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Herr über Tausende Völker

07.06.2023

„Heute Morgen war schon RTL da“, erklärt Deutschlands einziger Hummelzüchter zur Begrüßung auf seinem Betriebsgelände im hessischen Aarbergen. Inmitten von Feldern, weit abseits der nächsten Häuser, liegt die Brutstätte seiner pummelig-plüschigen Mitarbeiterinnen. Zu sehen ist von ihnen allerdings nichts, das Gelände zeigt zunächst, was Rüdiger Schwenks eigentlicher Beruf ist: Metallbauer, Handwerker, geprüfter Restaurator und künstlerisch veranlagter Schmied.

„Früher war das hier ein Rapsfeld“, erklärt er zwischen zu restaurierenden Autos, Materiallager, Werkzeug und Kunstwerken. Dank der Hummeln habe er die Möglichkeit bekommen, das Gelände zu nutzen. „Das kommt auch dem Schmieden zugute, denn hier stört es keinen, wenn es laut wird.“

Den Weg zu ihm gefunden haben schon einige – Medienvertreter und Prominente eingeschlossen. Sicher auch, weil der Mann mit seinen beiden Leidenschaften auch Botschafter ist. Ob ein Mahnmal zum Gedenken der Holocaustopfer, als symbolträchtige Kunstschmiedearbeit für die Toten der Flut im Ahrtal oder mit Nägeln, in die seine Besucher ihre Initialen schmieden und den Nagel in einen Holzpfahl schlagen dürfen – es gibt so viele Geschichten zu erzählen. Auch von denjenigen, die seine Hummelvölker bekommen. Dazu gehören neben Landwirten und Gärtnereibetrieben auch Wissenschaftler und Privatpersonen, die sich ein Volk auf den Balkon oder in den Garten stellen. „Ein Herr aus Wien bestellt schon seit vielen Jahren, einfach, weil er die Tiere so faszinierend findet“, freut sich der Züchter über die Begeisterung.

Sein Wissen über die pelzigen Flieger hat sich der studierte Bauingenieur selbst angeeignet, als er vor über 30 Jahren den Auftrag bekommen hat, eine passende Behausung für die Hummelzucht zu bauen, und anfing, zu den Tieren zu recherchieren. Mit vielen Versuchen und dokumentierten Unterschieden wertete er seine Erfragungen aus und hat nun einen – seinen – Zuchtweg gefunden. Über Zuchterfolg oder -misserfolg entscheiden auch bei Hummeln oft nur Kleinigkeiten.


Summende Kartons per DHL

„Ich verschicke sie mit DHL auch ins Ausland“, verrät Rüdiger Schwenk. Bisher hätte das gut funktioniert, aber in letzter Zeit sei die Zustellung nicht immer so zuverlässig gewesen, wie es seine kleinen Mitarbeiterinnen brauchen. Um den Versand überhaupt möglich zu machen, werden die Hummelvölker in eigens dafür konstruierten Behausungen he­rangezogen. „Hier haben sie alles, was sie brauchen“, ist sich der Experte sicher. Mit dem roten Licht, das in dem Raum mit allen Kartons herrscht, ist es für die Tiere dunkel und sie fühlen sich wie unter der Erde. Sie konzentrieren sich auf die Nahrungsbeschaffung und die Pflege der Brut. Im „Keller“ der Box ist Zuckerwasser gelagert und der Züchter stellt Pollen zur Verfügung. Natürlich auch genug für den Transport, aber nicht zu viel, damit die Hummeln dann auch ausfliegen. Gut zu erkennen ist die Königin, denn im Vergleich zu den anderen Hummeln ist sie deutlich größer. Die Königinnen zu überwintern und dann aus dem Winterschlaf zu wecken, ist eine der großen Herausforderungen der Hummelzucht – und absolutes Betriebsgeheimnis von Rüdiger Schwenk.

