Bei Renaturierungen von Ökosystemen stellt sich die Frage, welche Pflanzen auf den Flächen ausgesät werden sollen. Es zeigt sich, dass nicht nur die Auswahl der richtigen Pflanzenarten, sondern auch deren regionale Herkunft mitentscheidend für ein vielfältiges Insektenleben ist. Insbesondere bestäubende Insekten sind davon betroffen.
Individuen derselben Pflanzenart unterscheiden sich von Region zu Region (Ökotypen). So werden beispielsweise die Blütezeit und die Anzahl der Blüten einer Pflanzenart maßgeblich durch die Region mitbestimmt, in der sie sich über Jahrtausende entwickelt hat. Werden Samen dieser Ökotypen in anderen Gebieten ausgesät, bringen sie ihre typischen Anpassungen – eingebrannt in ihrem Erbgut – mit.
Bei Renaturierungsprojekten wurde bisher kaum beachtet, ob gebietsfremdes Saatgut zu den lokalen Gegebenheiten eines Ökosystems und seiner natürlichen Insektenwelt passen. Das untersuchte jetzt eine Forschergruppe des Institutes für Landschaftsökologie (ILÖK) der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und des Zentrums für Biodiversitätsmonitoring (ZBM) des Zoologischen Forschungsmuseums Alexander Koenig in Bonn. In einer weiteren Studie befasste sich eine internationale Forschungsgruppe mit den Ökosystemdienstleistungen einer bei vielen Menschen nicht so beliebten Gruppe der Hautflügler, den Wespen.
Für die Versuche zum Einfluss der regionalen Herkunft von Blühpflanzen auf die Bestäubervielfalt wählten die Forschenden sechs verschiedene Wildpflanzenarten aus, die in ganz Deutschland vorkommen: Die Acker-Witwenblume (Knautia arvensis), den Gewöhnlichen Hornklee (Lotus corniculatus), das Weiße Labkraut (Galium album), das Taubenkropf-Leimkraut (Silene vulgaris), die Wiesen-Flockenblume (Centaurea jacea) und das Gewöhnliche Ferkelkraut (Hypochaeris radicata).
Das Saatgut der sechs Pflanzenarten stammte jeweils aus drei verschiedenen Regionen: Aus Westfalen (bei Münster, ozeanisches Klima, Durchschnittstemperatur 8 -10 Grad Celsius), aus dem östlichen Brandenburg (bei Frankfurt/Oder, kontinentales Klima, Durchschnittstemperatur 8 - 10 Grad) und aus Bayern (Region München, kontinentales Klima, Durchschnittstemperatur 6 - 8 Grad).
Für den Versuchsaufbau wurden im Münsterland drei Parzellen mit einer Mischung der sechs Pflanzenarten bepflanzt – in jeder Parzelle nur Pflanzen aus jeweils einer Herkunftsregion. Über den Sommer erfassten die Forscher:innen die Entwicklung der Pflanzen, ihr Blühbeginn, Anzahl der Blüten, Häufigkeit der Blütenbesuche (gezählt wurde an insgesamt drei Beobachtungstagen jeweils für 15 Minuten) sowie die Vielfalt der bestäubenden Arten.
Sie stellten fest, dass die Pflanzen aus dem Süden allgemein früher und häufiger blühten. Die „südliche“ Parzelle zeigte im Durchschnitt nicht nur die meisten Blüten, sondern auch das vielseitigste Blütenangebot. Daher waren hier auch die meisten Bestäuber zu beobachten (369 Blütenbesuche). Die Parzellen mit den Pflanzen aus dem Westen und Osten der Republik besuchten jeweils weniger als 200 Insekten. Auch die Artenvielfalt der Bestäuber war bei den „bayerischen“ Pflanzen doppelt so hoch. Allerdings nahmen diese Unterschiede im Sommer ab, da das Angebot an blühenden Pflanzen auch in den Parzellen mit den Pflanzen aus Westfalen und Brandenburg zunahm.
Insgesamt konnten 737 Blütenbesuche in allen Parzellen beobachtet werden, wobei der Hornklee (265 Besuche), das Ferkelkraut (264 Besuche) und die Flockenblume (108 Besuche) die „beliebtesten“ Pflanzenarten waren. Honigbienen landeten meist auf den Korbblütlern Ferkelkraut und Flockenblume, während Hummeln den Hornklee bevorzugten, besonders in der östlichen Parzelle (60 Prozent aller Blütenbesuche).
Die Forschenden vermuteten daher, dass Bestäuber manche Pflanzenarten nicht nur aufgrund ihrer Blütenanatomie (passend für kurze oder lange Saugrüssel), sondern auch aufgrund der jeweiligen Herkunft bevorzugen.
