In Teil 3 wurde konkretisiert, wie sich im Rahmen der kuhgebundenen Kälberaufzucht die Milchleistung und damit auch der Milchpreis zur Kompensation einer geringeren Milchanlieferung verändern müsste. Durchgerechnet wurden Milchleistungen von 5.200 bis 7.200 kg/Kuh bei konsequenter Aufzucht an der Mutter bei allen weiblichen und männlichen Kälbern. Im Ergebnis ergab sich ein erforderlicher Aufschlag auf den Milchpreis von 7,6 bis 9 ct/kg Milch.
In der Praxis finden wir aber in der Regel eine Kälberaufzucht, die sich auf die Kälber beschränkt, die für die eigene Bestandsergänzung erforderlich sind. Die Bullenkälber werden nach zwei bis drei Wochen an den (konventionellen) Viehhändler verkauft und auch überzählige, weibliche Kälber werden auf diesem Wege vermarktet. Nur die weiblichen Kälber bleiben auf den Betrieben, die je nach einzelbetrieblicher Bestandsergänzungsrate und Risikoeinschätzung benötigt werden. Entsprechend reduziert sich auch die Tränkemenge.
Diese Praxis, die den Fokus nur auf den "eigenen Gebrauch" legt, kann man ethisch hinterfragen und kritisieren. Tatsache ist aber, dass im ökologischen Landbau bisher keine Erzeugungs- und Vermarktungsstrukturen für diese Anzahl an Bullenkälbern und weiblichen Kälbern etabliert sind. Dies liegt auch daran, dass der konventionelle Rindfleischmarkt ein Marktumfeld erzeugt, in dem Bio-Rindfleisch zu kostendeckenden Preisen (genannt werden 6 € je kg SG für den Erzeuger) keine Chance hat. Ausnahme ist hier die Direktvermarktung bei deutlich begrenzten Stückzahlen.
In der folgenden Tabelle sind einige Szenarien aus der Praxis dargestellt, die sich an den Kennzahlen in Teil 3 orientieren. Am Ende wird die Frage beantwortet, welchen Aufschlag auf den Milchpreis die Molkerei (oder eine andere Institution) zur Kompensation des höheren Milchverbrauchs zahlen müsste, wenn keine weiteren, nennenswerten Änderungen auf der Kosten- oder Einnahmeseite eintreten.
Die Kalkulation unterstellt, dass bei allen Verfahren zu den gleichen Kosten im Betriebszweig Milch produziert werden kann. Dementsprechend werden auch gleiche wirtschaftliche Ergebnisse erzielt, wenn in allen Varianten ein Milcherlös von 250.000 € im Jahr erreicht wird. Nicht berücksichtigt bei dieser Kalkulation wurden verschiedene Varianten der Aufzucht an einer Amme. In Abhängigkeit von den zutreffenden Annahmen bezüglich der Aufzucht an einer Amme würde der jeweils benötigte Aufschlag beim Milchauszahlungspreis erneut variieren.
(Zahlen zum Teil gerundet) | Ausgangssituation | muttergebunden "konsequent" | muttergebunden "pragmatisch" | muttergebunden "pragmatisch + intensiv" | muttergebunden "pragmatisch + extensiv" |
Verkauf Bullenkälber, weibliche Kälber im Umfang der eigenen Bestandsergänzung, Standardtränke | alle Kälber werden über 12 Wochen an der Mutter getränkt | nur die weiblichen Kälber für die eig. Bestandserg. an der Mutter getränkt | wie Spalte links, Steigerung der Milchleistung | geringere Milchleistung, höhere Bestandsergänzungsrate
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Anzahl Kühe | 70 | 70 | 70 | 57 | 78 |
erzeugte Milchmenge kg | 500.000 | 500.000 | 500.000 | 500.000 | 500.000 |
Bestandsergänzungsrate % | 25 % | (25 %) | 25 % | 25 % | 32 % |
Anzahl weibl. Kälber getränkt pro Jahr bei 400 Tagen ZKZ und 5% Verlusten | 18 | 29 | 18 | 14 | 25 |
Anzahl männl. Kälber getränkt pro Jahr | 29 | ||||
Tränkemenge kg/Kalb incl. Milchleistungsminderung nach dem Absetzen bei muttergebundener Aufzucht | 600 | 1.600 | 1.600 | 1.600 | 1.600 |
Tränkemenge gesamt kg | 10.500 | 92.240 | 28.000 | 22.770 | 40.100 |
Mehrbedarf an Tränkemilch kg/Jahr | 57.650 | 17.500 | 14.230 | 25.060 | |
nach Abzug Kälbermilch an Molkerei gelieferte Milchmenge kg | 489.500 | 407.800 | 472.000 | 477.200 | 459.900 |
Milcherlös € | 250.000 | 250.000 | 250.000 | 250.000 | 250.000 |
berechnetes Milchgeld ct/kg | 51 | 61 | 53 | 52 | 54 |
notwendiger Mehrerlös ct/kg Milch | 10,2 | 1,9 | 1,3 | 3,3 | |
erzeugte kg Milch/Kuh | 7.140 | 7.140 | 7.140 | 8.780 | 6.380 |
an Molkerei gelieferte kg Milch/Kuh | 6.990 | 5.830 | 6.740 | 8.380 | 5.870 |
Differenz kg Milch/Kuh | 150 | 1.310 | 400 | 400 | 510 |
► Egal welches Verfahren als Alternative gegenüber der Ausgangssituation gewählt wird, ein Aufschlag auf den Milchpreis ist immer zum Ausgleich erforderlich. Selbst das Fehlen eines Aufschlags von 1,3 ct/kg Milch als Mindestaufschlag in den Beispielen wird seine Spuren in den Buchführungen hinterlassen.
