Vertical Farming, vereinfacht gesagt Landwirtschaft in geschlossen Glashäusern über mehrere Etagen, wird als Zukunftstechnologie zur Lebensmittelerzeugung diskutiert. Grund genug für das Hans Eisenmann-Forum für Agrarwissenschaften (HEF) der Universität München, gemeinsam mit anderen Organisationen Wissenschaftler und Gründerszene bei einer Tagung Mitte März zusammenzubringen.
Viele kennen Vertical Farming im Kleinen in Form von Glasschränken in Supermärkten und Geschäften, in denen in kontrollierter Atmosphäre zum Beispiel Salat oder Kräuter angeboten werden. Ähnlich funktionieren auch große Gewächshäuser, in denen auf unzähligen Etagen unabhängig von Wettereinflüssen große Mengen pflanzlicher Lebensmittel erzeugt werden können. Prof. Dr. Senthold Asseng vom Hans Eisemann-Forum stellt zunächst einige grundsätzliche Überlegungen vor. „Im Vertical Farming kann unabhängig vom Wetter 24 Stunden am Tag beleuchtet eine gleichbleibend hohe Qualität mit mehreren Ernten pro Jahr erzeugt werden. Flächen werden eingespart, es gehen keine Nährstoffverluste in die Umwelt, es kann bis zu 90 % Wasser eingespart werden und Pflanzenschutzmittel werden nicht mehr benötigt. Und nicht zu vergessen: Lebensmittel können da erzeugt werden, wo sie gebraucht werden, Transportwege können deutlich kürzer werden. Aber der Aufwand für die Klimasteuerung und die Beleuchtung der vielen Etagen erfordert einen hohen Energieaufwand. Deshalb kann das Vertical Farming eine Ergänzung für die Landwirtschaft sein, denn hier fällt viel Energie an, die genutzt werden kann.“
Viele Fragen seien noch nicht geklärt. Wo seien zum Beispiel die Grenzen des Wachstums im Vertical Farming bei 24-stündiger Beleuchtung, so Prof. Asseng? Die NASA habe einen Indoor-Weizen gezüchtet und mit fünf Ernten im Jahr auf der Fläche einen bis zu 6 000 Mal höheren Ertrag errechnet. „Sicher sind diese Systeme bei Flächenkulturen aufgrund des hohen Energiebedarfs noch nicht wirtschaftlich, aber man darf nicht vergessen, dass die aktuelle Nahrungsmittelproduktion auch nicht wirtschaftlich ist, sondern mit Ausgleichszahlungen gestützt wird. Und die Kosten für die Umweltverschmutzung sind noch nicht eingerechnet“, gab Prof. Asseng zu bedenken.
Er sieht ein großes Potenzial im Vertical Farming, denn vermutlich sei die Qualität der Lebensmittel besser und der Nährwert höher, da der Witterungseinfluss ausgeschaltet ist. Und man brauche weniger Arbeitskräfte durch die hohe Automatisierung. Vertical Farming könne ein Teil der Nahrungsmittelproduktion sein, um die Erzeugung abzusichern und näher an die Verbraucher zu bringen. Die Versiegelung der Flächen werde durch die Freisetzung anderen Flächen, die dann für Biodiversitätsmaßnahmen genutzt werden könnten, mehr als kompensiert. Landwirte sieht er beim Vertical Farming aufgrund ihres Pflanzen-Know-hows im Vorteil.
Wie das in der Praxis aussehen kann, berichtete Daniel Lock von Kalera AS. Das Biotechnologie-Unternehmen mit Hauptsitz in Orlando, Florida, entwickelt und betreibt Vertical Farming-Anlagen weltweit. Er bezeichnete die bestehende Nahrungsmittelproduktion als nicht produktiv genug mit Blick auf eine Weltbevölkerung von 10 Mrd. Menschen. Vertical Farming sei auch noch nicht ganz dort, wo man gerne hinwolle, es seien schon viele 100 Mio. Dollar von Investoren in die Entwicklung des Verfahrens geflossen. Das Thema sei komplex, weil es sich um lebende Organismen handele. Aktuell sind weltweit zehn Farmen in Bau oder schon in Betrieb. „In Orlando produzieren wir 5 Mio. Salatköpfe pro Jahr, in Atlanta bereits 10 Mio. In Kuwait ernten wir 400 bis 500 kg pro Tag, dort wird von Hand geerntet“, so Daniel Lock. Die Anlage in Kuwait sei wirtschaftlich, da sie Salat-Importe aus Italien ersetze, die eingeflogen würden. Eine neue Anlage in Singapur wurde gemeinsam mit der dortigen Regierung geplant, um die Eigenversorgung bis 2030 auf 30 % zu steigern. Die Anlage dort werde automatisch beerntet und produziere 1,3 t Frischware pro Tag, so Lock.
