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Kuhgebundene Kälberaufzucht – Teil 1: Vor- und Nachteile

06.03.2020

Wir erleben eine Zeit, in der Verbraucher die Herkunft und Erzeugung ihrer Lebensmittel immer stärker hinterfragen. Wenn es um landwirtschaftliche Nutztierhaltung geht, ist die Trennung von Kuh und Kalb in der Milchviehhaltung für die Verbraucher eines der wichtigsten Themen. Auch wenn erklärt wird, warum Kuh und Kalb frühzeitig nach der Geburt voneinander getrennt werden und die Gründe vom Zuhörer auch rational verstanden werden, findet ein Großteil der Verbraucher die Trennung dennoch nicht gerechtfertigt.

Die Milcherzeuger selbst stellen sich derweil vermehrt die Frage, ob eine kuhgebundene Aufzucht nicht auch Vorteile bringen kann? Die größten Erwartungen dabei sind eine Reduktion der Arbeitszeit und eine verbesserte Kälbergesundheit. Aber gerade auch ethische Aspekte spielen bei solchen Überlegungen auf dem (Bio-)Hof immer häufiger eine ganz wichtige und entscheidende Rolle.

Im Folgenden greifen wir das Thema "kuhgebundene Kälberaufzucht" auf.


Diese Öko-MIR-Reihe zur kuhgebundenen Kälberaufzucht umfasst drei Teile:

Teil 1: Vor-und Nachteile der kuhgebundenen Aufzucht
Teil 2: Verschiedene Verfahren der kuhgebundenen Aufzucht
Teil 3: Eine betriebswirtschaftliche Betrachtung der kuhgebundenen Aufzucht


Die oben genannte Erwartung der Praktiker, dass es zu einer Zeitersparnis kommt, trifft genauso wie beim automatischen Melksystem (AMS) meist nicht zu. Es kommt lediglich zu einer Verlagerung der Arbeit, weg vom Tränken der Kälber, hin zum bewussten Beobachten und Beurteilen der Verfassung der Tiere. Wer hier nachlässig wird, kann schnell Probleme mit der Kälbergesundheit bekommen!

Denn die höhere Milchaufnahme bei der kuhgebundenen Aufzucht kann zu milchbedingten Verdauungsstörungen und damit zu Durchfall bei den Kälbern führen. Da diese Durchfälle meist nicht durch einen Krankheitserreger ausgelöst werden, müssen diese zwar häufig nicht behandelt werden, dennoch müssen die Kälber beobachtet, und, wenn nötig, doch entsprechend behandelt werden. Zudem sollte gegen Rota-Corona geimpft werden und Kryptosporidien können Probleme verursachen.

Ganz klare Vorzüge der kuhgebundenen Aufzucht sind, …:

► … dass das Ausleben des Kuh-Kalb-Verhaltens ermöglicht wird. (Zumindest für einen Teil der Kühe, wenn an die Aufzucht an einer Amme gedacht wird.) Arteigenes Verhalten ausüben zu dürfen, trägt maßgeblich zum Wohlbefinden bei.
►  … dass die Kälber schon frühzeitig den Umgang mit älteren Artgenossen erlernen, was dazu beitragen könnte, dass die in die Milchviehherde einzugliedernden Färsen weniger Stress und Auseinandersetzungen erleiden müssen.
►  … dass gegenseitiges Besaugen unter den Kälbern (was ganz klar als eine Verhaltensstörung eingestuft werden muss!) während der Säugeperiode an der Kuh nicht mehr auftritt. Allerdings kann es bei einem abrupten Absetzen von der Kuh dann doch zu gegenseitigem Besaugen unter den Kälbern kommen.

