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Städtische Abwässer als Pflanzendünger?

31.07.2023

Egal ob Landwirtschaft, Gemüse- oder Zierpflanzenbau, Pflan­zen brauchen Nährstoffe. Das Thema Düngung steht jedoch zu­nehmend vor Herausforderungen. Die Herstellung von Mineral­dünger braucht viel Energie. Im Zuge des Ukrainekrieges wurden nicht nur wichtige Lieferketten aus Russland und der Ukraine unterbrochen, es war aufgrund der stark gestiegenen Gaspreise auch ein starker Anstieg der Düngemittelpreise zu verzeichnen. Hinzu kommt, dass Nährstoffe wie Phosphor als Rohstoff in Deutschland nicht verfügbar und die weltweiten Phosphorvorräte zudem begrenzt sind. Damit bekommen der effiziente Umgang und ein möglichst geschlossener Kreislauf eine immer größere Bedeutung.

Über städtische Abwässer gelangt Phosphor in die regionalen Kläranlagen. Ab 2029 sind Anlagenbetreiber gesetzlich verpflich­tet, Phosphor aus den Abwässern zurückzugewinnen, sofern der Phosphorgehalt in der Klärschlammtrockenmasse 2 % übersteigt. Seit Jahren forschen Unternehmen und Wissenschaft daher daran, wie Phosphor aus Abwässern extrahiert und als Pflanzennährstoff zurück in einen natürlichen Kreislauf gebracht werden kann.

Im Juni lud Agrobusiness Niederrhein e. V. zu einer Veranstal­tung auf das Gelände der Kläranlage der Emschergenossen­schaft in Dinslaken ein, bei der verschiedene Möglichkeiten des Nährstoffrecyclings aus Abwässern vorgestellt sowie rechtliche Rahmenbedingungen und Herausforderungen diskutiert wurden.

Zum Einstieg berichtete Dr. Dennis Blöhse von Emschergenos­senschaft/Lippeverband (EGLV) über die Perspektive der Abwasserwirtschaft im Zusammenhang mit dem Thema Nähr­stoffrecycling. EGLV sind mit 59 Kläranlagen in ihren Verbands­gebieten für die Reinigung der Abwässer von rund 3,6 Mio. Einwohnern verantwortlich und damit einer der größten Abwas­serentsorger Deutschlands. Hinzu kommen Aufgaben wie Hoch­wasserschutz, Regenwassermanagement, Renaturierung und Klimaanpassung. Die Verpflichtung zur Rückgewinnung von Phosphor, die ab 2029 gilt, betrifft auch die Anlagen von EGLV. Aus diesem Grund forschen EGLV gemeinsam mit anderen Wasserwirtschaftsverbänden und Tochterunternehmen sowie wissenschaftlichen Institutionen bereits intensiv an Möglichkeiten zur Umsetzung der rechtlichen Rahmenbedingungen.

Dr. Blöhse stellte unter anderem bereits abgeschlossene Aktivitäten in einem europäischen INTERREG NWE Projekt „Phos4You“ (2016 bis 2021) sowie aktuelle Aktivitäten im vom Bundesministe­rium für Bildung und Forschung (BMBF) durch die Förderlinie „Regionales Phosphor Recycling (RePhoR)“ finanziertes Projekt mit dem Akronym „AMPHORE“ (2020 bis 2025) vor. In dessen Rahmen wird eine großtechnische Demonstrationsanlage zum Phosphorrecycling durch eine neu gegründete Gesellschaft, die PhosRec GmbH, am Betriebsstandort in Bottrop gebaut und ab 2024 betrieben.


Lebensmittelanbau in Städten mithilfe von Nährstoffen, die aus Abwasser gewonnen werden?

In einem weiteren Vortrag ging der Verbundkoordinator Volkmar Keuter vom Fraunhofer UMSICHT auf das vom Bundesministe­rium für Bildung und Forschung seit 2019 geförderte Verbund­forschungsprojekt SUSKULT ein, das in Kooperation mit EGLV und weiteren Partnern durchgeführt wird. Ziel des Projekts ist die Entwicklung eines nachhaltigen Anbausystems für Nahrungs­mittel resilienter Metropolregionen, das durch innovative Nähr­stoffkreislaufschließung Ressourcen spart und zur Sicherung der lokalen Nahrungsmittelversorgung beiträgt. Vision des Projekts ist die Transformation konventioneller Kläranlagen zu Zentren der lokalen Nährstoffrückgewinnung und der Anbau von Gemüse und Salaten in der Nähe von Ballungsräumen und in kontrollier­ter Umgebung (indoor), wodurch sich Parameter wie Tempe­ratur, Luftfeuchtigkeit und Nährstoffzufuhr gezielt steuern lassen. „Ich gebe zu, aus heutiger Sicht klingt das für viele noch etwas futuristisch, aber angesichts des Klimawandels – Stichwort Extremwetterereignisse und Wasserknappheit – sowie der Not­wendigkeit zur Einsparung von Ressourcen und der Reduktion von Emissionen werden die Vorteile einer stadtnahen Lebensmit­telproduktion, die nicht auf dem Acker, sondern in Gebäuden stattfindet, zunehmend wichtiger“, ist Keuter überzeugt.