► Der Aufschlag beim Milchpreis wird umso höher ausfallen müssen, je mehr Kälber muttergebunden aufgezogen werden. Werden sowohl die männlichen als auch die weiblichen Kälber in der skizzierten Weise ernährt, steigert sich der Aufschlag auf bis zu 10 ct/kg Milch (12 Wochen Tränkedauer unterstellt).
► Extensive Verfahrensweisen mit geringer Milchleistung und höherer Bestandsergänzung bedingen höhere Zuschläge als intensivere Verfahren.
► Die Frage, welche der skizzierten Varianten in der breiten Praxis verfolgt werden sollten, wird nicht allein von der Molkerei zu beantworten sein, die vorrangig für die Auszahlung der Zuschläge in Frage kommt. Erforderlich ist die Klärung, wie aus ethischer Sicht und mit gesellschaftlicher Akzeptanz die Aufzuchtperiode der Kälber gestaltet wird, um daraus konkrete Anforderungen und monetäre Anreize für die Landwirte zu entwickeln.
Die Praxis der Tränkedauer (12 Wochen?), der Aufstallung (gemeinsame oder getrennte Aufstallung?) und der Entwöhnung werden in den Betrieben unterschiedlich gehandhabt. Hier folgt jeder seinem persönlichen Anspruch an das Nutztier (Milchgewinnung) und dem persönlichen Anspruch an eine verantwortbare Tierhaltung im eigenen Betrieb. In dieser Situation wird es schwer bis unmöglich, einen gerechten Aufschlag für teilnehmende Betriebe zu bestimmen und den Verbraucher für diesen Weg auch zu begeistern. Ein Konsens ist gefragt, wenn man nicht nur die Direktvermarktung im Fokus hat. Die Molkerei darf bei der Festlegung dieser Standards nicht allein gelassen werden. Ihre Mitwirkung ist wichtig!
► Es gibt Landwirte, die mit einem intensiveren Tränkemanagement (nicht zwangsläufig verbunden mit einer muttergebundenen Kälberaufzucht) eine höhere Lebensdauer, eine höhere Leistungsbereitschaft (metabolische Programmierung) und damit eine höhere Lebensleistung bei ihren Milchkühen verfolgen. Dazu sind uns keine wissenschaftlich fundierten Zahlen bekannt.
Die vorliegenden Daten aus der Betriebszweigauswertung Milch lassen aber den Schluss zu, dass angesichts des Mehraufwands eine deutliche Steigerung der Lebensdauer um mehrere Monate erforderlich wäre. Wir wissen, dass dies in der Praxis nicht einfach umzusetzen ist.
Wir merken sehr deutlich, wie anspruchsvoll es ist, für die verschiedenen Varianten einer muttergebundenen Kälberaufzucht, den jeweils erforderlichen Aufschlag auf den Auszahlungspreis der an die Molkerei gelieferten Milch zu kalkulieren. Bei allen bisher betrachteten Varianten sind wir von gleichbleibenden Produktionskosten im Betriebszweig Milch sowie einem gleichbleibenden Milcherlös von 250.000 € im Jahr ausgegangen. Dass diese getroffenen Annahmen (gleichbleibende Produktionskosten, gleichbleibender Milcherlös) realitätsfern sind, ist uns bewusst. Wir haben diese Betrachtungsweise dennoch gewählt, mit der Absicht, die Kalkulation übersichtlich und verständlich zu gestalten.
Bei einer genaueren, realistischeren Kalkulation müsste bei der Variante "konsequent muttergebunden" zudem noch der Erlös aus dem Verkauf der nicht zur Remontierung benötigten (vermutlich) gut entwickelten, muttergebunden aufgezogenen Kälber berücksichtigt werden. Hierbei sollten deutlich höhere Preise erzielt werden, als bei dem etablierten Kälberverkauf im Alter von zwei Wochen. Natürlich wäre alternativ auch eine betriebseigene Mast mit anschließender Direktvermarktung bei ausreichenden Futter- und Stallkapazitäten betriebsindividuell denkbar.
Zum Verkauf der nicht zur Remontierung benötigten Kälber aus der Variante "konsequent muttergebunden" nun folgende Überlegung: In dieser Variante werden 58 Kälber im Jahr muttergebunden aufgezogen. Nur 18 weibliche Tiere werden zur Remontierung benötigt. Somit stehen 40 Kälber (29 männliche und 11 weibliche) nach dem Absetzen mit geschätzt 130 kg zum Verkauf. Je Absetzer werden im Mittel beider Geschlechter angenommen 520 € (auf dem konventionellen Markt) gezahlt. Abzüglich veranschlagter 80 €, für beide Geschlechter im Mittel, für ein nach zwei Lebenswochen vermarktetes Kalb, ergibt sich ein Mehrerlös je Kalb von 440 €. Dies ergibt bei 40 abgesetzt vermarkteten Kälbern im Jahr 17.600 €. Dieser Betrag ersetzt einen Teil des Milchgelds, so dass 250.000 € (angestrebter Milcherlös) - 17.600 € = 232.400 € als Milchgeld zu erwirtschaften wären. Bei 407.800 kg an die Molkerei gelieferter Milchmenge nach Abzug der Kälbermilch ergibt sich ein berechnetes Milchgeld von 57 ct/kg Milch. Dies bedeutet, dass der notwendige Mehrerlös nur noch rund 6 anstatt 10 ct/kg gelieferte Milch betragen würde.
(Sie sehen auch hier: Bei der Kalkulation kommt es auf die Annahmen an, die getroffen werden!)
Quelle: Susanne Kreikenbohm, Ökoteam Landwirtschaftskammer NRW, Öko-MIR, Nr. 14 und 15 vom 02. und 07. April 2020