Stephan und Kerstin Klünemann können eine fürs Emsland recht außergewöhnliche Betriebskonstellation vorweisen: In der Region rund um Papenburg werden vor allem Legehennen, Mastgeflügel und Schweine gehalten. Für Gemüsebaubetriebe ist die Gegen nicht bekannt - schon gar nicht für ökologische. Klünemanns aber sind beides: Gemüsebauern und Naturlandbetrieb. Und das kam so…..
„Wir haben 2015 von meinen Schwiegereltern einen klassischen Gemischtbetrieb mit 200 Sauen übernommen. Der war Ende der 1950er-Jahre als Aussiedlerhof sprichwörtlich aus dem Moorboden gestampft worden“, berichtet Kerstin Klünemann von ihren Anfängen als Landwirtin. Die Agraringenieurin ist selbst auf einem landwirtschaftlichen Betrieb mit Putenhaltung groß geworden. „So haben Stephan, der sich als staatlich geprüfter Agrarbetriebswirt auch ganz gut mit Puten auskannte, und ich auf dem Stammbetrieb in Geeste einen eigenen Betrieb mit zwei Putenställen aufgemacht. Zunächst konventionell, da unsere gedanklichen Ausflüge in die Biolandwirtschaft angesichts der Mahnungen, Öko-Puten seien sehr kompliziert und anspruchsvoll zu halten und schon gar nicht zu vermarkten, ziemlich schnell beendet waren“, erinnert sich Kerstin. Also sei es erst einmal bei den Sauen plus Ackerbau auf den voll arrondierten Flächen rund um den Aussiedlerhof geblieben.
Das änderte sich 2018 grundlegend: Wegen strengerer Auflagen durch die novellierte Tierhaltungsverordnung wäre ein Neubau der Schweineställe nötig geworden. „Da haben wir die Notbremse gezogen und beschlossen, dass die Schweinehaltung bei uns keine Zukunft hat. Die Sauen kamen also runter vom Hof. Was blieb, war ein großer, leerstehender Stall, für dessen Nutzung nun eine Lösung gefunden werden musste“, erzählt die 36-Jährige weiter. Und wie es häufig so ist, sei den Klünemanns beim generationenübergreifenden nachmittäglichen Kaffeetrinken die Idee gekommen, dass sich das Gebäude eventuell für den Chicorée-Anbau eignen könnte - nachdem Ideen wie Wohnwagenstellplatzvermietung oder Pilzzucht einvernehmlich verworfen worden waren. „In der Gemüsekiste vom Nachbarbetrieb war immer mal wieder Chicorée, woraufhin ich mich in youtube-Videos über dessen Anbau schlau gemacht und befunden habe, dass das was für unsere Halle sein könnte.“
Ehemann Stephan habe sich leicht überzeugen lassen, und nach Besuchen eines Wurzelproduzenten sowie einer Treiberei in den Niederlanden hätten die beiden Tierspezialisten ihren Einstieg in den Gemüsebau besiegelt. Die Idee war geboren, der Stallumbau beschlossene Sache. Nicht minder spannend gestaltete sich die anschließende Vermarktungsfrage. „In Papenburg ist die gleichnamige Gartenbauzentrale als Vermarktungsgenossenschaft für die hiesigen Gemüse- und Kräuterbetriebe ansässig. Deren Leute haben uns gut beraten und als neuen Betrieb gerne aufgenommen. Auch vor dem Hintergrund, dass die GBZ in ihrem Portfolio bislang keinen Chicorée gelistet hatte“, fasst Kerstin Klünemann zusammen. „Die Berater dort waren aufgeschlossen und experimentierfreudig und haben uns dazu ermuntert, auch ohne exakte Mengen und Kunden zu schauen, ob und wie es klappt - allerdings unter der entscheidenden Maßgabe: Bei den kleinen Mengen muss es Bio-Chicorée sein!“
