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Bioschweine - Marktentwicklung und Zukunftsvisionen

05.11.2015

Neben der aktuellen Marktentwicklung mit stetig steigenden Erzeugerpreisen standen Visionen für die zukünftige (Bio-)Schweinehaltung auf dem Programm einer Tagung des Aktionsbündnis Bioschweinehalter in Haus Düsse in der vergangenen Woche. Von der Veranstaltung, an der rund 120 Landwirte, Berater und Vermarkter aus Deutschland, den Niederlanden und Österreich teilnahmen, berichtet Christian Wucherpfennig von der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen.

Mitveranstalter waren die Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen und die Landesvereinigung Ökologischer Landbau Nordrhein-Westfalen. Johannes Remmel, NRW-Landwirtschaftsminister, sieht "die Zukunft der Tierhaltung im Zentrum der Aufmerksamkeit". Dabei sieht er Betriebe, die Schweine ökologisch halten, als Vorreiter und setzt auf eine Partnerschaft mit dem Handel. Auch durch die rasante Größenentwicklung stünden heute viele landwirtschaftliche Betriebe über einen längeren Zeitraum betrachtet durchaus positiv da. "Verbraucher wie praktische Landwirte diskutieren aber auch, ob der eingeschlagene Weg der richtige ist", erklärte Dr. Martin Berges, Direktor der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen. Der Ökostall in Haus Düsse belege, dass ökologische Schweinehaltung umsetzbar sei. Wünschenswert sei es, den Düsser Ökoschweinestall auszubauen, dass auch Versuche durchgeführt werden können.

Marktüberblick

Diana Schaack von der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft mbH (AMI) sieht die aktuelle Knappheit von Bioschweinen als Resultat mehrerer Ereignisse. Die Bio-Sauen- und die Bio-Mastschweinebestände seien seit mehreren Jahren konstant, denn neben Neueinsteigern hätten andere Betriebe ihre Bestände verringert oder seien aus verschiedenen Gründen aus der Produktion ausgestiegen. "Wir beobachten gleichzeitig eine starke und nachhaltige Nachfrage des Lebensmitteleinzelhandels", sagte Schaack, erklärte aber auch, dass die tatsächliche Nachfrage schwer quantifizierbar sei. Die Überschüsse der vergangenen Jahre seien auch Folge von Bestandsausweitungen in Frankreich und Dänemark, deren Erzeugnisse zum Teil auf den deutschen Markt drängten. Durch den Nachfrageschub entwickelten sich die Bio-Schweinepreise völlig unabhängig von der konventionellen Marktsituation. "Mit 3,60 € für E-Schweine und durchschnittlich fast 130 € für Bio-Ferkel erzielen Bio-Betriebe gegenwärtig zweieinhalb- bis dreifach höhere Preise als ihre konventionellen Kollegen", hob Schaack hervor. Wenn als Folge hoher Erzeugerpreise die Produktion ausgedehnt werde, könne dies aber auch der Einstieg in den Bio-Schweinezyklus sein, zumal die Abhängigkeit von den Aktivitäten der konventionellen Handelsketten weiter steige.

In den Niederlanden wurden im vergangenen Jahr etwa 90 000 Bio-Schweine erzeugt, so die Aussage von Achim Tijkorte von Reudink Biofuttermittel. "In den Niederlanden streben wir geschlossene Systeme oder enge Kooperationen in der ökologischen Schweinehaltung an", berichtete er weiter. Der Transportweg für Ferkel betrage daher maximal eine Stunde. Geringe Schwankungen der Preise weder nach unten noch nach oben sorgten dabei für eine stabile Wirtschaftlichkeit entlang der Wertschöpfungskette. "Die Preise sind seit Juni konstant."

