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Wo hört die regionale Vermarktung auf?

24.12.2021

Wenn irische Endverbraucher über eine spanische Online-Plattform deutsche Heidekartoffeln direkt vom Erzeuger beziehen, sprengt das die Vorstellung einer regionalen Direktvermarktung. Für Marco Jostmeier, Tim Fechtelkord und Tjorben Bautz ist es eine von vielen interessanten, lehrreichen und erfolgreichen Erfahrungen, die sie in der Online-Vermarktung ihrer Hofprodukte gesammelt haben.


Biohof Marco Jostmeier

  • Betriebsleitung: Marco Jostmeier (27), Landwirt, Tim Fechtelkord (31), Kaufmann, Tjorben Bautz (22), Bauzeichner
  • Lage: Delbrück, Landkreis Paderborn
  • Fläche: 44 ha Acker, davon 1 ha Gemüse, 2 ha Kartoffeln, 15 ha Getreide, 3 ha Futterrüben, Rest Kleegras
  • Tierhaltung: 70 Mastrinder
  • Vermarktung: eigener Online-Shop, www.crowdfarming.com, www.deinhofmarkt.de
  • Sonstiges: Mitglied im Bioland-Verband

Internet: www.bio-hof-marco-jostmeier.de


Für den still gelegten Bauernhof in Delbrück bei Paderborn erging der Weckruf aus dem Dornröschenschlaf 2016. Marco Jostmeier (27) ist 100 m vom landwirtschaftlichen Familienbetrieb entfernt aufgewachsen, den sein Großonkel bis 2003 bewirtschaftet hat. Seither blieb das Wohnhaus bewohnt, die Ställe jedoch standen leer und die Flächen waren an andere Landwirte verpachtet. Von Kindesbeinen an hatte Marco Jostmeier den Wunsch, Landwirt zu werden. Vergeblich versuchten seine Eltern seine beruflichen Pläne auf "etwas Vernünftiges" umzulenken. Nach einer von den Eltern nahe gelegten Ausbildung im Garten- und Landschaftsbau schloss er doch noch eine landwirtschaftliche Lehre an, holte die ersten Flächen aus der Pacht zurück und besiedelte die alten Ställe mit Mastrindern. Auf 44 ha baut er heute Getreide, Kartoffeln und Gemüse nach Bioland-Richtlinien an, rund 70 Rinder beleben im Winter den Stall, im Sommer die arrondierten Weideflächen.

Marco Jostmeier ist Landwirt mit Leib und Seele – für seine Idee konnte er einen gelernten Kaufmann aus seinem Freundeskreis begeistern: Tim Fechtelkord. Zu 50 % ist dieser in einem anderen Unternehmen angestellt, und zwischen 20 und 35 Stunden in der Woche kümmert er sich auf dem Biohof um alle buchhalterischen Dinge. "Marco ist einer meiner besten Freunde, und die Idylle auf dem Hof hat mir einfach wahnsinnig gut gefallen," begründet der 31-jährige Kaufmann seinen Weg in die Landwirtschaft. Neben den Bürotätigkeiten hat er 2021 angefangen, auf einem halben Hektar Gemüse anzubauen. 2019 kam Tjorben Bautz (22) mit ins Team. Der Lebenspartner von Marco Jostmeier ist gelernter Bauzeichner und begeisterter Internet-Kenner. Er hat das Online-Marketing federführend übernommen.

Für Rindfleisch, Kartoffeln und Gemüse experimentiert das junge Betriebsleiter-Team mit unterschiedlichen Vermarktungswegen. Die Idee, einen Teil der Kartoffelernte über die spanische Online-Plattform www.crowdfarming.com zu verkaufen, brachte Tjorben Bautz 2020 ein und stieß damit bei seinen Mitstreitern zunächst auf wenig offene Ohren. Doch er blieb hartnäckig und nach zwei Kartoffelernten sind alle Beteiligten froh, dass er sich durchgesetzt hat. Doch was verbirgt sich hinter dieser Internet-Plattform? Das von spanischen Landwirten ins Leben gerufene Unternehmen begann zunächst mit der europaweiten Vermarktung von Orangen; mittlerweile haben sich Produktpalette und Aktionsradius auf ganz Europa ausgeweitet.

