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Kuhgebundene Kälberaufzucht: Dauerhaftes Ausprobieren

17.10.2022

Vor gut einem dreiviertel Jahr haben auch Manuela und Michael Lahnert den Einstieg in die kuhgebundene Kälberaufzucht gewagt. In Folgenden wird von ersten Erfahrungen mit der neuen Art der Kälberaufzucht auf dem Öko-Milchviehbetrieb berichtet.

Seit Oktober letzten Jahres praktiziert das Ehepaar Lahnert auf seinem Betrieb die kuhgebundene Kälberaufzucht. Der Bio-Milchviehbetrieb Rescheiderhof GbR in Oberwesel im Rhein-Hunsrück-Kreis wirtschaftet nach den Richtlinien von Naturland. Aktuell werden hier rund 90 Milchkühe der Rasse Holstein rot- und schwarzbunt sowie Braunvieh- und Fleckviehkreuzungen mit einer durchschnittlichen Milchleistung von etwa 7 000 l gehalten. Der Großteil der weiblichen und männlichen Nachzucht wird nach dem Absetzen noch mindesten einen Monat auf dem Betrieb aufgezogen, bevor sie in einem Alter von vier bis sechs Monaten an zwei Bio-Mastbetriebe verkauft werden. Bis vor einigen Jahren hat Familie Lahnert noch beinahe die gesamte Nachzucht selbst aufgezogen. Die Bullenkälber werden zwischen der sechsten und achten Lebenswoche kastriert. In diesem Zeitabschnitt ist das Immunsystem der Kälber bereits gut ausgebildet, während das Absetzen noch in ausreichender Ferne liegt.

Warum kuhgebundene Aufzucht?

Die Überlegung zur Umstellung der Kälberaufzucht reifte bei Betriebsleiterin Manuela Seibel-Lahnert schon seit einigen Jahren, jedoch fehlte bisher immer der Mut zum letzten Schritt der Umsetzung. Die Frage, wie die kuhgebundene Aufzucht am besten in den Betriebsablauf integriert werden kann und wie sie sich am besten umsetzen ließe, war der Betriebsleiterin noch lange unklar. Letztendlich gab der Besuch eines Bio-Betriebs im Westerwaldkreis, der bereits seit vielen Jahren Erfahrung im Bereich der kuhgebunden Aufzucht sammeln konnte, den Ausschlag, die lang gehegte Idee umzusetzen. Der Rat, einfach einmal anzufangen und dieses System auszuprobieren, da sich vieles oftmals erst im Laufe des Prozesses entwickelt, lieferte letztendlichen den nötigen Anstoß, den Versuch zu wagen.

Die Kühe, die auf dem Rescheiderhof als Mutter oder Amme eingesetzt werden sollen, werden gemeinsam mit den Kälbern in einem separaten Stallbereich in einem Tiefstreu-Laufstall gehalten. Somit ist eine eigene kleine „Mutterkuhherde“ entstanden. Je nach Milchleistung werden einer Kuh maximal vier bis fünf Kälber zugeteilt. Neben dem eigenen, zieht eine Kuh somit zusätzlich noch weitere Kälber anderer Kühe mit auf. Man spricht in diesem Fall, bei dem sowohl Mütter als auch Ammen eingesetzt werden, nicht von einer muttergebundenen, sondern von einer kuhgebundenen Kälberaufzucht. Die Kälber - männlich wie weiblich - verbleiben dann für mindestens drei Monate in der Mutter-/Ammen-Kalb-Gruppe, bevor sie abgesetzt und die Kühe wieder in die laktierende Herde integriert werden.


Welche Kuh eignet sich als Amme?

Die ausgewählten Ammen und Mütter werden während der gesamten Säugeperiode nicht gemolken. Sie sind ausschließlich für die Aufzucht der Kälber zuständig. Ob eine Kuh als Amme geeignet ist, entscheidet sich bereits einige Tagen nach der Kalbung. Ist das Tier fürsorglich und zeigt gute Muttereigenschaften? Lässt die Kuh das eigene Kalb und auch andere Kälber problemlos trinken? Diese Fragenstellungen stellen die Hauptkriterien für die Entscheidung, ob die Kuh in die Mutter- oder Ammen-Kind-Gruppe aufgenommen wird, oder nicht, dar. Denn die bisherigen Erfahrungen von Manuela Seibel-Lahnert zeigen, dass nicht jede Kuh auch eine Mutter sein will. Aus diesem Grund führt die Betriebsleiterin seit der Einführung der kuhgebundenen Aufzucht ein „Ammen-Tagebuch“. Hier wird dokumentiert, welche Kühe sich als Amme eigenen und welche nicht. Diese Dokumentation soll künftig die Auswahl geeigneter Tiere erleichtern und beschleunigen.