Warenbeschaffung ein Problem

"Wir sprechen von Krise, Sie sprechen von Chance." So begann Frank-Walter Eisenacher, Geschäftsführer der Börner-Eisenacher GmbH, seinen Vortrag, denn die Rohwarenbeschaffung stellte für viele Verarbeiter derzeit eine große Herausforderung dar. 2003 stieg das Unternehmen in den Biomarkt ein und gewann 2005 unter anderem Aldi Süd als Abnehmer für Bio-Salami. Wöchentlich werden 30 bis 40 t Ökofleisch verarbeitet, was einem Bio-Umsatzanteil von 40 % entspricht. Nachdem das Unternehmen jahrelang Teilstücke bezogen hat, ist es aufgrund der großen Knappheit auf die Direktbelieferung von Landwirten umgestiegen und wird  von 20 Betrieben regelmäßig beliefert. "Die Herkunft ist heute ein wichtiges Qualitätskriterium", betonte Eisenacher und forderte die Landwirte daher auch auf, ihre Ställe für Verbraucher zu öffnen. Für 2016 strebe man einen Umsatzanteil von 50 % mit Bioprodukten an. Die hohen Erzeugerpreise sieht Eisenacher aber auch kritisch. "Irgendwann können die Verbraucher das nicht mehr nachvollziehen", schloss daher Eisenacher.

Mitte des Jahres startete die Firma Tönnies wieder mit der Schlachtung von Bio-Schweinen, nachdem man zuvor über viele Jahre Teilstücke zugekauft hatte. Die Schlachtung erfolgt in Schleswig-Holstein und soll schrittweise ausgedehnt werden. Da die Bio-Schweinehalter deutschlandweit verteilt seien, müsse man Bio-Schweine derzeit bundesweit zukaufen. "Den Betrieben bieten wir mehrjährige Verträge an", erklärte Dr. Wilhelm Jaeger von Tönnies, aber die Unsicherheit nach der schwierigen Marksituation vor zwei Jahren hätten noch viele in Erinnerung.

Hendrik Sauermann betreibt mit mehreren Partnern den Biomarkt "Lebensgarten" in Soest. Der Fleischanteil in seinem Markt hat dabei einen Umsatzanteil von gerade einmal 3 %. "Dabei sind wir durchaus Vollsortimenter bei Biofleisch, denn wir haben von allem etwas da", berichtete Sauermann. Eine Bedientheke für Aufschnitt habe man jedoch neun Monate nach Öffnung mangels Erfolg wieder schließen müssen. Dabei entfallen fast drei Viertel des Fleischumsatzes auf Geflügel, während Bio-Schweinefleisch nur auf 8 % komme. "Bio-Schweinefleisch ist am günstigsten, aber es haftet ihm ein schlechtes Image an", versuchte Sauermann die Zahlen zu erklären. Viele der Kunden seien zudem Vegetarier und Veganer.

Intakter Schweineschwanz

Sabine Ohm von Provieh stellte am zweiten Tag ihre Vorstellung zu Tierwohl aus Sicht eines Tierschutzverbandes vor. "Die Haltung muss an die Bedürfnisse der Tiere angepasst werden und nicht umgekehrt", betonte sie zu Beginn. Die Jungebermast sieht sie dabei als Alternative zu verschiedenen Verfahren der Kastration unter Betäubung. Isofluran hält sie nicht für geeignet, weil der Schmerz "nicht wirksam genug ausgeschaltet" werde. "Uns ist aber bewusst, dass Ebermast nicht für alle und nicht in jeder Nische möglich ist", schränkte Ohm auch selbst ein. "Der gesunde, intakte, geringelte Schwanz ist beim Schwein der wichtigste Tierwohlindikator", hob Ohm hervor. Da ein Schwanzbeißrestrisiko auch in Bio-Betrieben bestehe, müsse man als Halter auf Signale sofort reagieren. Dabei sollte man auch die Genetik im Auge haben, denn auch in Bio-Betrieben würden häufig Hochleistungshybride eingesetzt.

Prof. Ute Knierim von der Universität Kassel erklärte, dass die hohe Ressourceneffizienz in der Schweineproduktion zu erheblichen Defiziten im Bereich Umwelt- und Tierschutz geführt habe. "Im Ergebnis beobachten wir eine wachsende Kluft zwischen gesellschaftlichen Erwartungen und der Realität." Daher müsse Tierschutz wesentlicher Bestandteil der Agrarpolitik und damit auch der Förderung sein. Die tierschutzbedingten Mehrkosten bezifferte Knierim auf 3  bis 5 Mrd. Euro, was bei einer kompletten Überwälzung auf die Verbraucher zu Mehrpreisen von etwa 3 bis 6 % führen würde. Mehr Tierschutz führe aber zwingend zu einem Fleischverzehrsrückgang, denn mit zunehmendem Tierschutzbewusstsein nehme der Fleischkonsum automatisch ab. Die ökologische Schweinehaltung sieht Knierim auf einem guten Weg, wenngleich es noch Verbesserungen bei Zucht und Eigenkontrollen gäbe.

