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Kuhgebundene Kälberaufzucht – Teil 4: Refinanzierung über Milchgeld?

20.04.2020

In Teil 3 wurde konkretisiert, wie sich im Rahmen der kuhgebundenen Kälberaufzucht die Milchleistung und damit auch der Milchpreis zur Kompensation einer geringeren Milchanlieferung verändern müsste. Durchgerechnet wurden Milchleistungen von 5.200 bis 7.200 kg/Kuh bei konsequenter Aufzucht an der Mutter bei allen weiblichen und männlichen Kälbern. Im Ergebnis ergab sich ein erforderlicher Aufschlag auf den Milchpreis von 7,6 bis 9 ct/kg Milch.

In der Praxis finden wir aber in der Regel eine Kälberaufzucht, die sich auf die Kälber beschränkt, die für die eigene Bestandsergänzung erforderlich sind. Die Bullenkälber werden nach zwei bis drei Wochen an den (konventionellen) Viehhändler verkauft und auch überzählige, weibliche Kälber werden auf diesem Wege vermarktet. Nur die weiblichen Kälber bleiben auf den Betrieben, die je nach einzelbetrieblicher Bestandsergänzungsrate und Risikoeinschätzung benötigt werden. Entsprechend reduziert sich auch die Tränkemenge.

Diese Praxis, die den Fokus nur auf den "eigenen Gebrauch" legt, kann man ethisch hinterfragen und kritisieren. Tatsache ist aber, dass im ökologischen Landbau bisher keine Erzeugungs- und Vermarktungsstrukturen für diese Anzahl an Bullenkälbern und weiblichen Kälbern etabliert sind. Dies liegt auch daran, dass der konventionelle Rindfleischmarkt ein Marktumfeld erzeugt, in dem Bio-Rindfleisch zu kostendeckenden Preisen (genannt werden 6 € je kg SG für den Erzeuger) keine Chance hat. Ausnahme ist hier die Direktvermarktung bei deutlich begrenzten Stückzahlen.

In der folgenden Tabelle sind einige Szenarien aus der Praxis dargestellt, die sich an den Kennzahlen in Teil 3 orientieren. Am Ende wird die Frage beantwortet, welchen Aufschlag auf den Milchpreis die Molkerei (oder eine andere Institution) zur Kompensation des höheren Milchverbrauchs zahlen müsste, wenn keine weiteren, nennenswerten Änderungen auf der Kosten- oder Einnahmeseite eintreten.

  • In der Ausgangssituation werden mit 70 Kühen 500.000 kg Milch erzeugt. Nur die 18 Kälber für die eigene Bestandsergänzung werden restriktiv mit 600 kg Milch/Kalb getränkt, was eine Milchmenge von 10.500 kg jährlich bedingt. Die restliche Milch wird an die Molkerei verkauft. Bei einem Milcherlös von 250.000 € beträgt das Milchgeld in der Ausgangssituation 51 ct/kg.
  • Wird "konsequent muttergebunden" aufgezogen, was die Aufzucht sämtlicher weiblicher und männlicher Kälber umfasst, so steigt die benötigte Tränkemenge auf rund 92.000 kg Milch für 58 Kälber im Jahr. Um die Minderung des Milcherlöses zu kompensieren, muss der Milchpreis auf 61 ct bzw. um 10 ct/kg steigen.
  • Geht man von einer "pragmatisch muttergebundenen" Kälberaufzucht aus, bei der sich die Anzahl der Kälber auf 18 weibliche Kälber im Jahr verringert, so sinkt der Milchbedarf für die Kälber auf 28.000 kg. Der erforderliche Aufschlag für den Milchpreis stellt sich dann auf 1,9 ct/kg ein.
  • Wird "pragmatisch + intensiv" mit höherer Milchleistung die Milchmenge von 500.000 kg erzeugt, so werden nur noch 57 Kühe und dementsprechend nur noch 14 weibliche Kälber im Jahr benötigt. Der erforderliche Zuschlag ist mit 1,3 ct/kg Milch am geringsten im Vergleich mit den anderen Varianten.
  • Bleibt zuletzt die Variante "pragmatisch + extensiv" mit einer höheren Bestandsergänzungsrate und einer geringeren Milchleistung. Dies ist ein extremer Gegenpool zu den anderen Varianten, bei dem immerhin auch 25 Kälber im Jahr benötigt werden. Im Ergebnis werden rund 40.000 kg Kälbermilch im Jahr benötigt. Zur Kompensation wird ein Aufschlag von 3,3 ct/kg auf den Ausgangs-Milchpreis erforderlich.

