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Mob Grazing – eine alternative Weidestrategie?

04.05.2020

Auf der Suche nach einem für die Trockenheit geeigneten Weidesystem stoßen viele Betriebe aktuell auf die Begriffe: Ganzheitliches Weidemanagement, Regenerative Weidewirtschaft, Holistic Grazing, Rational Grazing oder Mob Grazing. Diese Begriffe beschreiben im Wesentlichen denselben Grundgedanken zu einer speziellen Weideform, die im Folgenden näher beschrieben werden soll.

Nach zwei sehr trockenen Weidejahren mit ausgeprägten Hitzeperioden und über Monate fehlenden Niederschlägen, entsprechend fehlenden Weidezuwächsen und verminderten Erträgen sowie langen Weidephasen, die durch Zufütterung im Stall geprägt waren, kommt das System der Kurzrasenweide an Grenzen. Aus trockeneren Regionen der Erde kennt man das Holistic- oder Mob- Grazing – System, das Ganzheitliches Weidemanagement meint, eine Art Permakultur (nachhaltiges Konzept auf natürlichen Ökosystemen und Kreisläufen basierend) auf der Weide.

Unbekanntes – neues Weidesystem

Bislang gibt es europaweit keine wissenschaftlichen Erkenntnisse zu diesem Weidesystem, nur einzelne wenige zwei- bis dreijährige Erfahrungen in Praxisbetrieben. Regenerative Weidewirtschaft, Holistic Grazing Managment (ganzheitliches Weidemanagement), Mob-Grazing und Rational Grazing meinen im Wesentlichen dasselbe. Diese Begriffe beschreiben ein und denselben Grundgedanken zu einer Weideform, die die Aspekte Klimaschutz, Bodenfruchtbarkeit und Tiergerechtheit vereinen soll.

Diese Form des Weidemanagements ist in Deutschland und Europa weitgehend unbekannt. Den Entwicklern und praktizierenden Betrieben nach soll es sich um eine hoch effiziente und ökologisch vorteilhafte Weidestrategie für Wiederkäuer handeln, die die Böden durch Humusaufbau verbessern und den Pflanzenbestand auch bei Niederschlagsmangel vielfältig und ertragsfähig halten soll. Keine der in Deutschland bisher bekannten und angewendeten Nutzungsformen für Weiden entspricht der Beschreibung dieser Form des Weidemanagements.

Alternative Weidestrategie nach altem Vorbild

Grundlegend versucht diese Weideform vom natürlichen Fressverhalten von Wiederkäuern, die evolutionär Herdentiere sind, Rückschlüsse auf eine moderne Weidehaltung zu ziehen. Rinderherden legten zur Futteraufnahme weite Distanzen zurück und zogen eng vereint dem Futterangebot hinterher. Das ganzheitliche Weidemanagement ist demnach ein Weidesystem, bei dem die Tiere als Herde gemeinsam bei hohem Besatz eine begrenzte Fläche nur kurz beweiden und anschließend eine lange Ruhephase der Weide folgt. Die Rinder "ziehen dem Futterangebot hinterher". Dies erfordert wechselnde Weideflächen, die nach der Nutzung lange Pausen zur Regeneration erhalten.

Bodenfruchtbarkeit steigern

Der Aspekt der Bodenfruchtbarkeit wird in besonderer Weise berücksichtigt. Zum einen wirken natürlich die Nährstoffausscheidungen der Weidetiere in Form von Kot und Harn wie bei herkömmlichen Weidesystemen. Auf diese Weise werden Kohlenstoff, Stickstoff und andere Haupt- und Mikronährstoffe dem Boden zugefügt und fördern die Bodenfruchtbarkeit. Zum anderen werden die Weidetiere in einen relativ hohen Pflanzenbestand getrieben, um neben der Aufnahme von Weidefutter auch Pflanzenmaterial und Exkremente in den Boden zu treten.