Was kein Geheimnis ist: Wenn Ende Januar die Temperaturen wärmer werden – in der Zucht natürlich von Rüdiger Schwenk gesteuert –, beginnt der Vermehrungszyklus: Die Königin legt Eier ab, die zu Larven werden, sich nach rund einem Monat verpuppen und dann als Arbeiterinnen schlüpfen. „Das ist eine Arbeiterin der ersten Generation“, zeigt Rüdiger Schwenk in das Gewusel in der Box. Sie ist deutlich kleiner als die anderen. „Man könnte meinen, dass es eine ganz junge Arbeiterin ist, die noch wächst, aber das Gegenteil ist der Fall: Hummeln haben nach dem Schlüpfen bereits ihre endgültige Größe“, erklärt der Experte. Am Anfang muss die Königin alle Larven selbst füttern, später übernehmen das die Arbeiterinnen. Je mehr mithelfen und je besser die Larven dadurch genährt werden, desto größer die Tierchen. Eine Methode, um die Völker schneller stark zu machen, sind „Gastarbeiterinnen“, wie Rüdiger Schwenk sie nennt: Arbeitsbienen. Mit ihnen verstehen sich die Hummeln gut und die fleißigen Arbeiterinnen unterstützen tatkräftig bei der Brutpflege.


Zeiten mit Höhen und Tiefen

Leider musste Deutschlands einziger Hummelzüchter in den vergangenen drei Jahrzehnten auch schon erleben, dass viele gerne sein Wissen anzapfen, dann aber wegen ein paar Euro pro Volk doch bei anderen internationalen Anbietern kaufen. „Dann haben sie sich gewundert, warum die Bestäubungsleistung dieser Völker nicht an die meiner Völker he­rankommt“, erinnert er sich an den Hilferuf von Kirschanbauern. Für ihn Genugtuung und für die Obstbauern ärgerlich, denn Hummeln haben gegenüber Bienen einen großen Vorteil: Sie sind im Frühjahr als erste Bestäuber unterwegs und fliegen schon ab 8 °C, Bienen erst bei 15 °C. Außerdem fliegen sie auch Tomaten an, die von Bienen links liegen gelassen werden.

Bombus terrestris ist die einzige Hummelart, die gezüchtet werden kann. „Und sie ist ideal, weil sie einen kleinen Rüssel hat und überall in der Blüte rankommt“, erklärt Rüdiger Schwenk. „Die Hummeln fliegen die Blüten an, beißen sich fest, vibrieren mit der Brustmuskulatur, schütteln quasi den Pollen von der Pflanze auf die Brust ab, schieben ihn dann auf die Hinterbeine und bekommen so die bekannten Pollenhöschen“, beschreibt der Züchter. An der nächsten angeflogenen Blüte werden Pollen, die noch auf der Brust hängen, abgegeben und so wird die Pflanze bestäubt.


Eine Bestellung, viele Völker

Wenn es warm genug ist, schickt Rüdiger Schwenk die ersten Völker los – oder sie werden von den neuen Besitzern persönlich abgeholt. Einen schattigen und vor Regen geschützten Platz bereit-zustellen reicht aus, die Hummeln sind sonst Selbstversorger. „Wenn die Versandkiste ankommt, packen Sie die Behausung aus, stellen sie dort auf, warten 20 Minuten und öffnen dann das Flugloch – danach müssen Sie überhaupt nichts mehr machen!“, wirbt der begeisterte Züchter für die pflegeleichten Mitbewohner, deren Lebenszeit mit zwei bis drei Monaten allerdings nicht sehr lang ist. „Dann haben aber schon Drohnen und Jungköniginnen das Volk verlassen, die sich dann in der freien Natur weiter vermehren. Als Laie ist es aber kaum möglich zu sehen, wie viele neue Königinnen und damit zukünftige Völker den Karton verlassen. „Bei einem meiner Völker hier habe ich mal 332 Jungköniginnen gezählt“, berichtet der Experte.

Mit etwa 40 bis 60 Hummeln gehen die Völker in den Versand. Der letztmögliche Zeitpunkt, ein Volk rauszusetzen, ist August, denn bis in den Oktober sind die Temperaturen üblicherweise noch warm genug für die Tierchen. Bis dahin werden von Aarbergen aus über 1 500 Völker ihre Reise angetreten haben. Etwas mehr als 200 Völker waren es, als die Saison 2023 kurz vor Ostern begonnen hat. Laut Wikipedia versenden die europäischen Unternehmen, die in der künstlichen Hummelzucht aktiv sind, jährlich mehr als 1 Mio. Hummelvölker weltweit. Zahlenmäßig kein Vergleich zur kleinen Zucht in Hessen. Doch Rüdiger Schwenk liebt seine Hummeln und kann sich nicht vorstellen, mit der Zucht aufzuhören. Dank einer Mitarbeiterin, die sich mit um die Fütterung kümmert, liegt nicht mehr alle Arbeit bei ihm und er kann das ganze Jahr über auch seinem eigentlichen Beruf nachgehen.

 


Kathrin Fries/ LZ Rheinland

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