Die Kalkulation unterstellt, dass bei allen Verfahren zu den gleichen Kosten im Betriebszweig Milch produziert werden kann. Dementsprechend werden auch gleiche wirtschaftliche Ergebnisse erzielt, wenn in allen Varianten ein Milcherlös von 250.000 € im Jahr erreicht wird. Nicht berücksichtigt bei dieser Kalkulation wurden verschiedene Varianten der Aufzucht an einer Amme. In Abhängigkeit von den zutreffenden Annahmen bezüglich der Aufzucht an einer Amme würde der jeweils benötigte Aufschlag beim Milchauszahlungspreis erneut variieren. 


(Zahlen zum Teil gerundet)Ausgangssituationmuttergebunden
"konsequent"
muttergebunden
"pragmatisch"
muttergebunden
"pragmatisch +
intensiv"
muttergebunden
"pragmatisch +
extensiv"
 Verkauf Bullenkälber,
weibliche Kälber im
Umfang der eigenen
Bestandsergänzung,
Standardtränke
alle Kälber werden
über 12 Wochen an
der Mutter getränkt
nur die weiblichen
Kälber für die eig.
Bestandserg. an der
Mutter getränkt
wie Spalte links,
Steigerung der
Milchleistung
geringere
Milchleistung, höhere
Bestandsergänzungsrate

 

Anzahl Kühe7070705778
erzeugte Milchmenge kg500.000500.000500.000500.000500.000
Bestandsergänzungsrate %25 %(25 %)25 %25 %32 %
Anzahl weibl. Kälber getränkt pro Jahr
bei 400 Tagen ZKZ und 5% Verlusten
1829181425
Anzahl männl. Kälber getränkt pro Jahr 29   
Tränkemenge kg/Kalb incl.
Milchleistungsminderung nach dem
Absetzen bei muttergebundener Aufzucht
6001.6001.6001.6001.600
Tränkemenge gesamt kg10.50092.24028.00022.77040.100
Mehrbedarf an Tränkemilch kg/Jahr 57.65017.50014.23025.060
nach Abzug Kälbermilch an Molkerei
gelieferte Milchmenge kg
489.500407.800472.000477.200459.900
Milcherlös €250.000250.000250.000250.000250.000
berechnetes Milchgeld ct/kg5161535254

notwendiger Mehrerlös ct/kg Milch

 

10,2

1,9

1,3

3,3

erzeugte kg Milch/Kuh7.1407.1407.1408.7806.380
an Molkerei gelieferte kg Milch/Kuh6.9905.8306.7408.3805.870
Differenz kg Milch/Kuh1501.310400400510

Schlussfolgerungen aus dieser Gegenüberstellung

► Egal welches Verfahren als Alternative gegenüber der Ausgangssituation gewählt wird, ein Aufschlag auf den Milchpreis ist immer zum Ausgleich erforderlich. Selbst das Fehlen eines Aufschlags von 1,3 ct/kg Milch als Mindestaufschlag in den Beispielen wird seine Spuren in den Buchführungen hinterlassen.

► Der Aufschlag beim Milchpreis wird umso höher ausfallen müssen, je mehr Kälber muttergebunden aufgezogen werden. Werden sowohl die männlichen als auch die weiblichen Kälber in der skizzierten Weise ernährt, steigert sich der Aufschlag auf bis zu 10 ct/kg Milch (12 Wochen Tränkedauer unterstellt).

► Extensive Verfahrensweisen mit geringer Milchleistung und höherer Bestandsergänzung bedingen höhere Zuschläge als intensivere Verfahren.

► Die Frage, welche der skizzierten Varianten in der breiten Praxis verfolgt werden sollten, wird nicht allein von der Molkerei zu beantworten sein, die vorrangig für die Auszahlung der Zuschläge in Frage kommt. Erforderlich ist die Klärung, wie aus ethischer Sicht und mit gesellschaftlicher Akzeptanz die Aufzuchtperiode der Kälber gestaltet wird, um daraus konkrete Anforderungen und monetäre Anreize für die Landwirte zu entwickeln.