Zu Beginn der Wachstumszeit im Frühjahr bieten Erzeuger Orangenbäume zur „Adoption“ an. Verbraucher bezahlen ihren Anteil an der voraussichtlichen Ernte bereits im Frühjahr. Wenn die Orangen im Winter reif sind, werden sie frei Haus geliefert - mit einem Brief, in dem der „Adoptionspate“ etwas über den Werdegang seiner Orangen erfährt – über den Produzenten, über die Witterung während des Sommers, gespickt mit ein paar netten Details, von denen der Erzeuger meint, das könnte einen Verbraucher interessieren, der Orangen nicht kaufen, sondern adoptieren möchte. Aufgabe des Erzeugers in diesem System ist der Anbau der Orangen, das Verfassen des Anschreibens und das verpackungsfertige Richten der Ware für den Abtransport. Auf der Online-Plattform werden die Produkte eingestellt. Beteiligte Landwirte erhalten eine hilfreiche Beratung zu Vermarktungsmengen, Verpackungsgrößen und Preisen. Zudem übernehmen Crowdfarming-Mitarbeiter alle Online-Marketing-Maßnahmen -  eine vollständige Vermarktung der zur „Adoption“ angebotenen Ware in relativ kurzer Zeit ist nach Erfahrung der Delbrücker Bio-Landwirte zuverlässig gewährleistet. 16 % des Netto-Umsatzes geht an Crowdfarming zur Finanzierung ihrer Aktivitäten, je nach Vermarktungsweg kommen Steuern und Frachtkosten ins Spiel; der Erzeuger erhält den von ihm selbst festgelegten Nettopreis zuzüglich Steuer.

Nicht jeder Landwirt kann beliebig an dieser Plattform teilnehmen. Interessenten werden hinsichtlich ihrer Unternehmensphilosophie, Produktqualität sowie Stabilität und Design der Verpackung unter die Lupe genommen. Crowdfarming ist nicht auf Bio-Landwirte beschränkt – Nachhaltigkeit spielt dennoch eine wichtige Rolle.

Im Prinzip kommen für diese Vermarktungsform alle Produkte in Frage, die auf einem landwirtschaftlichen Betrieb erzeugt werden und eine ein- bis dreitägige Reise zum Kunden ohne Kühlung gut überstehen. Zudem sollte der Warenwert eines Pakets deutlich höher sein als die Transportkosten.

Tjorben Bautz hat Kartoffeln und gemischte Gemüsekisten zur Adoption freigegeben. Eine Mindestmenge von 300 Einheiten a 7,5 kg hat Crowdfarming den Landwirten nahegelegt. Wie regional, national oder international die Produkte vermarktet werden, entscheiden die Erzeuger – und die Verbraucher. "Unsere gemischten Gemüsekisten haben wir nur innerhalb Deutschlands zur Adoption freigegeben, weil insbesondere die frischen Salate bei längeren Transporten zu sehr leiden würden", berichtet Tim Fechtelkord. Die robusteren Kartoffeln können europaweit bestellt werden. "7,5 kg unserer rotschaligen Heidekartoffeln kosten in Irland inklusive Transport und Steuern 46 €, und sie werden gekauft." berichtet der Hof-Kaufmann. Über Sinn oder Unsinn der weiten Reise für Bio-Kartoffeln lässt sich streiten – nicht aber über den Erfahrungswert. Er berichtet: "Es ist einfach ein saugutes Gefühl: Es gibt Menschen, denen genau unsere Kartoffeln so viel wert sind!"

Im Sommer sah der Kartoffelacker in Delbrück aufgrund der feuchtkalten Witterung wie auf vielen anderen Betrieben hierzulande nicht gut aus – die Erntemenge lag spürbar unter dem Erwartungswert und auch unter der Menge, die via Crowdfarming bereits im Sommer verkauft war. Auch in brenzligen Situationen wie dieser zeigt die Plattform klar ihre Vorzüge. Marco Jostmeier konnte die geernteten Kartoffeln weniger streng sortieren als in anderen Jahren und seinen Kunden im Adoptions-Schreiben den Lauf der Saison beschreiben. "Die Resonanz war durchweg positiv", berichtet Tim Fechtelkord, "die Kunden zeigten großes Verständnis für unsere Situation und schrieben uns, wie gut die Kartoffeln trotz optischer Fehler schmeckten." Trotz großzügiger Sortierung reichte die Menge nicht – ein Teil der Kunden bekam statt Kartoffeln eine Rückerstattung des bezahlten Betrags. Ob diese im nächsten Jahr einen neuen Adoptionsversuch starten, wird sich zeigen.


Crowdfarming – Direktvermarktung über internationale Plattform

Hintergrund: gegründet von den Orangenproduzenten Gabriel und Gonzalo Urculo in Valencia mit der Idee, landwirtschaftliche Produkte übers Internet unkompliziert an Endverbraucher zu vermarkten

Heute: Crowdfarming beschäftigt über 70 Mitarbeiter. In ganz Europa beliefern über 90 Erzeuger über 120 000 Verbraucher mit ihren Produkten.