Regional und vertraut

Die von Gé Backus, Connecting Agri & Food, europaweit durchgeführten Untersuchungen belegen, dass "Tierwohl in Deutschland eine soziale Norm geworden ist“. Dabei kauften die Verbraucher mehr Fleisch, wenn es regional erzeugt und der Bauer bekannt ist, während diesen Umständen in den Niederlanden eine geringere Bedeutung zukommt. "Dies eröffnet Möglichkeiten zur Kommunikation mit dem Verbraucher", sieht Backus diese Entwicklung durchaus positiv. Bekannte Label werden dabei vom Verbraucher besser bewertet, was Backus in dem Satz zusammenfasste: "Wir schmecken, was wir hören und sehen." Dabei sei es für die Verbraucher oft schwierig, tierfreundlich erzeugte Produkte auch zu erkennen. "Der Informations- und Kommunikationsstrategie der Unternehmen und damit auch der Landwirte kommt daher eine zentrale Bedeutung zu", fasste er zusammen.

In Versuchen, an denen auch die Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen beteiligt ist, konnte belegt werden, dass auch unter ökologischen Bedingungen Eber erfolgreich gemästet werden können. Ulrike Westenhorst von der Landwirtschaftskammer berichtete zwar von einem erhöhten aggressiven Verhalten der Eber, das aber nicht zu mehr Verletzungen oder Lahmheiten führte. Prof. Horst Brandt von der Universität Gießen ermittelte eine geringe Übereinstimmung zwischen der Einstufung bei der Fleischbeschau, dem Sensorik-Panel und Laborwerten. Von 107 getesteten Ebern wurden 25 als stark riechend verworfen, sodass die Versuche in Praxisbetrieben abgebrochen werden mussten.

Prof. Ulrike Weiler von der Universität Hohenheim sieht bei der Ebermast auch viele Risiken und Gefahren, die sich nicht auf Geruchsabweichungen beschränken. Aus Tierschutzsicht seien die häufig auftretenden Kämpfe nicht zu unterschätzen. Bei eigenen Untersuchungen konnte Weiler nachweisen, dass nur 20 % der Eber keine Penisverletzungen aufweisen. "Kastrationsverzicht per se ist kein Tierschutz, sondern schafft neue Tierschutzprobleme", resümierte daher Weiler. Untersuchungen zeigten, dass ein großer Teil der Tiere zahlreiche weitere Verletzungen aufweisen würden. Weiler schloss aber nicht aus, dass bei tiergerechterer Haltung mit mehr Platz und Beschäftigungsmaterial die Ergebnisse weniger deutlich ausfallen würden. Darüber hinaus weise das Fleisch von Ebern einen geringeren Intramuskulären Fettgehalt (IMF) auf, der die Genussqualität und damit die Zartheit negativ beeinflusse.

35 000 Eber pro Woche

Seit 2009 schlachtet die Firma Tönnies Eber. Mittlerweile verarbeitet das Unternehmen 35 000 Eber wöchentlich. „Ebermast hat viel mit Tierwohl zu tun, denn Eber transpirieren bei Stress mehr, sodass die Zahl geruchsauffälliger Tiere sofort steigt“, erklärte Dr. Wilhelm Jaeger von Tönnies. Nach mehreren Ausschleusungsmöglichkeiten schon am Schlachtband erfolgt die abschließende Absortierung mittels Geruchsprobe. Dabei wird der Nacken mit einem Industrieföhn erhitzt, sodass der Geruch ermittelt werden kann. „Das Riechen von Ebern kann man übrigens erlernen“, so Jaeger.