Die Praxis der Tränkedauer (12 Wochen?), der Aufstallung (gemeinsame oder getrennte Aufstallung?) und der Entwöhnung werden in den Betrieben unterschiedlich gehandhabt. Hier folgt jeder seinem persönlichen Anspruch an das Nutztier (Milchgewinnung) und dem persönlichen Anspruch an eine verantwortbare Tierhaltung im eigenen Betrieb. In dieser Situation wird es schwer bis unmöglich, einen gerechten Aufschlag für teilnehmende Betriebe zu bestimmen und den Verbraucher für diesen Weg auch zu begeistern. Ein Konsens ist gefragt, wenn man nicht nur die Direktvermarktung im Fokus hat. Die Molkerei darf bei der Festlegung dieser Standards nicht allein gelassen werden. Ihre Mitwirkung ist wichtig!

► Es gibt Landwirte, die mit einem intensiveren Tränkemanagement (nicht zwangsläufig verbunden mit einer muttergebundenen Kälberaufzucht) eine höhere Lebensdauer, eine höhere Leistungsbereitschaft (metabolische Programmierung) und damit eine höhere Lebensleistung bei ihren Milchkühen verfolgen. Dazu sind uns keine wissenschaftlich fundierten Zahlen bekannt.

Die vorliegenden Daten aus der Betriebszweigauswertung Milch lassen aber den Schluss zu, dass angesichts des Mehraufwands eine deutliche Steigerung der Lebensdauer um mehrere Monate erforderlich wäre. Wir wissen, dass dies in der Praxis nicht einfach umzusetzen ist.

Nachtrag muttergebundene Kälberaufzucht

Wir merken sehr deutlich, wie anspruchsvoll es ist, für die verschiedenen Varianten einer muttergebundenen Kälberaufzucht, den jeweils erforderlichen Aufschlag auf den Auszahlungspreis der an die Molkerei gelieferten Milch zu kalkulieren. Bei allen bisher betrachteten Varianten sind wir von gleichbleibenden Produktionskosten im Betriebszweig Milch sowie einem gleichbleibenden Milcherlös von 250.000 € im Jahr ausgegangen. Dass diese getroffenen Annahmen (gleichbleibende Produktionskosten, gleichbleibender Milcherlös) realitätsfern sind, ist uns bewusst. Wir haben diese Betrachtungsweise dennoch gewählt, mit der Absicht, die Kalkulation übersichtlich und verständlich zu gestalten.

Bei einer genaueren, realistischeren Kalkulation müsste bei der Variante "konsequent muttergebunden" zudem noch der Erlös aus dem Verkauf der nicht zur Remontierung benötigten (vermutlich) gut entwickelten, muttergebunden aufgezogenen Kälber berücksichtigt werden. Hierbei sollten deutlich höhere Preise erzielt werden, als bei dem etablierten Kälberverkauf im Alter von zwei Wochen. Natürlich wäre alternativ auch eine betriebseigene Mast mit anschließender Direktvermarktung bei ausreichenden Futter- und Stallkapazitäten betriebsindividuell denkbar.

Zum Verkauf der nicht zur Remontierung benötigten Kälber aus der Variante "konsequent muttergebunden" nun folgende Überlegung: In dieser Variante werden 58 Kälber im Jahr muttergebunden aufgezogen. Nur 18 weibliche Tiere werden zur Remontierung benötigt. Somit stehen 40 Kälber (29 männliche und 11 weibliche) nach dem Absetzen mit geschätzt 130 kg zum Verkauf. Je Absetzer werden im Mittel beider Geschlechter angenommen 520 € (auf dem konventionellen Markt) gezahlt. Abzüglich veranschlagter 80 €, für beide Geschlechter im Mittel, für ein nach zwei Lebenswochen vermarktetes Kalb, ergibt sich ein Mehrerlös je Kalb von 440 €. Dies ergibt bei 40 abgesetzt vermarkteten Kälbern im Jahr 17.600 €. Dieser Betrag ersetzt einen Teil des Milchgelds, so dass 250.000 € (angestrebter Milcherlös) - 17.600 € = 232.400 € als Milchgeld zu erwirtschaften wären. Bei 407.800 kg an die Molkerei gelieferter Milchmenge nach Abzug der Kälbermilch ergibt sich ein berechnetes Milchgeld von 57 ct/kg Milch. Dies bedeutet, dass der notwendige Mehrerlös nur noch rund 6 anstatt 10 ct/kg gelieferte Milch betragen würde.
(Sie sehen auch hier: Bei der Kalkulation kommt es auf die Annahmen an, die getroffen werden!)

Quelle: Susanne Kreikenbohm, Ökoteam Landwirtschaftskammer NRW, Öko-MIR, Nr. 14 und 15 vom 02. und 07. April 2020

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