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Kälber an der Kuh trinken lassen?

19.03.2021

Die schnelle und ausreichende Versorgung mit qualitativ hochwertigem Kolostrum der Mutter ist fundamental wichtig für einen gesunden Start ins Kälberleben. Aktuelle Studien zeigen jedoch, dass bis zu 40 % der Kälber eine unzureichende Immunglobulinversorgung aufweisen. Die Gründe für eine unzureichende Aufnahme und Absorption der so wichtigen Immunglobuline im Darm sind vielfältig und hängen vom Zeitpunkt und der verabreichten Menge sowie der Qualität des Erstkolostrums ab. Ob darüber hinaus auch ein Einfluss besteht, wenn die Kälber Ihre erste Mahlzeit im Leben an der Kuh trinken, wird nachfolgend erläutert.

Kolostrum: Mehr als nur Nährstoffe

Eine sehr rasche und ausreichende Versorgung der Kälber mit möglichst 3 l und mehr muttergebundenem Kolostrum innerhalb der ersten Lebensstunde ist sehr wichtig für eine optimale Prägung und Entwicklung des Immunsystems. Neben den wichtigen Immunglobulinen (Antikörper) enthält mütterliches Kolostrum einen hohen Nährstoffgehalt, eine Vielzahl von bioaktiven Wirkstoffen sowie lebende maternale Immunzellen. Die Nährstoffe Laktose, Fett und Eiweiß sind wichtig für ein gesundes Wachstum und für die Anpassung des Magen-Darm-Trakts an die neue Fütterungssituation, da die Ernährung des Kalbes während der Trächtigkeit über Glukose der Mutter erfolgte. Nach der Geburt muss die Ernährung dann auf Laktose aus der Milch umgestellt werden. Hierbei helfen das Kolostrum und die Transitmilch in den ersten fünf Laktationstagen, weshalb es empfehlenswert ist, die Kälber über die ersten fünf Lebenstage mit dieser Transitmilch Ihrer Mütter zu versorgen.

Die bioaktiven Stoffe im Kolostrum führen zu einer raschen und stabilen Entwicklung der Darmzotten. Diese bilden die erste physikalische Barriere im Darm gegen Pathogene und besitzen somit eine sehr wichtige Funktion im Immunsystem und der Entwicklung des Mikrobioms im Darm.

Überprüfung der Immunglobulinversorgung

Um die Qualität der Immunglobulinversorgung zu überprüfen, hat es sich bei Versuchsanstellern bewährt, den Protein- und/oder Immunglobulingehalt der Kälber 24 bis 48 Stunden nach der Kolostrumaufnahme zu untersuchen. Hier sollten die Kälber möglichst mehr als 60 g Gesamtprotein/l oder mehr als 10 g Immunglobuline/l Blutserum aufweisen. In der Praxis ist diese Überprüfung der Kälber hinsichtlich ihrer Immunglobulinversorgung alleine schon daher nicht verbreitet, da die Blutprobennahme bei Kälbern bedeutend schwieriger ist als bei Kühen und hierfür zwangsläufig ein veterinärmedizinischer Sachverstand von Nöten ist. Gerade daher ist es umso wichtiger, zumindest die Qualität des verabreichten Kolostrums zu überprüfen.

Neben dem Zeitpunkt der Biestmilchgabe und der verfütterten Kolostrummenge spielen scheinbar weitere Faktoren, wie zum Beispiel Stress, eine wichtige Rolle, gerade bezüglich der Resorption im Dünndarm. Nur wenn die Dünndarmschleimhaut die großmolekularen Immunglobuline auch aufnehmen, also absorbieren kann, helfen diese dem Kalb bei der Immunität.

Kolostrummanagement beeinflusst Versorgung

In der Praxis wird aktuell immer häufiger, dem Wunsch der meisten Verbraucher folgend, über eine mutter- oder kuhgebundene Kälberaufzucht diskutiert. Zweifelsohne gibt es hierfür mindestens genauso viele Argumente, die für ein solches Vorgehen sprechen, wie Argumente dagegen. Einzelbetrieblich muss eine genaue Abwägung aller Pro- und Kontra-Argumente erfolgen. Dafür aber sind auch wissenschaftliche Studien notwendig. Eine solche hat sich mit dem Einfluss der Erstkolostrumversorgung an der Mutter auf den Immunstatus der Kälber beschäftigt. Im Rahmen dieser Studie wurden in zwei italienischen Milchkuhbetrieben insgesamt 107 Holsteinkälber in drei verschiedene Gruppen eingeteilt. Die drei Gruppen unterschieden sich jeweils in der Verabreichung des Erstkolostrums. Eine Gruppe (n=50) wurde mittels Nuckelflasche per Hand innerhalb der ersten beiden Lebensstunden getränkt und danach in Einzeliglus gehalten. Die Kälber der Gruppe 2 (n=27) wurden gemischt getränkt, sie erhielten innerhalb der ersten sechs Lebensstunden 3 l Kolostrum ihrer Mütter über eine Nuckelflasche und durften danach zwölf Stunden bei Ihren Müttern verbleiben. In der Gruppe 3 (n=30) erfolgte keine Kolostrumgabe durch den Menschen. Hier durften die Kälber an der Mutter trinken und blieben über die ersten zwölf Lebensstunden bei diesen.