Auch in Deutschland hat Kalera bereits eine „Farm“ im eigenen Bürokomplex in München. Im Großraumbüro gibt es dort eine Anlage von 250 m², die als Testfeld genutzt wird und rund 5 330 kg/Jahr Salate, Kräuter und Senfsaaten liefert. Eine weitere Anlage steht in München in einem Edeka-Markt. Dort werden auf vier Etagen 400 Pflanzen pro Tag geerntet. „Das ist die erste Vertical Farming-Anlage direkt in einem Verkaufsraum.“
Auch Daniel Lock wies auf die hohen Energiekosten hin. Eine Farm biete sich deshalb überall dort an, wo es einen Energieüberschuss gebe oder Energie erzeugt werde, hier empfehle sich auch die Landwirtschaft.
Mit Blick auf die Nachhaltigkeit sei auch das Thema Verpackung wichtig, dies hänge von den Vorgaben in den einzelnen Ländern ab. Grundsätzlich hält er Vertical Farming für sehr nachhaltig: „Bei bis zu 20 Etagen übereinander und bis zu 18 Ernten im Jahr kommt kein normales Gewächshaus mit“, betonte er abschließend.
Welche Pflanzen sind grundsätzlich im Vertical Farming denkbar? Während für Flächenkulturen, wie zum Beispiel Getreide, im Moment die Kosten noch zu hoch sind, sind Salate oder sogenannte Babyleafs, also sehr junge eher hochpreisige Salatpflanzen, interessant. Ebenfalls bereits angebaut werden Kräuter. Aber die Experten nannten auch Arzneikräuter oder Arzneipflanzen, wie Cannabis, als mögliche Kulturen, da hier die Margen höher seien. Dr. Pádraic Flood von Infarm, einem Berliner Anbieter von Anlagen direkt in Restaurants oder Verkaufsstellen, betonte, dass auch kohlenhydrathaltige Pflanzen, wie Reis oder Mais, zur Ernährungssicherung wichtig seien. Doch er sieht auch ganz neue eiweißhaltige Pflanzen im Indoor-Farming, zum Beispiel Aardacker, auf Deutsch die Knollige Platterbse, die bereits im Rheintal angebaut werde. „Sie enthält zehnmal mehr Protein als Kartoffeln“, so Dr. Flood.
Wie Vertical Farming jetzt schon in der Praxis eingesetzt wird, berichtete Jochen Haubner, Gärtner aus Nürnberg, der unter anderem Salatköpfe mit Wurzelballen unter der Marke SalaJoe produziert. In seinem vollautomatischen Verkaufsautomaten wächst der Salat und der Kunde wählt den Salatkopf, den er gerne kaufen möchte. Der Roboterarm gibt den Salat heraus und der Kunde kauft den Salat mit Wurzelballen, der ihn länger frisch hält. Dieses Vertical Farming im Kleinen ist für ihn - ebenso wie die Jungpflanzenaufzucht über mehrere Etagen oder der vertikale Anbau von Gurken oder Tomaten in seinem Gewächshaus - eine Form der neuen Verfahren. Trotz seiner Begeisterung für die neue Technik sieht er doch auch verschiedenen Dinge kritisch. „Wenn ein Gartenbaubetrieb in eine neue Technik einsteigt, muss sie sofort rentabel sein, sonst funktioniert es nicht.“ Sind große Investoren mit im Spiel, stelle sich die Frage nach der Verfügbarkeit der Lebensmittel. Sind sie dann ein Beitrag zur Ernährungssicherung oder vielleicht nur für reiche Konsumenten, die hohe Preise bezahlen können, zugänglich? Wie verfügbar ist die Technik, welche Marktmacht hätten Anlagenanbieter? Und nicht zuletzt: wie groß ist die Akzeptanz beim Verbraucher, Salat, der ohne Erde im geschlossenen System angebaut wurde, zu kaufen? Aber auch ganz konkrete technische Fragen stellen sich: „Wie gut ist die Durchströmung der Etagen mit Luft und gut ist die Klimaregelung? Und am Ende glaube ich nicht, dass man wirklich ohne Pflanzenschutzmittel auskommt. Keine Anlage ist so steril, dass Pilzkrankheiten oder Schädlinge wirklich draußen bleiben“, so Thomas Haubner.
Dass Vertical Farming längst ein Markt ist, zeigten verschiedene Start-ups, die sich von Saatgut über Technik bis hin zur Digitalisierung und Datenverarbeitung mit dem Thema beschäftigen. Doch auch große Unternehmen, wie zum Beispiel der Großhändler Würth, sind mit im Boot. So forscht Würth zum Beispiel beim Thema LED-Beleuchtung im Vertical Farming, da die Beleuchtung nicht nur ein zentraler Punkt für das Gelingen darstellt, sondern auch große Einsparpotenziale verspricht.
Natascha Kreuzer/LZ Rheinland