Einzelbetrieblich gilt es, das für den eigenen Standort geeignete Weidesystem zu finden. Der Erfahrungsaustausch mit "alten Hasen" kann helfen. Vorsicht aber vor Systemen, die theoretisch vielleicht interessant, an den eigenen Standort aber nicht angepasst sind.
Zur Weidehaltung gibt es in den letzten Jahren vieles zu lesen. Bei genauerem Hinschauen entsteht der Eindruck, Weide ist jetzt Mode. Viele, die sich dazu berufen fühlen, wussten schon immer, wie Weide funktioniert. Auch dann, wenn sie selbst noch keine praktische Erfahrung mit unterschiedlichen Weidesystemen haben oder hierzu noch keine Untersuchungen gemacht haben. Das Ergebnis ist viel Theorie ohne Erfahrung, was letztendlich nur zur Verwirrung beiträgt.
Das in Deutschland momentan im Ökolandbau am weitesten verbreitete System ist sicherlich die Kurzrasenweide. Geführt wird sie als Standweide oder aber als Umtriebsweide mit schnellem Umtrieb, bei der aufgetrieben wird, sobald die Flächen im Frühjahr ergrünen. Ganzjährig sollte die Wuchshöhe sechs Zentimeter, noch besser fünf Zentimeter nicht überschreiten. Der laufende Verbiss begrenzt die Bildung von Trockenmasse, bedingt durch die gute Schmackhaftigkeit sind die Weideverluste unter optimalen Bedingungen aber nur minimal. Hohe Verwertung in Verbindung mit extrem nährstoffreichem Futter führen zu hoher Flächenleistung (gemessen in Milch pro ha).
Die letzten Jahre zeigen, dass auch in Trockenjahren die Erträge höher ausfallen als bei Schnittnutzung. Bei diesem Weidesystem kann unter optimalen Bedingungen auf Pflegemaßnahmen weitestgehend verzichtet werden. Weniger geeignete Standorte, wie Hanglagen mit ausgeprägten Liegeflächen sowie Standorte mit unsicherer Trittfestigkeit, sollten besser als Portions- oder Umtriebsweide geführt werden.
Eine hohe Flächenleistung lässt sich auch mit intensiver Portionsweide (Ruhepausen zwischen zwei Auftrieben etwa drei bis vier Wochen) erzielen. Bei diesem System wird portionsweise nach jedem Melken oder auch für einen ganzen Tag ein Teilstück zugeteilt. Die Mehrarbeit hält sich bei gutem Flächenzuschnitt und unter zu Hilfenahme automatischer Flächenzuteilung (wandernder Zaun) in Grenzen.
Weit verbreitet war lange die Umtriebsweide, bei der durch Flächenwechsel nach mehreren Tagen immer wieder neues Futter angeboten wird. Bei Auftrieb ab acht Zentimeter, stellenweise auch erst ab 15 Zentimeter, ist der Aufwuchs zu Beginn noch relativ jung. Mit zunehmender Alterung wird stärker selektiert und die Weidereste nehmen zu. Werden hohe Futteraufnahmen pro Einzeltier angestrebt, steigen die Weidereste stellenweise auf über 50 Prozent, entsprechend fällt dann die Flächenleistung.
Bei der intensiven Form der Standweide wird angestrebt, Graszuwachs und Grasaufnahme optimal aufeinander abzustimmen. Der Trockenmasseertrag, zumindest brutto, fällt nicht so hoch aus, wie bei der Umtriebsweide. Bedingt durch geringere Weidereste kann die Flächenleistung vergleichbar ausfallen.
Bei der Siesta-Weide sind die Kühe stundenweise auf der Weide. Unter günstigen Bedingungen wird auch hier eine guter Flächenleistung erzielt. Ist die Fläche leicht vom Stall her zugänglich und sind die Kühe an einen Rhythmus gewöhnt (Kühe gehen selbständig raus und rein), fällt kaum Arbeit an.
Steht allerdings im Vergleich zur Herdengröße nur wenig Weidefläche zur Verfügung, auf der die Tiere vor allem liegen und viel Abkoten, ist der Aufwuchs wenig schmackhaft und wird nur wenig genutzt (reine "Joggingweide"). Der Gesundheit kann es guttun. Unter Umweltgesichtspunkten ist ein derartiger Weidegang allerdings bedenklich.