Damit sei eine Richtschnur gegeben gewesen, an der sich das junge Landwirtspaar entlangarbeiten und sich auf die Suche nach einem ökologischen Anbauverband begeben konnte. Fündig wurden Stephan und Kerstin Klünemann bei Naturland. „Wir wollten den gesamten Betrieb umstellen, nicht nur den Gemüsebau, und Naturland passte gut wegen der Putenhaltung. Gemeinsam haben wir einen Umstellungsplan für drei Jahre geschmiedet. Angefangen haben wir mit dem Chicorée, den wir ab sofort biologisch produziert und ab Tag eins auch biologisch vermarktet haben“, erläutert Stephan Klünemann. 2019 waren die Ackerflächen umgestellt, 2021 die (Bio)Puten. Letzteres habe den größten Aufwand bedeutet, so der 32-Jährige: „Wir haben die Flächen rund um die Ställe als Weide mit Ackergras und Kleegras eingesät. Das musste fertig sein, bevor wir die neuen Tiere angeschafft haben“, erklärt er. Heute stehen 5 000 männliche und weibliche Auburn-Puten in den beiden Ställen in Geeste, die Klünemanns samt und sonders über die biozertifizierte Geflügelschlachterei „Biofino“ vermarkten.
Was im Februar 2019 mit der Vermarktung der ersten Ernte aus den alten Sauenställen an den LEH, da noch versehen mit dem EU-Biosiegel, begann, entwickelte sich ab dem Moment, da die GBZ Papenburg den Naturland-zertifizierten Chicorée an den Naturkostfachhandel vermarktete, in atemberaubender Geschwindigkeit. „Wir haben anfänglich eine Kiste pro Woche gepflanzt und geerntet, 750 kg gingen wöchentlich an die GBZ. Während der Coronamonate ist die Nachfrage dann aber durch die Decke gegangen“, erinnern sich die beiden an die Anfänge als Gemüse-Anbieter. Und hatten Stephan und Kerstin Pflanzung und Ernte bislang ausschließlich mit Familien-AK erledigen können, mussten sie nun Mitarbeiter einstellen. Ein erster großer Schritt, dem ein noch größerer folgen sollte. „Die Treibräume platzten aus allen Nähten und wir mussten eine Grundsatzentscheidung treffen: Sollten wir unseren noch kleinen Kundenstamm behalten und allen anderen potenziellen Kunden eine Absage erteilen? Oder sollten wir in größere Dimensionen einsteigen?“
Die GBZ habe einen Zukunftsmarkt für Gemüse und großes Potenzial für den Bio-Chicorée gesehen. „Auch wenn der Pro-Kopf-Verbrauch von Chicorée in Deutschland bei mageren 300 g jährlich liegt - zum Vergleich: Niederländer und Franzosen essen durchschnittlich 8 kg Chicorée pro Kopf und Jahr! -, wollten wir die Produktionsvergrößerung riskieren und in eine professionelle Treiberei investieren.“
Gesagt, getan. Nachdem Klünemanns nach längerer Suche und mit einiger Unterstützung durch die Gemeinde Lathen einen geeigneten Standort für die neue Produktion in dem Gewerbegebiet Lathen-Niederlangen, rund 40 km nördlich vom Stammbetrieb in Geeste-Großhesepe gelegen, gefunden hatten, konnte Ende 2021 mit dem Neubau einer Gewerbehalle begonnen werden. Alles in enger Absprache mit der Gartenbauzentrale, einem niederländischen Wurzelexperten und unter dem Eindruck der in den vergangenen Jahren gesammelten Erfahrungen als Chicorée-Produzenten. Funktional, energetisch tip-top musste die Halle sein und vor allem viel Platz bieten. „Wir haben großzügig geplant, damit wir für die Entwicklung in den nächsten Jahren noch viel Luft nach oben haben“, halten sich Kerstin und Stephan Klünemann alle Wachstums-Optionen offen, unter anderem auch motiviert durch die Ambitionen ihres ältesten Sohnes Fabian, der zurzeit eine Ausbildung zum Landwirt macht und sich demnächst vor allem um die Auburn-Puten kümmern wird, während sich das ebenfalls noch junge Betriebsleiterpaar voll und ganz auf das Gemüse konzentrieren kann.
