Carsten Niemann hat mit sechs Berufskollegen eine Erzeugergemeinschaft für Bio-Kartoffeln aufgebaut, die das Anbaurisiko für Betriebe minimiert und den Markt stabilisiert. Eine entscheidende Rolle spielt dabei die Stärkeverarbeitung im Lohn.
Die Erzeugergemeinschaft Bio-Kartoffel Nord GmbH in Clenze im niedersächsischen Wendland ist auf den ersten Blick eine klassische Erzeugergemeinschaft. 40 bis 50 Bio-Betriebe bauen hier im Vertrag Kartoffeln an, die über die Gemeinschaft vermarktet werden. Pro Jahr kommen im Schnitt 25 000 t Rohware zusammen, immerhin ein knappes Zehntel der gesamten Bio-Kartoffelerzeugung in Deutschland.
Doch die Leitung der Kartoffel Nord GmbH beschränkt sich bei ihren Zielen nicht auf die reine Vermarktung. Ihr gelingt es, das Anbaurisiko für die beteiligten Betriebe zu minimieren, Absortierungen wirtschaftlich zu verwerten und den überschaubaren Bio-Kartoffelmarkt bei Bedarf zu entlasten.
„Letztlich geht es uns darum, dass die Betriebe vernünftig Bio-Kartoffeln anbauen können und sich der ökologische Anbau für sie lohnt“, sagt Carsten Niemann, Geschäftsführer der Gemeinschaft. Er war Mitgründer im Jahr 2000 und gehört auch mit seinem eigenen Betrieb in Ritzleben in Sachsen-Anhalt zu den beteiligten Erzeugern. Mit einer Anbaufläche von etwa 70 ha kommt er im Schnitt auf 1 500 t Bio-Kartoffeln pro Jahr.
Die Erzeugergemeinschaft ist sehr schlank aufgestellt. Sie kümmert sich mit insgesamt sieben festen Mitarbeitenden um die jährlichen Anbauverträge mit den Betrieben sowie um die Vermarktung und Logistik der Ware. Eigene Lagerräume für Kartoffeln gibt es nicht. Jeder beteiligte Betrieb muss die Rohware bis zum Verkauf selbst einlagern.
Bei der Gründung der Bio-Kartoffel Nord GmbH haben Niemann und fünf gleichberechtigte Gesellschafter von Anfang an darauf geachtet, den Absatz der Ware möglichst breit aufzustellen. Nur knapp ein Fünftel der Ware wird als Speisekartoffel vermarktet. Die weiteren Mengen gehen zu annähernd gleichen Teilen als Pommes-Kartoffeln und weiterverarbeitet zu Flocken oder Stärke an die Lebensmittelindustrie.
„Gerade der Verarbeitungsschritt macht uns flexibel bei der Vermarktung“, sagt Carsten Niemann. „Wenn die Pommes-Kartoffeln in einem schlechten Jahr nichts werden, machen wir daraus einfach Flocken oder Stärke.“ Anders als bei Direktverträgen mit Pommes-Herstellern, die nur Ware mit den vorgegebenen Qualitäten abnehmen, können sich die Erzeuger bei der Bio-Kartoffel Nord deshalb immer auf die Abnahme der kompletten Mengen verlassen.
Carsten Niemann: „Wir sagen den Leuten immer: Macht euch keine Sorgen. Bei uns kann ein Vertrag für Speise- oder Pommes-Kartoffeln in schlechten Jahren auch in einen Stärke- oder Flocken-Kontrakt umgewandelt werden.“ Umgekehrt fallen bei der Erzeugergemeinschaft keine Strafzahlungen an, wenn Betriebe die vertraglich festgelegten Mengen bei einer schwachen Ernte nicht liefern können. Diese Regelungen mildern das Anbaurisiko erheblich, auch wenn die Auszahlungspreise natürlich geringer ausfallen.
Zudem können durch den Verarbeitungsschritt auch Über- und Untergrößen wirtschaftlich sinnvoll genutzt werden, die etwa 20 % der Ernte ausmachen. Statt die absortierte Ware als Futter zu verkaufen, können die Betriebe über die Flocken- oder Stärkeverarbeitung laut Niemann immerhin noch einen bis zu vier Mal höheren Erlös erzielen.