Die Kälber einer Amme sollten in etwa das gleiche Alter haben, da sonst die Gefahr besteht, dass die älteren Kälber die jüngeren vom Euter verdrängen. Daher ist es von Vorteil, wenn das Kalbemanagement so getaktet ist, dass mehrere Kalbungen in einem relativ kurzen Zeitfenster stattfinden. So kann die Eignung mehrere Milchkühe als Amme gleichzeitig ausprobiert werden.

Eine weitere Möglichkeit könnte sein, solche Kühe als Ammen zu nutzen, die bereits tragend sind, zum Beispiel etwa im vierten bis fünften Monat. Dies erprobt die Betriebsleiterin aktuell mit zwei Tieren. Es stellte sich jedoch bereits schnell heraus, dass bei diesen Tieren ein besonderes Augenmerkt auf die Milchleistung der Ammen gelegt werden muss, da sich die Kühe zum Teil „selbst trockenstellen“ und die Milchmenge dann gegebenenfalls nicht mehr für vier bis fünf Kälber ausreicht. Daher bekommen diese Kühe auf dem Rescheiderhof maximal zwei Kälber zugeteilt, um eine ausreichende Versorgung der Kälber sicherzustellen.


Absetzen der Kälber

Nach der dreimonatigen Tränkephase werden die Kälber abgetränkt. Familie Lahnert verwendet dazu die Saugentwöhner (Noseflaps) von Livestock Innovation. Durch diese Nasenclips soll das Saugen am Euter unterbunden werden. Die Noseflaps werden den Kälbern etwa drei bis vier Tage vor dem geplanten Trennen von der Mutter/Amme eingezogen. Während dieser Zeit werden die Kälber nach wie vor bei ihrer Amme in der Herde belassen, sodass das Absetzen schrittweise und in ihrem bekannten Umfeld erfolgt. „In den ersten Durchgängen hatten wir die Nasenclips noch nicht. Das Schreien und die Unruhe der Kälber waren unerträglich. Dann bekamen wir in einem Online-Seminar den Tipp mit den Nasenclips und das funktioniert super! Seither haben wir kaum noch Probleme bei der Trennung von Kühen und Kälbern“, so die Betriebsleiterin. „Für gerade einmal 5 € das Stück sind die Nasenclips eine super Investition.“ Somit werden der Milchentzug und die räumliche Trennung von den Müttern und Ammen zeitversetzt durchgeführt. Der Prozess des Absetzens verläuft somit viel ruhiger und stressfreier. Auch im Vergleich zum vorherigen System, der Aufzucht der Kälber am Nuckeleimer, verläuft das Absetzen viel ruhiger mit deutlich weniger „Gebrüll“.

Sobald mit dem Abtränken begonnen wird, ist es wichtig, dass die Kühe wieder regelmäßig gemolken werden, anderenfalls besteht die Gefahr, dass sich durch das Ausbleiben des Saugens der Kälber ein Milchstau entwickelt. Aus diesem Grund werden die Kühe, deren Kälber zum Absetzen den Noseflap eingezogen bekommen, wieder einmal am Tag im Melkstand gemolken. Sobald die Kälber von der Mutter/Amme getrennt werden, werden die Kühe dann wieder in die Milchviehherde integriert und zweimal täglich gemolken.

Als Familie Lahnert mit der kuhgebundenen Aufzucht begonnen hat, gab es bei zwei Tieren Problem mit deutlich erhöhten Zellzahlen. Seit sie jedoch darauf achten, dass während des Absetzprozesses die Ammen wieder täglich gemolken werden, gab es keine Probleme mehr. Trotz alledem wird die Entwicklung der Zellzahlen der Ammen in der nächsten Zeit genauer beobachtet und dokumentiert.

Nach der Entwöhnung werden die Kälber in den separaten Aufzuchtstall umgestallt und weiter aufgezogen. Mit der Umstallung werden dann auch die Noseflaps wieder entfernt.