Hohe Besatzdichten anstreben

Die Besatzdichten sind als "Werkzeug im Weidemanagement" zu begreifen und entsprechend hoch zu wählen. Es handelt sich um ein Portionsweidesystem, das bei nahezu schnittreifem Bestand bestoßen wird. Die Tiere weiden auf relativ engem Raum in kleinen Parzellen. Jede Weideparzelle wird nur einmal bestoßen und vor erneutem Auftrieb wird eine lange Ruhezeit von 20-25 Tagen eingehalten.

Mikroklima schützt

Der erhöhte Aufwuchs bietet ein Mikroklima, in dem weniger Wasser verdunstet und somit länger Photosynthese für das Pflanzenwachstum betrieben werden kann. Der hohe Pflanzenbestand schützt den Boden auch vor Verschlämmung nach Regenfällen. Somit kann mehr Wasser in den Boden sickern und weniger Oberboden wird abgeschwemmt. Es ist deshalb vorteilhaft, nur die energiereicheren, oberen Teile der Pflanzen fressen zu lassen. Die niedergetretenen Pflanzenstängel bilden eine Mulchschicht und schützen den Boden vor Erosion und Austrocknung. Das so zugeführte organische Pflanzenmaterial erhöht die Bodenfruchtbarkeit und somit das Wasserhaltevermögen.

Weidereste als Mulchschicht

Die Beweidung erfolgt beim Weidepflanzenbestand in der Phase des zügigen Wachstums. Die Weidepflanzen werden nicht unter 8 bis 10 cm abgeweidet, das heißt., das obere Pflanzendrittel wird gefressen. Zeit für die energieaufwändige Regeneration benötigen die Pflanzen dann nicht. Weidereste werden von den Weidetieren niedergetreten und bilden eine Mulchschicht als ständige Nahrungsquelle für das Bodenleben zur Förderung der Bodenfruchtbarkeit.

Weidereste ausdrücklich erwünscht

Ganz konkret unterscheidet sich das Mob Grazing als ganzheitliches Weidemanagement von herkömmlichen Weidesystemen vor allem im Umgang mit den Weideresten. In allen bekannten Weidesystemen sind Weidereste unerwünscht, da Futterverluste hier als Nutzungskosten bewertet werden. Dagegen sind beim holistischen Management Weidereste ausdrücklich erwünscht, da diese systembedingt organisches Material zur Förderung des Bodenlebens und der Bodenfruchtbarkeit zuführen.

Praktische Umsetzung

Kanadische Weidebetriebe setzen das Mob Grazing mit dem Prinzip der kurzfristigen intensiven Herden-Weideführung um. Die Besatzdichten und Umtriebe auf neue Flächen werden den Wetterverhältnissen und somit dem Pflanzenwachstum angepasst. Besonders in Trockenzeiten bietet dieses System Vorteile und sichert Weidebetrieben auch in Dürrezeiten genügend Erträge.

Später bestoßen – intensiver beweiden

Zu Weidebeginn, besonders während der Sommermonate, wird ein hoher Aufwuchs angestrebt, der nicht zu tief verbissen werden sollte. Die Weideumtriebe müssen so gestaltet werden, dass alle Pflanzen genügend Zeit für ihr Wurzelwachstum haben. Auf diese Weise gelangen sie an mehr Wasser (Abbildung). Pflanzen in Trockengebieten oder in Dürresituationen benötigen genügend Zeit zum Wachstum und dürfen nicht überweidet werden. Einzeltierleistungen können aufgrund der älteren Pflanzen und der daraus resultierenden niedrigeren Energiegehalte sinken, die Flächeneffizienz jedoch kann deutlich steigen. Die Länge der Aufwuchsdauer ist von der Pflanzenart abhängig. Auf trockenen Standorten werden nicht nur Untergräser wie Wiesenrispe und Weidelgras, sondern auch vermehrt Tiefwurzler und Horstgräser (Rohrschwingel, Rot-Straußgras, Rotschwingel, Wiesenlieschgras, Weidezichorie, Luzerne etc.) benötigt.

Täglich umtreiben

Weideparzellen sollten lang und schmal abgezäunt werden. So wird das Zertreten der Gräser mit hohen Besatzdichten erreicht, da sich die Weidetiere häufiger hin und her bewegen, was die gewünschten Effekte verstärkt. Diese Praxis wird derzeit auf trockenen bis halbtrockenen Standorten, mit meist geringem Humusgehalt, umgesetzt und kann auch in trockenen Regionen Mitteleuropas in Zukunft an Bedeutung gewinnen.

