Die angestrebte Temperatursumme im Frühjahr von 200 Grad Celsius ist am Niederrhein aktuell erreicht. Wenn die Weideflächen dann ausreichend abgetrocknet sind, kann mit der so genannten Vorweide begonnen werden.
Ein optimaler Weidestart gelingt mit einer stundenweisen Beweidung unmittelbar nach Vegetationsbeginn, wenn die Weideflächen abgetrocknet und tragfähig sind. Dabei können alle für die Weidetiere gut erreichbaren Weiden vorgeweidet, das heißt kurz überweidet, werden. Der frühe Tritt und Biss der Weidetiere regt die Bestockung der Gräser ideal an, in dem vermehrt Seitentriebe gebildet werden. Untergrasreiche dichte Grasnarben sowie stabile Erträge mit hohen Futterqualitäten können so am besten erreicht werden und die Trittschadengefahr während der anstehenden Weidesaison mit wechselnden Witterungsverhältnissen ist dann sogar deutlich geringer. Der zeitige Verbiss bremst sehr frühe Gräser (Wiesenfuchsschwanz, Wolliges Honiggras) und Kräuter (Löwenzahn) deutlich im Wuchs. So bekämpfen die Weidetiere in dieser Zeit der Vorweide auch hervorragend den unerwünschten Ampfer. Er wird in diesem ganz jungen Stadium von den Wiederkäuern gern gefressen. Die Rosettenblättchen des Ampfers zeigen sich nämlich sehr früh nach Vegetationsbeginn und durch den frühen Verbiss in diesem Stadium wird diese Pflanze erheblich geschwächt.
Das frühe Überweiden setzt zwar eine ausreichende Abtrocknung der Flächen voraus, gleichwohl ist die Weidenutzung eher möglich als das Befahren mit schwerem Gerät. Die maschinelle Frühjahrsweidepflege, wie schleppen, striegeln, walzen, Nachsaat, erfolgt nach der Vorweide; in dem Zuge werden die Kotfladen auf den geplanten Schnittflächen für den gewünschten Rotteprozess gleichmäßig verteilt.
Auf Weideflächen mit Maulwurfshaufen und lückigen Narben passt eine gezielte Nach- oder Übersaat perfekt zur Vorweide, denn die weidenden Kühe und Rinder halten den bestehenden konkurrierenden Weideaufwuchs kurz. Die Nachsaat, idealerweise eine Qualitätsstandardmischung G V mit oder ohne Weißklee, kann zügig keimen und sich etablieren. So verwandeln sich unbefriedigende Bestände erstaunlich schnell in dichte und ertragreiche Weiden. Natürlich ist es ratsam, möglichst alle Weiden von der Vorweide profitieren zu lassen.
Ein relativ geringer Tierbesatz verteilt sich stundenweise großflächig auf den Weiden. Dabei bringt die Vorweide zwar noch keine großen Futtermengen, aber die Fütterungsumstellung verläuft kontinuierlich, da die Kühe im Stall noch mit der Winterfutterration versorgt werden. Die Tiere fressen die ersten jungen Gras- und Krauttriebe auf der Weide zusätzlich. Nicht nur in dieser Phase der gleitenden Futterumstellung geben die Kühe erfahrungsgemäß mehr Milch. Wissenschaftliche Versuche aus Irland bescheinigen der Grasnarbe während und nach der Vorweide eine höhere Dichte und Qualität. So fressen die Tiere während dieser Zeit insgesamt mehr Trockenmasse, was die Milchleistungen aus Weideaufwuchs signifikant steigert. Zudem enthielt der Aufwuchs nach der Vorweide mehr Rohprotein und war besser verdaulich. Die Umstellung von der Winterfütterung auf die Frühjahrsweide bedeutet außerdem eine deutliche Veränderung der Futterzusammensetzung.
Aktuelle Forschungsergebnisse zur Weideübergangsfütterung zeigen, dass die Vormägen der Wiederkäuer mit ihren Pansenmikroben Zeit benötigen, um sich optimal an den Rationswechsel zu gewöhnen. Der zeitige Weideaustrieb bietet den Wiederkäuern eine sanfte Futterumstellung, da Graswachstum, Weidezeiten und Weidefutteraufnahme im Laufe des Frühjahrs kontinuierlich ansteigen. Der Pansen und die darin lebenden Mikroorganismen können sich zunehmend auf den Futterwechsel einstellen. So wird mit der zeitigen Überweidung automatisch eine kontinuierliche Anpassung des Wiederkäuers oder der Pansenmikroben an das hoch verdauliche, energiereiche Weidefutter im Frühjahr erzielt.
Zunächst sollten die Kühe noch im Stall gesättigt auf die Stundenweide gehen mit einer bis drei Stunden pro Tag und zwei bis drei Kühen pro ha. Später, bei ansteigenden Zuwächsen auf der Frühjahrsweide, wird das Futterangebot im Stall reduziert und die Weidezeit ausgedehnt. Auf diese Weise erfolgt eine schonende Fütterungsumstellung von der Winterstallfütterung hin zur Weidefutteraufnahme. Wenn das Weidegrasangebot dann nach wenigen Wochen voll einsetzt, haben sich sowohl Wiederkäuer als auch Pansen auf die Weide umgestellt und damit kann das Weidefutter optimal verwertet und in Milchleistung umgesetzt werden. Aus ernährungsphysiologischer Sicht ermöglichen die begrenzte Weidedauer und der noch spärlich vorhandene Aufwuchs während der Vorweidezeit einen fließenden Übergang von der meist stärkereichen (Maissilage, Kraftfutter) Winterration zur Weidefutterration mit Gräsern, Leguminosen (Weißklee) und Kräutern (Löwenzahn). Aufgrund der höheren Zuckergehalte im Frischgras gegenüber Silagen ist zu empfehlen, den Kraftfutteranteil, besonders den Anteil an leichtlöslichen Kohlehydraten, wie im Getreide enthalten, zu reduzieren. Dadurch kann einer möglichen Pansenübersäuerung oder einer Pansenblähung entgegengewirkt werden. Steigt der Harnstoffgehalt in der Tankmilch, ist auch die Anpassung des Milchleistungsfutters sinnvoll.
Im Rahmen der Vorweide mit einer geringen Tierbesatzstärke pro Hektar nehmen die Kühe natürlich noch keine großen Weidefuttermengen auf; sie fressen nur die ersten Spitzen und regen so die Bestockung der Gräser bestens an. Die Vorweide dient also weniger der Sättigung der Kühe, als vielmehr der Bestockung der Gräser sowie der Zurücksetzung frühblühender Kräuter, wie Vogelmiere und Scharbockskraut, und Gräser, wie Wiesenfuchsschwanz oder Wolliges Honiggras. Die Kühe fressen in der Regel diesen ersten Aufwuchs zusätzlich zur Stallration. Um Pansenblähungen und dünne Kotkonsistenz zu vermeiden, sollten die Kühe zu dieser Zeit nur sattgefüttert aufgetrieben werden.
Anne Verhoeven,
Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen
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