Neben der „Außenhülle“ ist auch die Innenausstattung neu: Klünemanns haben neue Treibkisten angeschafft und in modernste Treib-, Ernte- und Verarbeitungstechnik investiert. Besonders stolz sind sie auf ihre beiden Waschroboter. „Das lästige und vor allem sehr anstrengende Säubern der Kisten mit einem Hochdruckreiniger entfällt; das machen alles die beiden Roboter“, ist vor allem Stephan Klünemann erleichtert über diese Hilfe.
Außerdem ist ein ausgeklügeltes Energiesystem verbaut: „Das Wasser zirkuliert komplett durch; es wird immer wieder verwendet. Das Auffangbecken dient dabei als Pufferspeicher für die Abwärme aus der Kühlung, die wiederum als Heizung genutzt wird. Nachts wird die Kühlung nicht mit Strom betrieben, sondern das heruntergekühlte Wasser aus dem Pufferspeicher als Kühlmittel genutzt“, erklärt Stephan Klünemann die energetischen Besonderheiten. Natürlich ist das Dach mit Solarpanelen gedeckt und die Wände der Halle sind mehrfach isoliert, damit weder Kälte noch Wärme ungenutzt verloren gehen.
Vier Vollzeit- und vier Teilzeitkräfte arbeiten bei Klünemanns, dazu vier Minijobber. Saison-AK werden nicht beschäftigt, dafür häufig Quereinsteiger. Auch Menschen mit Behinderung oder Flüchtlinge sind darunter - Klünemanns möchten als Arbeitgeber ihrer sozialen Verantwortung gerecht werden. „Wir haben ein großes Alleinstellungsmerkmal: Wegen der guten Ausstattung mit Arbeitskräften, vor allem aber aufgrund der ausgefeilten Technik, sind wir in der Lage, kontinuierlich pflanzen und ernten zu können. Andere Gemüsebaubetriebe stoppen im Sommer wegen der großen, energieintensiven Kühlflächen mit dem Chicorée-Anbau. Wir sind der einzige Bio-Chicorée-Hersteller, der den ganzen Sommer hindurch Wurzeln treiben kann. Wir haben Wurzeln im Kühllager eingefroren, die wir auf Abruf pflanzen können, was eine riesen Flexibilität bedeutet. So können wir bestens auf den Markt reagieren“, fasst Stephan Klünemann seine Produktionspläne zusammen. Ziel sei es, 10 bis 11 t pro Woche zu erzeugen.
Weil Kerstin und Stephan Klünemann ein durch und durch „grünes“ Produkt erzeugen, haben sie ihr Unternehmen……. „Goldköpfe“ getauft. „Naja, wir sind ein grüner Bio-Betrieb. Der Chicorée ist es nicht, der ist gelb-gold-glänzend. Also passt der Name „Goldköpfe“ gut zu dem, was wir produzieren“, lacht Kerstin Klünemann. Und Ehemann Stephan ergänzt zufrieden und selbstbewusst zugleich: „Eigentlich sind wir beiden ja die goldenen Köpfe hinter dem Produkt.“
Meike Siebel,
Landwirtschaftskammer NRW
Stephan und Kerstin Klünemann sind die Gesichter hinter den „Goldköpfen“.
Das Wasser dient zum Bewässern, Kühlen und als Wärmepuffer und zirkuliert rund um die Uhr.
Die Ernte ist, ähnlich wie die Pflanzung, eine der wenigen Arbeiten in der neuen Anlage, die nicht voll automatisiert ist.