Hier kann gegengesteuert werden indem schrittweise abgesetzt wird, was übrigens auch das Gebrüll beim Absetzen sowie die Wachstumsdepressionen beim Kalb reduziert. Hierzu muss man wissen, dass die Kuh um den Kontakt mit dem Kalb trauert, das Kalb "trauert" aber in erster Linie um die Milch aus dem Euter. (Außerdem konnte nachgewiesen werden, dass Mütter von männlichen Kälbern beim Absetzen mehr brüllen als von weiblichen Kälbern – dies aber nur am Rande, weil ich es so interessant finde…)

Wenn Kälber von anderen Kühen akzeptiert werden, trinken diese auch ohne Probleme an einer Amme. Dies ermöglicht, dass erst die Kuh vom Kalb abgesetzt wird (ggf. noch mit Sicht- und Leckkontakt) und anschließend das Kalb an einer Amme langsam von der Milch abgesetzt wird. Letzteres kann dadurch ermöglicht werden, dass die älteren Kälber nur noch zweimal am Tag zu einer Amme gelassen werden, die ihre Milch überwiegend schon an ein jüngeres oder das eigene Kalb "verteilt" hat. Auch das Einziehen eines "nose flap", mit dem die Kälber nicht mehr saugen können, aber bei der Mutter oder Amme verbleiben, ist denkbar. Futter- und Wasseraufnahme ist hiermit ungehindert möglich.

► Kälber beginnen durch Nachahmen der Mutter oder Amme schon sehr früh Festfutter aufzunehmen, was einer gewünschten positiven Prägung entspricht.
► Zudem sind die täglichen Lebendmasse-Zunahmen bei gesäugten Kälbern in der Regel sehr gut, was auch eine Alternativnutzung der Absetzer zur Mast und z.B. anschließender Direktvermarktung zulässt.
► Weiterhin wird beobachtet, dass der Milcheiweißgehalt bei säugenden Kühen ansteigt. Die Gründe hierfür sind nicht abschließend geklärt. Möglicherweise werden mehr Immunglobuline gebildet.

Die Nachteile bei der kuhgebundenen Aufzucht betreffen hauptsächlich die Leistungskennzahlen:

► Die vermarktungsfähige Milchmenge wird zum einen durch den erhöhten Milchkonsum des Kalbes, zum anderen durch Störungen der Milchabgabe der säugenden Kühe während des Maschinenmelkens deutlich reduziert. Hierauf wird in Teil 3 der Reihe näher eingegangen.
► Zusätzlich sinkt der Milchfettgehalt. Dieser kann um mehr als 1 % erniedrigt sein. Dies hängt damit zusammen, dass die Alveolarmilch beim Maschinenmelken zum Teil nicht vollständig heruntergelassen wird. Der Milchfettgehalt steigt nämlich während des Melkvorgangs an.
► Je nach Absetzverfahren erhöht sich der Stress und das Gebrüll bei Kuh und Kalb.
► Bei abruptem Absetzen kann die Wachstumsdepression beim Kalb stärker ausgeprägt sein als bei herkömmlicher Kälberaufzucht. Hierbei muss aber angemerkt werden, dass die gesäugten Kälber eine in der Regel sehr gute Körperkondition aufweisen und daher eine kurzzeitige Wachstumsdepressionen gut wegstecken.

Bisher konnte meines Wissens nach kein einheitlich negativer, aber auch kein einheitlich positiver Effekt des Kälbersäugens auf die Eutergesundheit festgestellt werden, sofern grundsätzlich eine gute Eutergesundheit vorherrscht und Staphylococcus aureus kein Bestandsproblem ist.

Auch die Fruchtbarkeit scheint durch das Kälbersäugen nicht negativ beeinträchtigt zu sein. Es gibt Ergebnisse, dass sich einige Fruchtbarkeitskennzahlen verschlechtern (verlängerter Anöstrus = keinen Zyklus), andere dafür aber verbessern (bessere Trächtigkeitsraten bei späterer Besamung).

Quelle: Susanne Kreikenbohm, Ökoteam Landwirtschaftskammer NRW, Öko-MIR, Nr. 8 vom 20. Februar 2020

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