Das Besondere: Die Kunden zahlen („adoptieren“) ihre Ware bereits zu Beginn des Frühjahrs; geliefert wird mehrere Monate später, zur Erntesaison. Crowdfarming übernimmt Marketing und Logistik und unterstützt die Landwirte bei Kundenkommunikation, Preis- und Mengenfestlegung. Dafür gehen 16 % des Netto-Umsatzes an die Plattform

In Deutschland: Die Anzahl beteiligter Landwirte ist bislang überschaubar – wer also mit der Idee sympathisiert, hat gute Chancen, hier einen weiteren Absatzweg zu generieren. Im Aufnahmeverfahren werden Qualität der Produkte, Verpackung und Nachhaltigkeitsaspekte geprüft.

Internet: www.crowdfarming.com


Nicht nur, weil das Fleisch der eigenen Rinder als gekühltes Produkt für Crowdfarming nicht in Frage kommt, hat Tjorben Bautz für den Betrieb weitere Vermarktungswege gesucht und gefunden.

Einen eigenen Online-Shop hat er mit Hilfe von Shopify programmiert. Hier können Kunden Fleisch- und Wurstprodukte shoppen, wie auch Kartoffeln und Gemüse. Wichtig waren bei der Einrichtung des Shops die Schnittstellen zur betrieblichen Buchhaltung wie auch zu den sozialen Medien. Auf Facebook und Instagram werden die Aktivitäten auf dem Biohof spritzig, informativ und regelmäßig gepostet; viele Kunden finden von hier ihren Weg zur Online-Bestellung oder sogar zu einem Betriebsbesuch in Natura. "Wir haben uns bislang dagegen entschieden, einen Hofladen vor Ort zu eröffnen, doch immer wieder gibt es Kunden, die uns und den Hof kennenlernen möchten", beobachtet Tjorben Bautz. Sie haben bei der Online-Bestellung die Möglichkeit, anstelle einer Versandadresse "zur Abholung bereitstellen" anzuklicken.

Der dritte Vermarktungsweg im Bunde ist die regionale Online-Plattform www.deinhofmarkt.de, den Björn Blyscz und Fabian Schmauder, zwei junge Unternehmer aus dem Raum Paderborn ins Leben gerufen haben. Diese ist in erster Linie als B-to-B- Plattform gedacht, auf der Erzeuger mit anderen Erzeugern, Gastronomen und kleineren Läden in der Umgebung ins Geschäft kommen können. Zudem können sich auch Endverbraucher hier über nachhaltige Einkaufsmöglichkeiten informieren. "Wichtig ist uns bei unseren Akquise-Aktivitäten, dass Erzeuger und Abnehmer sich ungefähr die Waage halten", erklärt Björn Blyscz. Um Paderborn herum ist meinhofmarkt mit rund zehn Unternehmen bereits auf einem guten Weg, als nächstes hat sich das junge Start-up-Team den Kölner Raum vorgenommen.

Der Vollständigkeit halber sei noch der Bio-Großhandel erwähnt, an den bislang der Großteil der Tiere verkauft wird.

Für Marco Jostmeier, Tjorben Bautz und Tim Fechtelkord ist das Internet das perfekte Spielfeld, um ihre Hofprodukte bekannt zu machen. Die drei verschiedenen Kanäle bieten ihnen die Möglichkeit, flexibel zu bleiben, wenn eine Plattform oder auch ein Produkt mal nicht optimal läuft. "In diesem Jahr hatten wir eine grottenschlechte Kartoffelernte und unsere erste Gemüsesaison war auch bescheiden. Und trotzdem konnten wir den Betrieb über Wasser halten", freut sich Tim Fechtelkord.

Der nächste Schritt, den die drei jungen Quereinsteiger planen, ist die Überführung des bislang formlosen Miteinanders in eine GbR, in der Arbeitszeiten, Aufgaben und finanzielle Beteiligungen klarer geregelt sind. Mittelfristig ist der Wunsch, einen größeren Teil der Mastrinder zu verarbeiten und direkt zu vermarkten, doch dazu fehlt bislang ein passender Kooperationspartner, der auch größere Mengen im Lohn verarbeiten kann. So hofft Tim Fechtelkord für 2022 zunächst auf eine bessere Ernte vom Gemüseacker und sorgt dafür, dass das Büro rund läuft, Marco Jostmeier kümmert sich um das Wohlergehen seiner Tiere und Äcker und Tjorben Bautz wird weiter über die sozialen Netzwerke berichten, was auf dem Bio-Hof rund läuft und, wo Wetter und andere Einflüsse das Team vor Herausforderungen stellen.

Katja Brudermann (Text und Fotos)

 

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