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Weide als Kohlenstoff- und Wasserspeicher: Mob Grazing als Chance?

04.05.2022

Enge Herdenführung mit Wiederkäuern auf kleinen Weidearealen, die jeweils nur kurz, dafür jedoch gleichmäßig intensiv beweidet werden und sich nach Nutzung lange erholen können: Könnte Mob Grazing die Antwort auf anhaltende Dürreperioden, Humusverlust und schwindende Artenvielfalt/Biodiversität sein? Nach drei sehr trockenen Weidejahren am Niederrhein mit ausgeprägten Hitzeperioden und fehlenden Niederschlägen kommt das System der Kurzrasenweide deutlich an Grenzen. Hier sind Alternativen gefragt.

Klimawandel, zunehmende Dürreperioden und abnehmende Bodenfruchtbarkeit werden auch zum Problem am Niederrhein. Im Ökobetrieb des VBZL Haus Riswick wird diese Weidestrategie im zweiten Jahr mit der Laktationsherde im Rahmen einer Halbtagsweide durchgeführt. Dabei geht es um die Entwicklung einer adaptierten ganzheitlichen nachhaltigen Weidestrategie für trockene Witterungsphasen auf der Weide.


Viele Begriffe – ein Grundgedanke

Holistisches Weidemanagement, regenerative Rotationsweide, Mob Grazing – dies sind nur drei Begriffe für die gleiche Grundidee eines ganzheitlichen Weidesystems, das sich ganz nach Art der Permakultur an den natürlichen Bedingungen und Bedürfnissen der Weidetiere sowie der Weide selbst orientiert. Es wird eine Weideform beschrieben, bei der die Aspekte Klima- und Bodenschutz sowie artgerechte Tierhaltung vereint und zugleich die organische Bodensubstanz erhöht und verbessert werden soll. Man kennt das Mob Grazing-System aus trockeneren Regionen der Erde. Charakteristisch sind kurze, gleichmäßige Beweidungen von Kleinparzellen mit anschließenden langen Ruhe- oder Regenerationszeiten.

Strategie Mob Grazing

Es geht um eine hohe Weidetierbesatzdichte auf kleinem Weideareal und um deren lange Ruhe- und Regenerationszeiten. Die Herde wird täglich neu in bereits aufgewachsene Weideparzellen getrieben. Der obere Teil des Weideaufwuchses wird verbissen, der verbleibende Teil in den Boden getreten. Das nicht gefressene Pflanzenmaterial wird vom Vieh in die Bodenoberfläche eingearbeitet, welche als Mulchschicht und Nahrungsquelle für Bodenmikroorganismen dient und den Eintrag von organischer Substanz in den Boden fördert. Durch die Parzellierung wird eine gleichmäßige Verteilung von Weidedruck und Exkrementen erzielt. Der nicht gefressene Teil der Vegetation soll Pflanzenarten und deren Wurzelsystem fördern. Die lange Erholungszeit von 20 bis 60 Tagen je nach Witterung und Zuwachsvermögen zwischen den Beweidungen soll zu einer hohen Menge an oberirdischem Futter (Ertragssteigerung) führen, die Biodiversität (Flora- und Fauna-Vielfalt) steigern und die Bodenfunktion, wie die Wasserhaltekapazität, und Bodenfruchtbarkeit erhöhen.

 


Fünf Merkmale der holistischen Weidestrategie „Mob Grazing“ 

  1.  Hoher Aufwuchs
  2.  Hohe Weidetierbesatzdichte – (100 t/ha = Herden-Effekt/Herdenverhalten)
  3.  Kurze Beweidungsdauer
  4.  Lange Ruhephasen/Rastzeiten der Weide
  5.  Bildung einer Mulchschicht durch niedergetretenen Weiderest zur Steigerung von Bodenfeuchte und Humusaufbau

Weidereste erwünscht

Konkret unterscheidet sich das Mob Grazing von herkömmlichen Weidesystemen vor allem im Umgang mit den Weideresten: In allen bekannten Weidesystemen sind diese unerwünscht, da Futterverluste hier als Nutzungskosten bewertet werden. Dagegen sind beim Mob Grazing Weidereste ausdrücklich erwünscht, da sie, systembedingt, organisches Material zur Förderung des Bodenlebens und der Bodenfruchtbarkeit zuführen.

