Auf dem Bio-Obstbaubetrieb von Johannes und Christian Nachtwey in Grafschaft-Gelsdorf im nördlichen Rheinland-Pfalz wird eine Agri-PV-Anlage installiert. Sie soll unter anderem als Schutz der Apfelbaumkulturen dienen - und natürlich Strom liefern, den die beiden bei der Kulturführung nutzen wollen. Welche vielseitigen Funktionen die PV-Anlage in Zukunft erfüllen soll und wie gut sie das voraussichtlich machen wird, hat sich die Ökoportal-Redaktion bei einem Besuch in der Apfelanlage zeigen lassen.
Bei Familie Nachtwey dreht sich alles ums Kern- und Steinobst. Rund 90 % der 65 ha Anbaufläche sind mit Apfelbäumen bepflanzt, auf 1 ha stehen Süßkirschen im geschützten Anbau. „Spezialisiert sind wir aber auf den Apfelanbau. Da hat sich die Kulturführung, zunehmend auch der geschützte Anbau von Äpfeln, sehr gut eingespielt“, erläutert Christian Nachtwey. Der 25-Jährige hat Gartenbau in Geisenheim studiert und ist zurzeit auf dem elterlichen Betrieb angestellt. Vater Johannes Nachtwey hatte den Betrieb, der direkt an der Grenze zu Nordrhein-Westfalen liegt, 2003 auf ökologische Bewirtschaftung umgestellt, seit 2006 produzieren Nachtweys unter dem Naturland-Verbandssiegel.
Seit 2007 sammelt Johannes Nachtwey Erfahrungen mit der Anpflanzung von Äpfeln unter Hagelschutznetzen. „Diese haben wir zur Produktionssicherung installiert. Ohne Schutz vor Hagel und anderen Wetterunbilden ist der Apfelanbau eigentlich nicht mehr möglich“, ist der Bioobstbauer überzeugt. Auch die 4 500 Bäume der neueren Sorte Natyra, 2012 gepflanzt, sind komplett mit Hagelschutznetzen zur Qualitätssicherung überspannt.
Auch wegen dieser langjährigen Erfahrungen mit Netzen im Apfel- und Folien im Süßkirschenanbau wurden Johannes und Christian Nachtwey vor drei Jahren von einem Politiker aus dem Kreis Ahrweiler gefragt, ob sie die erste Agri-PV-Anlage im Apfelanbau in Deutschland auf einer ihrer Flächen installieren würden. „Versuche zu Folienüberdachung von Äpfeln gab es da schon, zum Beispiel im Kompetenzzentrum Obstbau Bodensee in Bavendorf. Die kannten wir. Die PV-Anlage ist ein Folgeprojekt dieser Versuche am Bodensee, in dem das Netz als Standardvariante und die Alternativen Folie und Solarmodule miteinander verglichen werden sollen“, erläutert Christian Nachtwey. Und nachdem sowohl der Lokalpolitiker als auch die beteiligten Projektpartner (siehe Kasten) den beiden Obstanbauern ihre Pläne zur Überdachung von Sonderkulturen im Detail erläutert hatten und als dann noch der Förderantrag positiv beschieden worden war, war der Startschuss gefallen. „Uns leuchtete das schlüssige Gesamtkonzept ein: Eine Agri-PV-Anlage kann die herkömmlichen Schutzkonstruktionen im Obstbau gegen Hagel, Starkregen und Sonnenbrand ersetzen und macht sich allein deshalb schon bezahlt. Nebenbei wird grüner Strom erzeugt, der innerbetrieblich für Prozesse in der Kulturführung nutzbar ist.“
Johannes und Christian Nachtwey hätten also nicht lange überlegen müssen: „Ich finde diese Idee der Agri-Photovoltaik innovativ und zukunftsweisend. Die Möglichkeit, die Synergien von geschütztem Obstanbau und der Gewinnung von erneuerbarer Energie zu nutzen, hat mich sprichwörtlich elektrisiert. Wir erzeugen grünen Strom und rote Äpfel - oder vielmehr rote Äpfel mit grünem Strom. Besser geht’s nicht!“, frohlockt der Bio-Obstanbauer.
