Vom „Arme-Leute-Essen“ zum nachhaltigen Trendlebensmittel: Buchweizen hat nicht nur den Ruf, eine ideale Insektenweide und attraktiv für eine nachhaltige Landwirtschaft zu sein - auch aus der glutenfreien Ernährung ist er längst nicht mehr wegzudenken. Bei einem Anbauversuch mit 25 Buchweizensorten haben Prof. Dr. Simone Gräff-Hönninger und Prof. Dr. Friedrich Longin von der Universität Hohenheim in Stuttgart bereits die Potenziale von Buchweizen auf die Probe gestellt. Als Teil dieses Forschungsprojekts haben sie gemeinsam mit Bäckermeister und Brotsommelier Steffen Leonhardt aus Bretten und Marius Tim Schlatter, dem Geschäftsführer des Wirthauses Garbe in Stuttgart-Plieningen, nun an 18 dieser Sorten getestet, inwiefern sich verschiedene Buchweizen-Sorten geschmacklich und in der Verarbeitung zu Brot und Blinis unterscheiden. Ihr Fazit: Das Aroma der Brote, Blinis und der gekochten Buchweizenkerne war hervorragend bei allen 18 verschiedenen Buchweizen-Sorten mit interessantem Potenzial in den Verarbeitungsqualitäten.
Bis ins 19. Jahrhundert war der Buchweizen ein fester Bestandteil des Ernährungsplanes. Im Laufe der Zeit und mit der Intensivierung des Ackerbaus verschwand er immer mehr von den Feldern – und mit ihm auch das Wissen über den Anbau dieses Pseudogetreides. Um dieses Wissen zurückzuholen, die Vielfalt in der Landwirtschaft zu steigern und die Potenziale von Buchweizen zu zeigen, haben die Wissenschaftler in einem Forschungsprojekt 25 Buchweizensorten auf ihre Anbaupotenziale untersucht. „Buchweizen bietet viele ernährungsphysiologische Vorteile und ist für eine nachhaltige Landwirtschaft sehr attraktiv“, so Longin.
Auch in einer glutenfreien Ernährung ist der Buchweizen schon lange ein zentraler Bestandteil. Um ihn als Alternative zu etablierten Getreidearten aber auch der breiten Masse schmackhaft zu machen, hat der Wissenschaftler gemeinsam mit dem Brotsommelier und Bäckermeister Steffen Leonhardt und Garbe-Geschäftsführer Marius Tim Schlatter nun die Verarbeitung und den Geschmack von 18 Buchweizensorten getestet. Das Ergebnis hat alle Experten positiv überrascht: Die 18 Sorten unterschieden sich nicht nur untereinander in Geschmack und Verarbeitung, sondern auch von Gericht zu Gericht. „Gerade bei den gekochten Buchweizenkernen war der Aromaunterschied so ausgeprägt, dass ich mir sicher war, dass wir die gleichen Unterschiede auch in den anderen Gerichten finden“, so Longin. „Aber die geschmacksintensivste Buchweizenreis-Variante war bei den Blinis und dem Brot nur Aroma-Mittelmaß. Das zeigt eben, wie komplex Aroma ist, eröffnet aber gleichzeitig Lebensmittelherstellern enorme Potenziale, wenn diese sich intensiver mit ihren Rohwaren beschäftigen.“
Und Marius Tim Schlatter vom Wirtshaus Garbe schwärmt: „Das Besondere für mich: Buchweizen hat ein intensiv nussiges Aroma, welches sehr lange im Mundraum präsent bleibt bei allen getesteten Sorten. Wir können mit diesem einen Produkt somit viel Aroma in unser Gericht bekommen, und das bereits ohne Gewürze.“ Auch die Verarbeitung sei wirklich vielseitig. Zusätzliche Versuche mit Buchweizenhonig waren ebenfalls äußerst vielversprechend und so werde das Wirtshaus Garbe schon bald erste Gerichte mit Buchweizen in die Speisekarte aufnehmen.