Die Landwirtschaft, wie wir sie bisher kennen, werde deshalb nicht weniger relevant, aber der vertikale Indoor-Anbau von Lebens­mittel könnte eine Ergänzung sein, die dem Ernährungssystem zu mehr Ertragssicherheit und einer Entlastung für die Umwelt verhilft. Das Besondere am Projekt SUSKULT ist dabei die enge Verknüpfung von Kläranlagen als Nährstofflieferanten mit der urbanen Lebensmittelproduktion. Im Technikum auf dem Gelände der Kläranlage Emscher-Mündung in Dinslaken betrei­ben die 15 Projektpartner seit September 2022 eine Pilotanlage, in der bereits Versuche mit Blattsalaten und Wasserlinsen erfolg­reich durchgeführt werden.

Offen für Lebensmittel aus dem SUSKULT-Kultivierungssystem

„Um das SUSKULT-Verfahren zukünftig auch im großen Stil um­setzen zu können, ist die Akzeptanz von Verbraucherinnen und Verbrauchern essentiell. Darum verfolgen wir bereits jetzt, parallel zur Entwicklung der Verfahren zur Nährstoffrückgewinnung und -aufbereitung als Düngemittel, einen partizipativen Forschungsan­satz, in dem wir schon früh den Austausch mit der Gesellschaft suchen. Wir zeigen, was wir vorhaben und wie das funktioniert und wir fragen nach der Meinung und den möglichen Sorgen oder Bedenken“, berichtet Keuter. Die im Projekt SUSKULT umgesetzten Stakeholderbefragungen und Diskussionen haben gezeigt, dass eine Mehrheit dem neuen Anbauverfahren und dem Einsatz von Dünger aus Abwasser offen gegenüber ist.


Politikintegration erfordert Zusammenarbeit

Außerdem befasst sich das Projekt mit der Frage, welche rechtli­chen Herausforderungen (noch) bestehen, um Nährstoffe aus Abwässern als Düngemittel vertreiben und einsetzen zu dürfen. Auf diese Fragen ging Dr. Sandra Schwindenhammer von der Justus-Liebig-Universität Gießen ein, die ebenfalls im Projekt SUSKULT mitarbeitet. Zwar strebe die Politik an, dass zukünftig mehr Wirtschafts- und damit auch Nährstoffkreisläufe geschlos­sen werden, aber aktuell stellen laut Dr. Schwindenhammer die deutsche Rechtslage sowie das EU-Recht Pioniere, die Nähr­stoffe aus Abwässern zurückgewinnen und als Dünger vermark­ten und nutzen wollen, vor einige Herausforderungen. Ein Prob­lem dabei ist, dass Recyclingprodukte ihre „Abfalleigenschaft“ verlieren müssen, um als neues Produkt zugelassen zu werden. „Hier greifen Kreislaufwirtschaftsgesetz, Abwasserrecht, Abfall­recht, Düngemittelrecht, Lebensmittelrecht und Landwirtschafts­politik ineinander. Unsere jetzige Rechtslage ist für derartige Kreislaufsysteme, wie etwa den Anbau von Lebensmitteln auf dem Gelände einer Kläranlage und unter Einsatz von Nährstoffen aus der Abwasseraufbereitung, bisher nicht ausge­legt“, erklärt Dr. Schwindenhammer. Sie sieht großen Bedarf an Zusammenarbeit verschiedener Akteure über die Grenzen ver­schiedener Sektoren hinweg, um rechtliche Hürden zu überwin­den.

Das SUSKULT-Projekt leistet Beiträge zur politischen Diskussion, indem regulative Hürden aufgedeckt werden und mit verschiedenen Akteuren gemeinsam an politischen Handlungs­empfehlungen gearbeitet wird.


Erste Erfolge in der Praxis machen Mut

Die Firma SF-Soepenberg GmbH aus Hünxe erstellt Reststoff­konzepte für die Industrie und verarbeitet nährstoffhaltige Stoff­ströme zu Düngemitteln. Das Unternehmen hat ein eigenes Ver­fahren namens iPhos entwickelt, das dem Wasser Phosphat ent­zieht und damit den Phosphatgehalt in der Klärschlammtrocken­masse auf unter 2 % bringt. Noch diesen Sommer soll die erste Anlage in Betrieb gehen, die mit diesem Verfahren Phosphat aus Abwasser von etwa 5 000 Einwohnern zurückgewinnen kann.

iPhos und andere Verfahren zur P-Rückgewinnung aus Abwas­ser produzieren das Mineral Struvit, welches Phosphor, Magne­sium und Stickstoff enthält. Dr. Joachim Clemens von der Firma Soepenberg ist überzeugt von den positiven Eigenschaften von Struvit als Dünger, der bereits heute für den Einsatz in der Land­wirtschaft erworben werden kann. Struvit fällt durch Zugabe von Magnesiumverbindungen im Abwasser aus. Das führt dazu, dass Leitungsrohre in den Kläranlagen frei bleiben. Gleichzeitig wird hochwertiges Ausgangsmaterial für Düngemittel gewonnen. „Struvit wirkt wie Mineraldünger, das zeigen viele unabhängige Studien. Der in Struvit enthaltene Phosphor, Stickstoff und das Magnesium sind ebenso gut verfügbar für die Pflanzen wie bei Mineraldünger. In der Landwirtschaft hat Struvit den zusätzlichen Vorteil, dass es nicht wasserlöslich ist und die Nährstoffe erst abgegeben werden, wenn die Wurzeln den Dünger durch ihre leicht sauren Wurzelausscheidungen lösen. Das reduziert auch Nitratauswaschungen und Lachgasemissionen. Somit ist Struvit ein grundwasser- und klimafreundliches Düngemittel“, erklärt Dr. Clemens. In seinem Vortrag stellte er die RePhor-Projekte Satellite und P-Net vor, in denen die SF-Soepenberg GmbH aktiver Projektpartner ist.


Quelle: Agrobusiness Niederrhein

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