Um den Immunstatus der Kälber zu überprüfen, wurde von allen Kälbern in der ersten Lebenswoche an Tag eins bis fünf eine Blutprobe entnommen und auf den Immunglobulingehalt untersucht. Nach zwölf Stunden erfolgte die Aufstallung der Kälber der Gruppe 2 und 3 ebenfalls in Einzeliglus. Dort erhielten sie täglich 6 l Vollmilch und wurden von der neunten bis zur elften Lebenswoche abgetränkt.     

Große Unterschiede
  • Die Kälber, die das Kolostrum per Nuckelflasche erhielten, tranken durchschnittlich 1,9 l. Hingegen realisierten die Kälber der Gruppe 2, welche von Hand getränkt wurden und dann über zwölf Stunden bei ihren Müttern bleiben durften, eine Kolostrumaufnahme von 2 l.
  • Der Anteil der mit Immunglobulinen unterversorgten Kälber mit weniger als 10 g IgG/l Blutserum lag in der gemischt gefütterten Gruppe 2 mit 11,1 % am niedrigsten, gefolgt von denen der handgefütterten Gruppe 1 mit 22 %. In der Gruppe 3 jedoch war der prozentuale Anteil der unterversorgten Kälber mit 60 % drastisch erhöht. In dieser Gruppe durften die Kälber ohne menschliches Zutun an ihren Müttern trinken. Diese Ergebnisse waren statistisch signifikant.
  • Der Anteil der Kälber, die mit mindestens 16 g IgG/l oder mehr Blutserum die beste Versorgung aufwiesen, war in der gemischt gefütterten Gruppe 2 am höchsten.

Damit zeigen die Ergebnisse dieser Studie große Unterschiede in Hinblick auf den Immunglobulinstatus neugeborener Kälber in Abhängigkeit des Kolostrummanagements. Wurden die Kälber direkt nach der Geburt mit Kolostrum ihrer Mütter per Nuckelflasche mit durchschnittlich 1,9 l versorgt (Gruppe 1, handgefüttert), zeigten 78 % der Kälber eine ausreichend hohe Immunglobulinversorgung mit mehr als 10 g IgG/l im Blut. Erhielten die Kälber direkt nach der Geburt per Nuckelflasche durchschnittlich 2 l Kolostrum und verblieben dann noch bis zu zwölf Stunden bei ihren Müttern (Gruppe 2, gemischt), wo sie mit Sicherheit ebenfalls noch Milch aufnahmen, stieg der Anteil der ausreichend mit Immunglobulinen versorgten Kälber um 11 % auf 89 %. In dieser gemischt gefütterten Gruppe 2 lag auch der Anteil der am besten versorgten Kälber mit einem Immunglobulingehalt von mehr als 16 g/ml Blutserum mit 56 % auf dem höchsten Niveau.

Dürfen die Kälber selbst an ihren Müttern trinken, scheint es für viele Kälber sehr schwierig zu sein, eine ausreichend hohe Menge an Erstkolostrum aus dem Euter aufzunehmen. Des Weiteren ist der Zeitpunkt der Erstkolostrumaufnahme an der Kuh kaum zu kontrollieren, was der sehr hohe Anteil an mit Immunglobulinen unterversorgten Kälbern verdeutlicht.

Fazit

Diese Resultate bestätigen sehr eindrucksvoll Untersuchungsergebnisse früherer Arbeiten, wie zum Beispiel die der Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein, wonach die unkontrollierte und alleinige Kolostrumversorgung der Kälber an ihren Müttern den so wichtigen Immunstatus der Kälber direkt nach der Geburt in der Regel nicht sicherstellen kann.

Wenn die mutter- und kuhgebundene Kälberaufzucht umgesetzt werden soll, darf der Zufall über die Erstkolostrumversorgung nicht entscheiden. Die beste Art Lebensversicherung erhalten die Kälber dann, wenn der Mensch sie mit mehr als 3 l Erstkolostrum so schnell wie möglich nach der Geburt per Nuckelflasche oder -eimer versorgt.         

Dr. Christian Koch, Hofgut Neumühle, 

Prof. Dr. Katrin Mahlkow-Nerge, Fachhochschule Kiel

  

 

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