Um flexibel zu bleiben und die Besatzdichten den Aufwüchsen anpassen zu können, wird ein ausgeklügeltes Weidezaunsystem benötigt. Sogenannte Weidespinnen können häufiges und zügiges Umtreiben erleichtern, indem sie beim Versetzen über die Weide gleiten oder rollen; ein zeitaufwändiges Weidepfahlversetzen entfällt. In der Zukunft des digitalen Zeitalters könnten virtuelle Zäune den Arbeitsaufwand deutlich reduzieren.


Wirkung des Mob Grazing

Hauptvorteil stellt die fixe Regeneration dar. Da nur ein Teil der Blattmasse abgefressen wird, findet weiterhin Photosynthese für ein zügiges Nachwachsen statt; die Pflanzen müssen sich nicht erst aus den Wurzeln regenerieren. Außerdem sorgt die hohe Weidetierbesatzdichte für eine schnelle und bessere Einarbeitung der Weidereste und des organischen Dungs der Weidetiere als schützende Mulchschicht in den Boden. Es entsteht ein Mikroklima, das wiederum die Regeneration fördert und Nährstoffe pflanzenverfügbar macht. Ein besseres Pflanzenwachstum bildet eine größere Wurzelmasse im Boden aus. Mehr und tiefere Wurzeln sorgen nicht nur für einen größeren Kohlenstoffspeicher, sondern erlauben es der Pflanze auch, tiefer gelegene Wasser- und Nährstoffvorräte zu erreichen. Besonders bei Trockenheit profitiert die Weide und reagiert durch eine schnellere Regeneration des Pflanzenbestandes.


Erste Erfahrungen und Eindrücke

Die Weidestrategie Mob Grazing wird dem Weidesystem der Umtriebs- und Portionsweide zugeordnet und wird beschrieben mit einem Weidedruck von 100 t Lebendgewicht je ha Weidefläche. Im Ökobetrieb Haus Riswick wurden mit der 45-köpfigen Laktationsherde während der Weideperiode 2021 etwa 60 bis 100 t/ha im Rahmen der Halbtagsweide auf einer Gesamtfläche von 10,7 ha geweidet. Ziel war es, den höheren Aufwuchs in der Phase des zügigen Wachstums zu nutzen, um der Herde qualitativ hochwertigen Weideaufwuchs anbieten zu können. Im Frühjahr und Herbst wurde täglich ein rund 5 000 m² großes Weideareal zugeteilt. Im Sommer wurden bei in diesem Jahr besonders guten Zuwächsen die zugeteilten Weideparzellen zweitägig geweidet, so dass rein rechnerisch während der sehr wüchsigen Zeiten der Herde täglich oder halbtägig 2 500 m² Weidefläche zur Verfügung stand. Insgesamt wurden 40 bis 70 % des Weideaufwuchses gefressen – somit verblieben zwischen 30 bis 60 % der organischen Pflanzensubstanz als Weiderest auf der Weidefläche und wurde von den Weidetieren in den Boden getreten. Es blieb also genügend Pflanzenmaterial für die Assimilationsleistung.

Der systembedingte Weiderest bietet Schutz und Nahrung für das Bodenleben. Im Vergleich zur Kurzrasenweide verschwinden Geilstellen in der niedergetretenen Biomasse, die sich im Laufe der Vegetation in eine Mulchschicht verwandelt. Durch sie wächst während der Ruhezeit von 25 bis 50 Tagen der junge Aufwuchs hindurch.

Im hohen, schutzspendenden Aufwuchs dieses Weidesystems bildet sich ein Mikroklima, in dem in Hitzeperioden weniger Wasser verdunstet und bei starken Niederschlagsereignissen der Boden vor Erosion geschützt ist. Es geht also um ein Weidesystem besonders für extreme Wetterlagen.