Wegen des fehlenden Glutens sind Brote mit hohem Buchweizenanteil eine Herausforderung, der sich Brotsommelier und Bäckermeister Steffen Leonhardt gerne stellt. „Brote auf Buchweizen-Basis sollten vorsichtiger geknetet werden und benötigen Vorstufen, wie Quell- und Kochstücke oder Vor- und Sauerteige, um damit ein optimales Ergebnis zu erzielen. Das bedeutet für mich eine möglichst hohe Gebäckausbeute, ein intensives Aroma, eine längere Frischhaltung und eine gute Bekömmlichkeit der Backwaren. Buchweizenteige sollten außerdem nicht, wie es bei Brotgetreiden für eine bessere Bekömmlichkeit empfohlen wird, über Langzeitführung gekühlt werden, da dies den enzymatischen Abbau der Buchweizenbestandteile beschleunigt und somit ein geringeres Gebäckvolumen nach sich zieht.“
Der Umgang mit Buchweizen erfordere Fachwissen und Geschick sowie Freude und Mut am Experimentieren - dann stelle er eine Bereicherung für das Sortiment eines jeden Handwerksbäckers dar. Da der Buchweizen ein Pseudogetreide ist, muss ebenfalls bei der Brotherstellung beachtet werden, dass ein Anteil von 30 auf 100 % Gesamtgetreideanteil nicht überschritten werden sollte, um eine stabile Krume zu gewährleisten.
Leonhardt bietet schon länger ein Brot mit Buchweizenanteil an. „Umso mehr hat mich der Unterschied der Brotvolumina bei den 18 Sorten überrascht. Für die Versuchsreihe nutzten wir eine Rezeptur mit 25 % Buchweizenmehl und 75 % Weizenmehl. Die Brotvolumina schwankten erstaunlicherweise um ca. 20 %. Wir benötigen zum Einsatz für die Backbranche Buchweizensorten, die das Brotvolumen nicht so stark beeinträchtigen.“ Seine Frau Stefanie Leonhardt, Ernährungsberaterin im Bäckerhandwerk, ergänzt: „Unsere Kunden beschäftigen sich intensiv mit dem Thema gesunde Ernährung. Buchweizen ist dabei nicht nur Getreide-Alternative, er besticht durch seine vielfältigen Einsatzmöglichkeiten und besondere Inhaltsstoffe.“
In Geschmack und Verarbeitung überzeugt das Knöterichgewächs alle Experten. Für die Landwirtschaft ist es eine einfach anzubauende Sommerkulturart. „Buchweizen ist eine relativ anspruchslose Kulturart“, meint Prof. Dr. Graeff-Hönninger. „Er wächst auch auf kargen Böden mit einer kurzen Vegetationszeit von gerade einmal 100 Tagen. Sein Stickstoffanspruch ist gering und in der Regel reicht der N-Vorrat im Boden aus, sodass Buchweizen nicht gedüngt werden muss. Allerdings ist sein Ertragspotenzial mit rund 20 bis 25 dt/ha etwa nur halb so groß wie das von Sommergetreide.“ Deswegen arbeitet das Forscherteam an einem alternativen Anbausystem, den Buchweizen als Zweitkultur nach Grünroggen oder einer frühreifenden Kartoffel Mitte Juni auszusäen. „Solange früh reifende Buchweizensorten gewählt werden, scheint dieser für Buchweizen späte Aussaattermin nur minimale Ertragsverluste zu bringen und trotzdem noch rechtzeitig im September abzureifen“, erklärt Longin erste Versuchsergebnisse. Und die Anbauexpertin Graeff-Hönninger ergänzt: „Der Landwirt kann so auf ein- und demselben Feld zwei Kulturen in einem Jahr anbauen und muss nicht alleine vom Ertrag des Buchweizens leben. Er bietet dem Landwirt sozusagen eine zusätzliche Anbau- und Einnahmequelle. Dies macht die niedrigen Erträge wieder wett.“
Buchweizen für mehr Biodiversität