Vor allem die Stärke spielt im Vermarktungsportfolio eine zentrale Rolle. Denn anders als die Pommes- und Flockenware, die unverarbeitet abgegeben wird, lässt die Erzeugergemeinschaft die Bio-Stärke im Lohn von einem spezialisierten Verarbeiter herstellen und vermarktet sie komplett selbst. Im Jahr 2022 wurden aus 5 000 t Kartoffeln etwa 900 t Bio-Stärke hergestellt. „Die Stärke ist unser Joker bei schwierigen Marktlagen“, erklärt Carsten Niemann. „Wenn es Überhänge bei Speisekartoffeln gibt, können wir überschüssige Mengen zu Stärke verarbeiten und so vom Markt nehmen.“ Das funktioniert laut Niemann auch deshalb, weil sich Stärke bis zu fünf Jahre lang hält und der Markt für Bio-Stärke relativ stabil ist.
Die Bio-Kartoffel Nord GmbH ist zudem der einzige Hersteller von Bio-Stärke in Deutschland und hat damit eine günstige Vermarktungsposition. Zwar gibt es Konkurrenz in anderen EU-Ländern. Aber die ausländischen Hersteller bieten ausschließlich Stärke nach EU-Bio-Standard an, während die Rohware der Erzeugergemeinschaft nach deutlich strengeren Verbandsrichtlinien erzeugt wird. Das wissen Abnehmer aus der Lebensmittelindustrie, wie Pizza-, Gnocchi- und Gebäckhersteller, zu schätzen.
Auch für die Betriebe lohnt sich die Stärkeverarbeitung, obwohl die Umsätze nicht das Niveau von Speisekartoffeln erreichen. Denn durch diesen Verarbeitungsweg haben die Erzeuger ein wesentlich geringeres Anbaurisiko. Wie bei Pommes-Kartoffeln können Überschüsse oder nicht ausreichende Qualitäten wirtschaftlich vermarktet werden. Und: Obwohl der Stärkegehalt von Speisekartoffeln im Schnitt 50 % geringer ist als der von Stärkekartoffeln, wird die Ware immer von der Erzeugergemeinschaft aufgenommen und nach Stärkegehalt bezahlt.
Carsten Niemann ist aber noch ein anderer Punkt wichtig: „Durch die eigene Verarbeitung im Lohn bleibt die Wertschöpfung bei uns und damit bei den landwirtschaftlichen Erzeugern. Steigende Preise werden nicht vom Handel abgeschöpft, sondern an die Betriebe weitergegeben.“ Für dieses Engagement im Sinne der Bio-Erzeuger wurde Niemann und sein Betrieb in Ritzleben als Sieger beim Bundeswettbewerb Ökologischer Landbau 2023 ausgezeichnet.
Wie viele der angelieferten Bio-Kartoffeln in die Stärke- oder Flockenverarbeitung gehen, legen die Gesellschafter der Erzeugergemeinschaft in jedem Erntejahr neu fest, je nach Erntemengen und Marktlage. Dabei arbeiten sie eng mit dem BKE zusammen, dem Bio-Kartoffel Erzeuger e.V. Der Verein verfügt über alle Zahlen zu Anbau und Ernte bundesweit und kann deshalb sehr genau abschätzen, welche Mengen auf den Markt kommen werden. Drohen Überkapazitäten, wird mehr Rohware für die Lohn-Verarbeitung eingeplant. Auch die beteiligten Betriebe werden laufend über die Marktentwicklungen informiert.
Das macht die Bio-Kartoffel Nord GmbH laut Niemann zu einem wichtigen Player am Markt. „Wir können zwar nicht die Preise für Bio-Speisekartoffeln beeinflussen. Aber wir bringen Ruhe in den Markt, weil unsere Betriebe wissen, dass sie ihre Ware immer wirtschaftlich vermarktet bekommen. Das entspannt die Landwirte und verhindert Panikverkäufe“, sagt der Bio-Landwirt.
Seit März 2023 hat die Erzeugergemeinschaft einen neuen Standort in einem aufgegebenen Lebensmittelverarbeitungswerk im Wendland. Das ist nach Einschätzung von Carsten Niemann ein wichtiger Schritt: „Vorher waren wir eine reine Bürofirma. Jetzt können wir hier selber unsere Stärke einlagern und die Rohware für die ausgelagerte Flockenerzeugung aufbereiten. Das macht uns krisenfester und wir bleiben handlungsfähig.“
Für Niemann ist die Lohn-Verarbeitung zudem ein wichtiger Baustein beim Ziel, die Wertschöpfung im Bio-Kartoffelanbau langfristig bei den Erzeugern zu halten. Deshalb arbeitet er schon seit längerem mit den Gesellschaftern der Erzeugergemeinschaft an einer weiteren Verwertungsmöglichkeit der Rohware. Woran konkret gearbeitet wird, bleibt aber vorerst ein Betriebsgeheimnis.
Jürgen Beckhoff