Warum blühen die Pflanzen aus dem Süden in Münster früher? Die Forscher:innen bringen das mit den leicht tieferen Durchschnittstemperaturen und dem kontinentalen Klima im Alpenvorland in Verbindung. Im milderen, ozeanischen Klima des Münsterlandes können die kälteangepassten Pflanzen früher und häufiger blühen. Dadurch ziehen sie mehr Insektenarten an und die Zahl der Blütenbesuche steigt.
Allerdings bedeutet das alles nicht, dass bei Renaturierungsprojekten nur noch Pflanzen aus Süddeutschland verwendet werden sollten, betonen die Forschenden. Die Ergebnisse zeigen allgemein, dass Pflanzen der gleichen Art je nach regionaler Herkunft andere Eigenschaften aufweisen und damit Einfluss auf die Insekten der jeweiligen Region nehmen.
Die Interaktionen müssen noch näher erforscht werden, um Vor- und Nachteile zu erkennen. Denn solche Effekte können sich auch negativ auswirken: Zum Beispiel können zu früh blühende Pflanzen aus einer anderen Region das lokale Pflanze-Bestäubersystem „entkoppeln“, wenn die passenden Insekten zur Blütezeit der Pflanzen noch nicht da sind. In der Folge würden hauptsächlich nur die Generalisten unter den Insekten von diesen Pflanzen profitieren. Spezialisierter Bestäuberinsekten würden möglicherweise aus dem Ökosystem verschwinden. Daher sollten regionale Besonderheiten bei der Auswahl von Pflanzen für Renaturierungsmaßnahmen in Zukunft mitberücksichtigt werden, um einen größtmöglichen Erfolg zu erzielen. Außerdem ist noch viel Forschung nötig, um dieses fein abgestimmte Netzwerk zwischen Blumen und Bestäubern besser zu verstehen.
In einer weiteren Studie befasste sich eine internationale Forschungsgruppe mit den Ökosystemdienstleistungen, die bestimmte Wespenarten („stechende Wespen“) erbringen. Während alle von Bienen und Hummeln reden, werden diese Wespenarten nämlich nahezu völlig übersehen, sogar in der Forschung. Sie haben ein eher schlechtes Image, das ihnen sogar das Prädikat „nutzlos“ eingebracht hat.
Sie leiden aber unter denselben Problemen, die auch Bienen und Co. haben: Habitatverlust und Klimawandel – und sind daher ebenso bedroht. Das Forschungsteam werteten für ihr Review über 500 Studien aus, die zu den etwa 33 000 wehrhaften Wespenarten und ihren Funktionen in Ökosystemen durchgeführt wurden. Sie fanden heraus, dass Wespen mindestens ebenso wertvolle Ökosystemdienstleister sind wie Bienen und andere Sympathieträger unter den Insekten.
Ihre wichtigste Rolle haben Wespen als Räuber von Schadinsekten, wo sie eine führende Rolle einnehmen. Aber auch als Bestäuber kommt ihnen eine wichtige Rolle zu. 960 Pflanzenarten werden von Wespen bestäubt, wobei 164 Arten komplett von der Bestäubung durch Wespen abhängig sind, etwa einige Orchideenarten. Dazu sind mindestens zehn Pflanzenarten in Europa, Asien und Nordamerika auf Wespen zur Samenverbreitung angewiesen.
Wespen haben aber auch direkt für den Menschen einiges zu bieten: Ihre Larven und Puppen haben in mindestens 19 Ländern eine wichtige Funktion als Nahrung, ihr Gift und ihr Speichel sind von medizinischem Interesse (z. B. wegen ihrer antibiotischen Wirkung), während Waben aus den Nestern verschiedener Wespenarten eventuell auch bei der Behandlung von Leberkrebs hilfreich sein könnten.
Grund genug, um das negative Image der Wespen in der Öffentlichkeit zu relativieren und sie nicht mehr als wertloses Beiwerk abzutun. Denn tatsächlich sind es nur etwa 3 Prozent der stechenden Wespenarten (53 Arten), die mit ihrem gelegentlich etwas nervigen Verhalten die vielen positiven Aspekte der Wespen in der öffentlichen Wahrnehmung „überschatten“. Daher muss bei dieser wertvollen Insektengruppe noch sehr viel an Forschung nachgeholt werden, um Wespen und ihre Ökosystemdienstleistungen dauerhaft zu retten.
Quellen:
Bucharova, A. et al. (2021): Plant provenance affects pollinator network: Implications for ecological restauration. In: Journal of Applied Ecology, (8. März 2021), doi: 10.1111/1365-2664.13866.
Brock, R.E., Cini, A. und Sumner, S. (2021): Ecosystem services provided by aculeate wasps. In: Biological Reviews, (29. April 2021), doi: 10.1111/brv.12719.
Pflanzenforschung.de, 20.Mai 2021