Seine späte Anbauzeit mache den Buchweizen zu einer idealen Insektenweide, sagt Claus-Peter Hutter, Leiter der Umweltakademie Baden-Württemberg und Ehrensenator der Universität Stuttgart. „Buchweizen bietet Insekten eine Nahrungsquelle zu einem Zeitpunkt, wenn alle anderen Kulturarten und auch viele Wildpflanzen längst verblüht sind. Damit kann die Vielfalt von nützlichen Insekten in der Landwirtschaft deutlich erhöht werden. Neben Honigbienen werden die Buchweizenfelder vor allem von Wildbienen und anderen Insekten, wie Schmetterlingen, Käfern und Heuschrecken, aufgesucht. Dies ist wiederum Basis für viele Feldvögel und andere Tiere der Offenlandschaft.“
Gastronom Schlatter ergänzt: „Buchweizenhonig ist polarisierend in seinem Geschmack, aber ich kann ihn mir als ideale Zutat in der Verarbeitung bei charaktervollen Desserts oder als Lack gemeinsam mit Wild- und Gartenkräutern zum Glasieren von Bachforellen oder Wildfleisch vorstellen. Durch sein vollmundig würziges und zugleich intensives Aroma finde ich die Verwendung bei veganen und nachhaltigen Gerichten sehr spannend.“
In Vergessenheit geratene Kulturpflanzen wieder zu etablieren, komme neben dem Erhalt der Artenvielfalt aber auch der biologischen Vielfalt in der Landwirtschaft zugute. „Insbesondere in der Landwirtschaft ist die früher vorherrschende große regionale Vielfalt an Nutzpflanzenarten und -sorten, Nutztierrassen und nützlichen Kleinlebewesen stark zurückgegangen. Wenn wir alternative Kulturarten wie den Buchweizen im Anbau wieder fest etablieren, steigt diese Vielfalt in der Landwirtschaft wieder und schafft oder erhält so die alternativen Biotope von zahlreichen Wildtieren und -pflanzen“, meint Prof. Longin.
„Eine Etablierung alternativer Kulturarten ist kein Selbstläufer, sondern erfordert ein klares Konzept“, so Longin weiter. Damit sich ein Anbau für die Landwirte lohne, müsse es gelingen, wenige heimische Buchweizensorten zu züchten und stabile Wertschöpfungsketten mit fairen Preisen zu schaffen, betont der Experte mit Nachdruck. Wie dies funktionieren kann, hat Longin die letzten zehn Jahre an Einkorn, Emmer und Dinkel erarbeitet. „Bereits mit unseren Veranstaltungen für Praktiker aus Landwirtschaft, Müllerei, Bäckerei, Cerealien- und Teigwarenindustrie zu Einkorn, Emmer und Dinkel zeigt sich, wie wichtig es für die Praxis ist, dass es eine gut funktionierende Wertschöpfungskette gibt.“ Dazu gehöre einerseits die Information für den Landwirt zum Anbau der alternativen Kulturarten und eventuelle Besonderheiten. „Faire Preise werden durch den Konsum bestimmt. Wir haben aber bereits bei unseren Versuchen zu Einkorn und Emmer festgestellt, dass eine Steigerung des Konsums aktuell vor allem daran scheitert, dass der Endverbraucher diese Arten gar nicht kennt.“ Andererseits sei es genauso wichtig, weiter an alternativen Kulturpflanzen zu forschen und die Öffentlichkeit über diese nachhaltigen Alternativen zu informieren, die so viel für eine vielfältige Landwirtschaft und zum Naturschutz beitragen können. „Es lohnt sich, auch mal über den Tellerrand hinauszublicken und statt dem Weizenmisch- auch einmal ein Brot mit viel Buchweizen zu kosten.“
Zum Projekt-Flyer geht es hier: https://www.uni-hohenheim.de/uploads/media/Flyer_Buchweizen.pdf
Universität Hohenheim