell versickern kann, werden Wasserflüsse wirkungsvoll gelenkt und die Feuchtigkeit auf der Fläche gespeichert. Damit das gut funktioniert, sollte vor Anlage des Agroforsts eine Standortanalyse mit Erosionsmodellierung erstellt werden.
Agroforstsysteme seien abwechslungsreich, ausdauernd und anschlussfähig, das heißt sie verbinden Lebensräume, ist man auch beim Naturschutzbund Deutschland (NABU) überzeugt. Julia Binder, NABU NRW, unterstrich in ihrem Vortrag zur naturschutzfachlichen Einordnung der Agroforstwirtschaft, dass das Thema Chancen bietet, Landwirtschaft und Naturschutz zu vereinen und Menschen im Rahmen des bürgerschaftlichen Naturschutzes beispielsweise bei Pflanzaktionen miteinzubeziehen.
Ruben Weber, DeFAF, räumte ein, dass Agroforstsysteme noch nicht sehr verbreitet seien in Deutschland, nicht zuletzt wegen der Frage der Wirtschaftlichkeit. Er berichtete vom Projekt AgroWert-Regio zur regionalen Wertschöpfung durch Agroforst-Produkte in der Lausitz, einer strukturschwachen Region mit verringerter Kaufkraft. Agroforstsysteme sind dort aus der Not heraus entstanden, um den Sandboden auf den großen Schlägen vor Erosion zu schützen. Nun hat man eine Marketingkampagne gestartet, um Produkte aus Agroforstwirtschaft sichtbar zu machen und kooperiert mit dem Lebensmitteleinzelhandel.
Der Bioland Lammertzhof in Kaarst-Büttgen kam unverhofft zu weiteren Agroforstflächen, wie Inhaber Heiner Hannen erzählte. 160 Obstbäume auf einer Wiese für 350 Hühner hatte der Betrieb schon, als die Vermittlungsfirma VIVO Carbon anfragte, ob für die Düsseldorfer Tonhalle im Rahmen der Klima-, Natur- und Artenschutzinitiative „Orchester des Wandels“ Baumstreifen angepflanzt werden könnten. So wurden 5 000 schnellwachsende Pappeln für die Flächen des Lammertzhofs finanziert und es werden für deren 2 ha Standfläche Pacht sowie Pflegekosten bezahlt. Der Biolandbetrieb profitiert von den Vorteilen des Agroforstsystems, wie unter anderem besserer Schutz vor der Abdrift des konventionell wirtschaftenden Nachbarn.
Hendrik van Aken vom Biohof Berkhöfel in Bedburg-Hau ist mit Streuobstwiesen und Schafen aufgewachsen. Nachdem der elterliche Betrieb einige Jahre im Nebenerwerb bewirtschaftet wurde, hat der 28jährige Landwirt ihn nun gemeinsam mit seinem Vater Markus und mit Kollege Nick Roden in einen Vollerwerbsbetrieb umgewandelt. Um aus dem Streuobst eine höhere Wertschöpfung zu generieren, wurde die Niederrhein Destille aus Emmerich-Dornick übernommen. Außerdem werden weitere Obstprodukte, Lamm- und Schaffleisch, Fell- und Wollprodukte, Gemüse, Getreide über Bioläden und im eigenen Hofladen vertrieben. Jüngst wurden weitere Obstbäume als Agroforstsystem auf die Schafweide gepflanzt, allerdings für mehr Wirtschaftlichkeit in Reihen und nach Reifezeitpunkten sortiert. Eine Refinanzierung erwartet van Aken nach 15 Standjahren.
Ihren Hühnern einen artgerechten Lebensraum bieten wollte die Familie Hartmann vom gleichnamigen Direktvermarktungshof in Rettmer bei Lüneburg. So wurden bereits im Oktober 2016 Pappeln in mehrreihigen Streifen auf die Hühnerwiesen gepflanzt. Und auch auf den Kartoffeläckern wurden inzwischen Pappelstreifen realisiert, um von ihren vielen Vorteilen zu profitieren. Jochen Hartmann machte keinen Hehl daraus, dass damit viele Kosten verbunden sind, aber er ist Überzeugungstäter und er freut sich selbst, wenn er dank der Bäume einen noch schöneren Arbeitsplatz hat. Bei den Hühnern trage sich der Agroforst dank erfolgreichen Marketings. Die Pappeln werden Stück für Stück geerntet und zu Holzhackschnitzeln für die eigene Heizung verarbeitet. Jochen Hartmann arbeitet im Rahmen des Agroforst-Monitorings der Universität Münster eng mit Studenten und Naturschützern zusammen.
Sabine Aldenhoff
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