Viel Kontakt zu den Kälbern

Zum aktuellen Zeitpunkt ist die Betriebsleiterin sehr zufrieden mit ihrem System der kuhgebundenen Aufzucht und möchte auch keineswegs mehr zurück. „Wir müssen die neugeborenen Kälber nicht mehr per Hand tränken, keine Tränketemperaturen mehr kontrollieren und keine Eimer mehr spülen“, erklärt Manuela Seibel-Lahnert. Es handle sich jedoch auch nicht um eine riesige Zeitersparnis, vielmehr sei es eine Verlagerung der Arbeitszeit hin zu anderen Arbeiten. „Was wir erst neu lernen mussten, was aber jetzt umso wichtiger ist, ist der tägliche Umgang mit den Kälbern und deren Gewöhnung an den Menschen. Würde dies nicht geschehen und die Kälber bis zum Absetzen ohne menschlichen Kontakt in der Herde aufwachsen, würden die Kälber sehr scheu werden.“

Die Betriebsleiterin ist sehr froh, dass sich ihre Auszubildende Pia Bockholt dieser Thematik engagiert angenommen hat und sich sehr fürsorglich um die Kälber kümmert. Einmal pro Tag, in der Regel während der Melkzeit, werden die Kälber kurzzeitig von den Müttern/Ammen getrennt und mit etwas Gereideschrot gefüttert. In dieser Phase nimmt sich die Auszubildende Zeit und gewöhnt die Kälber über Futter und Streicheleinheiten an den menschlichen Kontakt. Auch die tägliche Kontrolle der Euter der Mütter und Ammen darf nicht vernachlässigt werde. Diese Faktoren sind für Manuela Siebel-Lahnert mitentscheidend dafür, dass das System bei ihnen auf dem Betrieb so gut funktioniert.

Das gesamte Sozialverhalten der Kühe und Kälber bei der kuhgebundenen Kälberaufzucht ist für Manuela Seibel-Lahnert jeden Tag aufs Neue eine Freude. „Wir waren unheimlich erstaunt, zu sehen, wie schnell die Kälber voneinander lernen, sei es das Fressen von Raufutter oder den sozialen Umgang untereinander. Auch die Kühe erziehen die Kälber richtig. Probleme mit gegenseitigem Besaugen gibt es seither auch nicht mehr. Das ist einfach nicht mit der Haltung in reinen Kälbergruppen zu vergleichen“, so die Betriebsleiterin. „Es ist Balsam für die Seele und macht unendlich viel Spaß!“

Auch die Zahlen sprechen für sich

Die Rescheiderhof GbR nimmt am Projekt „Optimierung der Kälberaufzucht in milchviehhaltenden Betrieben“ des DLR Westpfalz teil. Dabei wird das gesamte Aufzucht- und Tränkemanagement dokumentiert sowie die Kälber im festen vier-Wochen-Rhythmus gewogen, um die täglichen Zunahmen errechnen zu können. In den vergangenen Monaten wurden insgesamt drei Wiegungen durchgeführt, bei denen jedes Mal elf Kälber gewogen wurden. Die Berechnungen ergaben bei diesen elf Tieren eine durchschnittliche tägliche Zunahme von 1,01 kg. Ein Kalb erzielte sogar eine tägliche Zunahme von 1,31 kg. Die Werte des Rescheiderhofs liegen somit im Durchschnitt deutlich über den täglichen Zunahmen der anderen teilnehmenden Betriebe - ein sehr interessantes Ergebnis, das zeigt, dass die kuhgebundene Aufzucht in diesem Biobetrieb besser abschneidet, als die klassische Kälberaufzucht in den übrigen konventionellen Betrieben, die ihre Kälber mit der klassischen Eimertränke aufziehen.


Einfach einmal ausprobieren

Die Rescheiderhof GbR zeigt eindrucksvoll, dass die kuhgebundene Kälberaufzucht funktionieren kann. Betriebsleiterin Manuela Seibel-Lahnert zieht ein positives Fazit und ermutigt auch andere Betriebsleiter, das System einfach mal auszuprobieren. „Wir haben auch erstmal ausprobiert und Fehler gemacht. Jeder Betrieb, der die kuhgebundene Aufzucht umsetzen möchte, muss sein individuelles System finden, welches bei ihm funktioniert. Jeder Betrieb ist eben anders“, so die Betriebsleiterin. Das Ausprobieren und Verbessern der kuhgebundenen Kälberaufzucht ist auch bei Lahnerts noch nicht am Ende. Aktuell ist die Einrichtung eines Kälberschlupfs in Planung. Dadurch sollen die Tiere noch früher mit dem Kraftfutterfressen beginnen. Auch die Zellzahlen der Mütter und Ammen müssen weiterhin im Auge behalten werden. Die kuhgebundene Kälberaufzucht ist ein sich stetig weiterentwickelndes System.


Nadine Oßowski,

Kompetenzzentrum Ökologischer Landbau Rheinland-Pfalz

Weitere Informationen

Mindesttränkedauer gesetzlich geregelt

Die EU-Öko-Verordnung VO (EU) 2018/848 und deren Durchführungsverordnung (EU) 2020/464 schreibt eine Mindesttränkedauer für Rinder von 90 Tagen ab dem Tag der Geburt vor - vorzugsweise mit Muttermilch.

 

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