Dabei finden es Vater und Sohn Nachtwey genauso spannend wie die Projektpartner am DLR, welche Sorten wie auf die bedachte Kultivierung reagieren, welche sich besser, welche weniger gut eignen. „Acht Sorten stehen auf der Fläche demnächst im Anbau, darunter die frühe Sorte Delbar, bei der vor allem die Fruchtausfärbung vor der Ernte sowie ihre alternierenden Erträge über die Jahre interessieren. Unsere robusteren Standardsorten, wie Natyra, Topaz oder Breaburn, sollen dann eher im Hinblick auf ihre sortenspezifischen Schwachstellen bei Krankheits- oder Schädlingsbefall hin beobachtet werden. Insgesamt möchten wir über die Fruchtentwicklung am Baum und den Fruchterhalt nach der Ernte diejenigen Sorten herausfiltern, die mit weniger Licht auskommen“, so Johannes Nachtwey.
Ein weiterer Punkt ist die Bewässerung der Kulturen. „Nach zwei trockenen Jahren mit zwei oder drei Monaten ohne Regen, wie 2018 und 2019, machen auch Obstbäume schlapp“, so die Erfahrung von Johannes und Christian Nachtwey. Das Regenwasser, das von den Modulen abtropft, läuft in die Fahrgasse und nicht in den Baumstreifen, in dem die Bäume wachsen. Deshalb ist eine Tröpfchenbewässerung der jungen Bäume in den ersten drei Jahren nötig.
Spannend dürfte auch die Entwicklung von Flora und Fauna unter den Solarmodulen sein, unter denen ein ganz anderes Mikroklima herrschen wird als bislang in den Plantagen. Und das sowohl Hitze als auch Frost betreffend, vor dem die Konstruktion ebenfalls schützen soll - das bleibt zu erforschen. „Die Nützlingsförderung ist im Obstanbau enorm wichtig, vor allem im Bioanbau. Es ist zum Beispiel denkbar, dass wir von Bienen auf Hummeln zur Bestäubung umsteigen werden.“ Auch die Greifvögel, die Schadnager in Zaum halten, müssen weiterhin unterstützt werden. „Wir haben im vergangenen Jahr zwölf Turmfalken-Brutpaare und in der Folge mehr als 20 Jungvögel in unseren Anlagen gezählt!“, so Christian Nachtwey nicht ohne Stolz. Deshalb blieben Insekten- und Vogelnisthilfen auch in unmittelbarer Nachbarschaft zur Agri-PV-Anlage für die Mäusejagd in den offenen Anlagen ein Muss.
Die BayWa r.e. hat spezielle Module entwickelt, die den Anforderungen des Apfels entsprechen. Dabei ist der ausreichende Lichteinfall elementar, sodass sich die Firma für eine Transparenz von rund 54 % entschieden hat. Die Module werden entweder im Zebra- oder im Blockdesign aufgestellt, wie in der Grafik 1 zu sehen. Untersucht werden soll, welches Design die besten Ergebnisse beim für die Früchte nutzbaren Lichteinfall bringt - da haben die Interessen der Landwirtschaft Vorrang vor der Energieausbeute.
In vier Reihen werden feste Module mit einer Neigung von 12 ° Richtung Südwesten installiert, in drei Reihen in der Mitte der Anlage in 80 °-Trackern, die der Sonne nachlaufen, siehe hier. Die Unterkante soll bei 4,30 m, die Oberkante bei 4,80 m liegen. Außerdem ist geplant, die Module an eine Wetterstation anzukoppeln, die zum Beispiel bei der Vorhersage von Hagel oder Starkregen diese so steuert, dass sich das „Moduldach“ schützend schließt. Damit wäre die Schutzfunktion der Hagelnetze mindestens erreicht.
Seit dem 12. April ist die Baustelle in Betrieb. Die gesamte Versuchsparzelle misst 7 500 m², 3 500 m² werden überdacht. Die Bodenanker für die Aufständerung wurden in den Boden gerammt, sie sollen auch das rund 2° leichte Gefälle der Fläche ausgleichen. „Wir haben im letzten Herbst die Fläche für die Neuanpflanzungen freigerodet, dann im Februar gegrubbert, sind mit dem Kreisel sowie einem Tiefenlockerer drübergefahren. Einige Schritte müssen wir wohl vor der Pflanzung wiederholen, die Baumaschinen haben den Boden ziemlich verdichtet“, meint Christian Nachtwey.