Werden die Tiere in kleine Weideparzellen getrieben, wird der Fressdruck erhöht und der höhere Pflanzenbestand wird gleichmäßig und effizient beweidet. Abhängig von der gewünschten Besatzdichte steht pro Umtrieb weniger Futter zur Verfügung. Um den Futterbedarf trotzdem zu decken, sind mehrmalige Umtriebe nötig. So werden alle Pflanzen gleichmäßig verbissen, unabhängig von der Schmackhaftigkeit. Auf diese Weise werden sogar Unkräuter, z.B. Disteln, zurückgedrängt. Um die Futternutzung zu optimieren, werden die beweideten Flächen kurz und breit oder zumindest quadratisch abgezäunt. Somit teilen sich die Weidetiere gleichmäßiger auf und es wird dann mehr Weidefutter gefressen und weniger niedergetreten.

Einfach zäunen

Um flexibel zu bleiben und die Besatzdichten den Aufwüchsen anpassen zu können, wird ein ausgeklügeltes Weidezaunsystem benötigt. So genannte Weidespinnen können häufiges und zügiges Umtreiben erleichtern, indem sie beim Versetzen über die Weide gleiten bzw. rollen; ein zeitaufwändiges Weidepfahlversetzen entfällt.

Perspektive

Um eine Aussage darüber treffen zu können, ob das Ganzheitliche Weidemanagement, auch als Mob Grazing oder Holistic Grazing bezeichnet, als Weidesystem eine geeignete Alternative für Praxisbetriebe in unseren Breitengraden in trockenen, heißen Sommern darstellt, wie die Auswirkungen auf Bodenfruchtbarkeit und Kohlenstoffbindung im Boden sind, ob sich eine zunehmende biologische Vielfalt (Biodiversität) ergibt und welche Flächen- und Tierleistungen in diesem System zu erzielen sind, müssen zukünftige Untersuchungen erst noch zeigen.


Im Überblick

Umsetzung - Wie funktioniert es praktisch?
  • Auftrieb bei mind. 15 - 20 cm Wuchshöhe (in nahezu "schnittreifen Bestand")
  • Weidedauer ½ bis 2 Tage pro zugeteilte Fläche (je nach Zuwachsrate)
  • Hohe Besatzdichte
  • Abfressen des oberen Aufwuchsdrittels
  • Weidereste werden z. T. niedergetreten
  • Ruhepause der Weideaufwüchse von mind. 20-25 Tagen je nach Weidephase und Zuwachsverhalten
  • Keine Bodenbearbeitung, Düngung, Nachsaat
► Weidereste sind bei diesem Weidesystem nicht als Verluste zu sehen, sondern werden angestrebt und dienen als organische Nahrungsgrundlage für das Bodenleben.
Auswirkungen
  • Weidereste fungieren als Nahrung für Bodenleben
  • Mehr Blattmasse für höhere Photosyntheseleistung
  • Stärkere und intensivere Wurzelbildung, Bodenlockerung
  • Bessere Nährstoff- und Wasserhaltekapazität
  • Mehr Kohlenstoffeinlagerung im Boden über C-haltige Pflanzenreste (Stängel, Blätter, Wurzeln)
  • Bessere Resilienz bei Trockenheit, schnelleres Regenerationsvermögen
  • Höherer Bodenbedeckungsgrad
► Verstärkte Humusbildung
Grundlegendes
  • Permanent bedeckter Boden
  • Keine Brache
  • Keine Mineraldünger, nur Exkremente der Weidetiere = organische Düngung
  • Kein Pestizideinsatz, Verzicht auf Herbizide, Fungizide und Insektizide
  • Hohe Biodiversität (Flora und Fauna)
► Durch Beweidungspausen von 20-25 Tagen wird die Phase des stärksten Pflanzenwachstums ausgenutzt.

Anne Verhoeven,

Landwirtschaftskammer NRW, Haus Riswick

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