„Low-Input-System“

Beim Mob Grazing handelt es sich eigentlich um ein „Low-Input-System“. Nachsaaten, Unkrautbekämpfung und Weidepflegemaßnahmen sind nicht nötig; jedoch die tägliche oder zweitägige neue Weideflächeneinzäunung mit der Weidespinne sowie das Wasserwagenmanagement gestalten sich arbeits- und zeitintensiv. Virtuelle Zaunsysteme sind noch in der Erprobungsphase und könnten hier einen wertvollen Beitrag leisten. Parasiten dürften in diesem Weidesystem wenig Chancen und Möglichkeiten haben, einen Wirt zu finden, da die Tiere oben weiden und sich in Bodennähe die Mulchschicht befindet, dort also seltener geweidet wird und die Weide lange Ruhe- und Erholungsphasen beinhaltet. Bodenleben, Biodiversität/Artenvielfalt bei Flora und Fauna, Insekten und Artenschutz, tierische Leistungen und Wohlbefinden der Tiere sind in diesem System gleichrangig. Während der gesamten Vegetationsperiode mit täglichen oder zweitägigen Umtrieben vermittelte die Milchviehherde einen stets ruhigen und ausgeglichenen sowie immer zufriedenen Eindruck auf der Weide. Die Weidetiere fanden täglich einen neuen qualitativ hochwertigen Weidefutterbestand vor mit dem Ziel der Nutzung während der zügigen Wachstumsphase. Strukturfutter war ebenso vorhanden.

Vision für die Zukunft

Dieses ganzheitliche nachhaltige Weidesystem fördert die Etablierung von stabilen Weidebeständen, die Verbesserung der Weideerträge, die Aktivierung des Bodenlebens mit der Folge der Erhöhung des Humusgehaltes im Boden. Das Ziel ist, besser durch trockene Sommer zu kommen und die Weidesaison zu verlängern. Auch wenn die Weideleistungen in diesem ersten Jahr nicht an die der wüchsigen Vorjahre (2016) heranreichen, wird hier mit diesem System versucht, in die Zukunft, in Bodenfruchtbarkeit, in Wasserhaltevermögen für trockene Jahre – letztendlich aktiv in Klimaschutz zu investieren.

Zukünftige Untersuchungen müssen jedoch erst noch zeigen, ob die Mob Grazing - Strategie in NRW eine geeignete Alternative in trockenen, heißen Sommern darstellt. Es muss sich zeigen, wie die Auswirkungen auf die Bodenfruchtbarkeit und die Kohlenstoffbindung im Boden sind, ob sich eine zunehmende biologische Vielfalt ergibt und welche Flächen- und Tierleistungen in diesem System erzielt werden können.

Mob Grazing in der Kontroverse

Wiederkäuer beeinflussen durch ihre Methan- (CH4) und Lachgasemissionen (N2O) den Klimawandel negativ. Auf der anderen Seite bietet Grünland unter einer angemessenen standortangepassten Bewirtschaftung zahlreiche Ökosystemleistungen, allen voran die Kohlenstoffspeicherung. Auch wenn die ökologischen Vorteile und Leistungen von Mob Grazing umstritten und sicher noch nicht hinlänglich bekannt sind, trägt die Diskussion rund um dieses Weidesystem wesentlich dazu bei, die notwendigen Veränderungen in der Landwirtschaft in Richtung einer umwelt- und klimafreundlichen Bewirtschaftung voranzutreiben.

Hypothese zur Fütterung

Durch ein adaptiertes wassersparendes Weidemanagement im System der Rotationsweide werden akzeptable, mit herkömmlichen Weidesystemen vergleichbare tierische Leistungen der Milchkühe im Rahmen der Halbtagsweide mit einer angepassten Fütterung im Stall erreicht. Es handelt sich um qualitativ hochwertige und hochverdauliche Weidefutteraufwüchse. Diese standortangepasste Weidestrategie ermöglicht eine effiziente Nutzung des Weideaufwuchses sowohl in wüchsigen Phasen als auch in Trockenphasen durch die Verbesserung des Hydroregimes. Durch die intensive tägliche Beweidung begrenzter Areale findet keine Futterselektion statt, ebenso eine sehr gleichmäßige Nährstoffverteilung über Kot und Harn. Weideertragsleistungen und Flächenleistungen nehmen im Laufe der Jahre zu. Steigerung der Biodiversität und Bodenfruchtbarkeit im Laufe der Jahre; bessere Resilienz bei Trockenheit durch Bodenbedeckung.


Anne Verhoeven, Landwirtschaftskammer NRW

Weitere Informationen

Kontakt

Anne Verhoeven

Fachbereich 74 - Versuchs- und Bildungszentrum Landwirtschaft Haus Riswick
Kreisstelle Kleve
Elsenpaß 5, 47533 Kleve
Tel.: 02821 996 125
E-Mail: Anne.Verhoeven@lwk.nrw.de

Arbeitsschwerpunkte:

  • Milchviehhaltung und -fütterung

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