Seit 2009 beschäftigt sich die Firma Tönnies mit Ebermast. Mittlerweile verarbeitet das Unternehmen 35 000 Eber wöchentlich, die als Frisch- und Verarbeitungsfleisch vermarktet werden. "Die Berücksichtigung von Tierwohl und das Vermeiden von Stress sind bei der Ebermast und Eberschlachtung wesentlich, da die Zahl geruchsauffälliger Tiere bei Stress deutlich ansteigt", erklärte Dr. Wilhelm Jaeger. Die geruchsabweichenden Masteber werden über Geruchskontrollen am Schlachtband erfasst. Dabei wird das innenliegende Fett im Nacken mit einem Industrieföhn erhitzt, so dass der Geruch ermittelt werden kann. "Das Riechen von Ebern kann man übrigens erlernen", erklärte Jaeger. Besonders geeignet seien berufserfahrene Metzger und Zerleger. Die geruchsabweichenden Eber werden getrennt sortiert und verarbeitet.

Hugo Gödde, Geschäftsführer des Erzeugerzusammenschlusses Biofleisch NRW, berichtete von seinen Erfahrungen mit etwa 750 Ebern. Auch hier sortieren sensible Personen am Schlachtband mittels Riechprobe ungeeignete Eber heraus. Sind die Ergebnisse nicht eindeutig, folgt noch eine Bratprobe.

Nur mit Betäubung

"Kastration ohne Betäubung geht nicht mehr", erklärte Christoph Leiders, der zusammen mit seiner Familie einen Gemischtbetrieb in Willich führt und dort unter anderem 55 Sauen im geschlossenen System hält. Alle Schweine werden auf dem Hof geschlachtet und verarbeitet und anschließend im Hofladen verkauft. "Wir lassen durch den Tierarzt die Betäubung mit Ketamin und Stressnil durchführen", berichtete Leiders und erklärte, dass die Verbraucher keine Probleme mit der Ferkelkastration haben - wenn sie mit Betäubung erfolgt! Das kennen die Kunden von ihren eigenen Haustieren. "Auch wir haben versuchsweise mal 20 Eber geschlachtet, mussten aber fast die Hälfte verwerfen", zeigte Leiders seine Erfahrungen auf. Beim hochpreisigen Bio-Fleisch könne man sich nicht einen Stinker leisten. "Außerdem wünschen wir uns einen hohen intramuskulären Fettgehalt und über die Schlachtsauen haben wir schon ausreichend Verarbeitungsfleisch", erläuterte Leiders, warum man nicht auf Eber setzen könne.

Prof. Friedhelm Jaeger vom NRW-Landwirtschaftsministerium betonte, niemand solle glauben, dass das Verbot der Kastration ohne Betäubung ab 2018 noch gekippt werde. "Das Tierschutzgesetz unterliegt dem im Grundgesetz festgelegten Staatsziel Tierschutz", begründete  er. Langfristig müsse die Politik verlässliche Signale an die Betriebe senden. "Dabei wollen wir auf keinen Fall eine Konfrontation zwischen ökologischer und konventioneller Erzeugung", betonte Jaeger, man wolle ein Gesamtkonzept vorlegen.

Zum Abschluss blickte Prof. Ulrich Köpke von der Universität Bonn für alle Teilnehmer ein wenig über den Tellerrand. "Wir müssen auch prüfen, ob mit intensiver ökologischer Schweinehaltung eine vielfältige Fruchtfolge und sinnvolle innerbetriebliche Nährstofflüsse möglich sind", mahnte Köpke und ergänzte: "Niemand denkt daran, dass das Schwein auch als Landschaftsgestalter dienen kann." Man sollte daher Ideen, wie Schweine auch zeit- oder teilweise im Wald oder auf die Wiese zu halten, nicht einfach beiseite wischen. Nach Ackerbohnen gesäte Stoppelrüben ließen sich beispielsweise prima durch Schweine beweiden. Schließlich sollte man im bäuerlichen Betrieb einen Zusatznutzen in Richtung mehr Biodiversität realisieren. Ein klares Profil helfe auch bei der Kommunikation mit den Verbrauchern. Seine Ausführungen schloss Köpke mit einem Zitat von Karl Ludwig Schweisfurth: "Von allem die Hälfte, aber doppelt so gut."

Quelle und Ansprechpartner: Christian Wucherpfennig, Ökoteam Landwirtschaftskammer NRW, Tel.: 02821-996-177, E-Mail: christian.wucherpfennig@lwk.nrw.de, LZ Rheinland, 45/2015

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