Weidesysteme für Extensivhaltung (auch in Mitteleuropa?)
Bei der extensiven Form der Standweide wird eine gewisse Zahl von Tieren (Aufzuchtrinder oder Mutterkühe) im Frühjahr auf eine Fläche aufgetrieben und bleibt bis zum Herbst. Diese Form der Weide ist zwar arbeitssparend, die Flächenleistung ist aber niedrig und kann im Laufe der Jahre extrem abfallen.
Aus tropischen Ländern und Nordamerika ist die Langgrasweide bekannt, anderswo auch "holistic grazing" oder "Mob-grazin" genannt, stellenweise als (extensive) Portionsweide übersetzt. Bei etwa 25 – 30 Zentimeter kommen die Kühe kurz zum Fressen auf eine Portionsfläche und erhalten danach eine neue Teilfläche. Die Kühe fressen nur das obere Drittel bis maximal die Hälfte des Aufwuchses. Der Rest dient dem Bodenleben und zum Aufbau von Humus und soll langfristig das "für den ökologischen Landbau mit weitem Abstand beste Beweidungssystem sein" (Christoph Becker, 2016). Das hört sich zwar gut an und mag auch unter anderem Klimabedingungen funktionieren.
⇒ Geringe Flächenproduktivität:
In Irland, wo Vergleiche vorlagen, sank die Flächenproduktivität bei Umstellung von Portionsweide konventionell auf Mob-grazing Bio um 50 Prozent. Erwartet worden war ein Rückgang infolge Umstellung von konventionell nach Bio um 20 bis maximal 30 Prozent.
⇒ Humusanstieg bei laufender Grünlanderneuerung fraglich:
Weil die Bestände sich zum Nachteil veränderten (je nach Standort Ausbreitung von Quecke, Honiggras oder Gemeiner Rispe) wurde in Dänemark und den Niederlanden (in Irland liegen noch keine langjährigen Erfahrungen vor) alle paar Jahre neu gesät. Der angestrebte Humusanstieg dürfte so nicht zu realisieren sein.
⇒ Wenig Bodenleben:
Bei einer Führung wurde auf das bessere Bodenleben hingewiesen. Schöne Theorie - Im Bodenprofil waren aber keine Würmer und keine Wurmgänge zu finden.
⇒ Schlechte Verdaulichkeit:
Auffallend war, dass die Weidetiere offensichtlich Probleme mit der Verdauung hatten. Der Kot war dünn und die Tiere entsprechend verschmutzt. Der Grund ist, dass die Tiere in kurzer Zeit zu viel junges Futter (oberer Teil hochverdaulich) aufnehmen. Zur Abhilfe erhalten die Kühe auf einem Betrieb in den Niederlanden viermal täglich eine neue Fläche zugeteilt und fressen dann auch tiefer in die rohfaserreicheren Bereiche.
Bewertungsschema: 1 = sehr gut, 2 = gut, 3 = mittel, 4 = ungünstig, 5 = sehr ungünstig | ||||
Weidesystem | Wuchshöhe zu Weideauftrieb | Flächenleistung in MIlch oder Fleisch | Selektives Fressen / Weidereste | Arbeit (Stall + Weide) |
Weidesysteme für Milchviehbetriebe Mitteleuropas | ||||
Kurzrasen -weide | ab Ergrünen | 1 bis 2 | 1 bis 2 | 1 bis 2 |
Portions -weide, intensiv | 8 – 30 cm | 1 bis 2 | 1 bis 3 | 1 bis 3 |
Umtriebs -weide | 8 – 15 cm | 1 bis 3 | 2 bis 4 | 2 bis 3 |
Standweide, intensiv | 8 – 15 cm | 2 bis 3 | 2 bis 3 | 1 bis 2 |
Siesta- weide | 8 – 15 cm | 2 bis 5 | 2 bis 5 | 1 bis 4 |
Weidesysteme für Extensivhaltung (auch für Mitteleuropa?) | ||||
Standweide, extensiv | 8 – 15 cm | 4 bis 5 | 4 bis 5 | 1 |
Langgras- weide* | 25 – 30 cm | 4 bis 5 | 5 | 2 bis 4 |
*Langgrasweide: Mob grazing, holistic grazing, extensive Portionsweide |
Quelle und Ansprechpartner: Dr. Edmund Leisen, Landwirtschaftskammer NRW, Münster, den 23. März 2019