Der Pflanztermin der Apfelbäume ist für Ende April/Anfang Mai geplant - „sobald die Bauarbeiten fertig und die Module montiert sind“, so Johannes Nachtwey. Dann werde es rund zwei Jahre dauern, bis die Bäume so viel Ertrag bringen, dass sie für die Forschung von Nutzen sind. „Das Projekt ist auf fünf Jahre veranschlagt, eventuell wird ein Anschlussprojekt folgen. Die Anlage wiederum soll 25 Jahre lang stehen, damit sich ihr Bau amortisiert“, so die Obstanbauer. In dieser Zeit sollte es allen Beteiligten gelungen sein, die Praxistauglichkeit des Konzepts unter realen Einsatzbedingungen zu beurteilen und zu zeigen, inwieweit ein Obstanbausystem und herkömmliche PV-Anlagentechnik kombinierbar sind.
Meike Siebel,
Landwirtschaftskammer NRW
Am 21. April wurde auf einer Online-Pressekonferenz, zu der das Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme, ISE, eingeladen hatte, das Projekt der ersten Agri-PV-Anlage im Apfelanbau in Deutschland und deren Baustart in Gelsdorf vorgestellt. Bis März 2025 soll an dieser Anlage innerhalb des durch das Ministerium für Umwelt, Energie, Ernährung und Forsten des Landes Rheinland-Pfalz (MUEEF) und das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) geförderten Projekts „Agri-PV Obstbau“ geforscht werden. Neben der Analyse pflanzenbaulicher Aspekte und Umweltparameter werden unter anderem energiewirtschaftliche, sozialwissenschaftliche, gesellschaftspolitische und ökonomische Aspekte beleuchtet.
Sebastian Gölz, Fraunhofer, betonte, dass eine Agri-PV-Anlage beim Thema Klimawandel in zweierlei Hinsicht helfen könne: „In erster Linie kann eine Überdachung der Kulturen vor den Auswirkungen des Klimawandels, wie Hagel, Starkregen, Hitze und zu intensiver Sonneneinstrahlung, schützen und somit Ernte, Ertrag und Qualität verbessern. Andererseits ist die Erzeugung alternativer Energien an sich ein Beitrag gegen den Klimawandel.“ Auch Jürgen Pföhler freute sich in seinem Grußwort, das er als Landrat des Kreises Ahrweiler an die Teilnehmer richtete, über diesen vielfältigen Nutzen der Energieerzeugung und Unterstützung der Produktionssicherung im Obstanbau. „Alle Teilnehmer betreten hier Neuland, wir lernen jeden Tag dazu!“, betonte Pföhler bei seinem Ansporn für gutes Gelingen.
Jürgen Zimmer, Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum Rheinland-Pfalz (DLR), stellte die agrarwissenschaftliche Komponente des Projektes vor. So sollen zunächst die pflanzenbaulichen Parameter in den Fokus rücken, wie Erträge, Qualität, Farbsortierung der Äpfel, aber auch phytosanitäre Aspekte einer Beschattung und Überdachung der Bäume betrachtet und daraus folgende Maßnahmen abgeleitet werden. „Außerdem interessiert uns die Biodiversität in der Anlage. Wir werden Blühstreifen und Hochstaudenstreifen anlegen sowie die Insekten- und Vogelpopulationen erfassen“, ergänzte Zimmer.
Neben dem Fraunhofer ISE, dem DLR und dem Bio-Obsthof Nachtwey sind noch drei weitere Projektpartner beteiligt: Die BayWa r.e. ist zusammen mit dem Fraunhofer ISE für die Entwicklung des Agri-PV-Anlagendesigns sowie für die Implementierung und Bauleitung der Agri-PV-Anlage verantwortlich. Die Elektrizitätswerke Schönau, EWS, sind für die Ausarbeitung und Abwicklung des Stromabnahmekonzeptes zuständig. Sie werden den Strom in ihrem Bilanzkreis aufnehmen und vermarkten. Nicht zuletzt stellt die Fendt AGCO GmbH für das Projekt mit dem Fendt e100 einen batteriebetriebenen Traktor zur Verfügung, der in die tägliche Arbeit auf dem Bio-Obsthof Nachtwey eingebunden werden soll, um das Potenzial der CO2-Einsparung durch Verwendung von grüner Energie im Vergleich zu dieselbetriebenen Traktoren zu ermitteln.
Wer den Fortgang des Projektes beobachten möchte, kann sich auf der Projektwebsite unter www.ise.fraunhofer.de/de unter den Stichworten Forschungsprojekte/ APV-Obstbau mit regelmäßigen Updates informieren.
Meike Siebel,
Landwirtschaftskammer NRW