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Finale im Projekt #Pute@Praxis

12.12.2023

In der Mastputenhaltung zählen Federpicken und Kannibalismus zu den bedeutendsten Problemfeldern im Bereich Tierwohl.

Seit vielen Jahren wird in Deutschland die Oberschnabelspitze bei Putenküken vorbeugend mittels eines Infrarot-Verfahrens in der Brüterei gekürzt, um die Folgen des Auftretens von Federpicken und Kannibalismus zu minimieren. Diese Methode betrifft allerdings die Unversehrtheit der Tiere und steht im Spannungsfeld zum Tierschutzrecht, in dem eine Amputation am Tier verboten ist. Durch eine Ausnahmegenehmigung können Putenhalterinnen und Putenhalter die Schnabelspitze in der Brüterei trotzdem behandeln lassen.

#Pute@Praxis

Um gefahrlos auf das Kürzen des Oberschnabels verzichten zu können, müssen wissenschaftliche Erkenntnisse in der Praxis umgesetzt werden. Hier setzt das Projekt #Pute@Praxis an, welches eine Projektlaufzeit vom 1. Mai 2020 bis 31.Dezember 2023 hat.

Auf sechs Praxisbetrieben mit Putenmast, davon vier konventionelle und zwei alternative Betriebe, wurde im Rahmen des Projektes ein Gesamtpaket an tierwohlfördernden Maßnahmen sowohl bei schnabelgekürzten als auch schnabelintakten Hennen getestet. Stellschrauben in der Putenhaltung, an denen während des Projektes angesetzt wurde, waren das Licht, das Management, die Genetik, das Klima, Futter, Beschäftigung der Tiere sowie die Strukturierung im Stall. Alle Effekte, die sich positiv auf das Tierverhalten auswirken und die in den letzten Jahren herausgearbeitet wurden, sollten auf den sechs Praxisbetrieben gebündelt eingesetzt werden. Ziel des MuD Tierschutz-Projektes #Pute@Praxis ist es, bereits vorhandene wissenschaftliche Erkenntnisse und Verfahren zur Verbesserung des Tierschutzes in der Putenhaltung in die Praxis zu übertragen, deren Praxistauglichkeit zu prüfen und die Erfahrungen durch neuartige Kommunikationsmittel und Medien für ein breites Fachpublikum aufzuarbeiten und zugänglich zu machen.

Wissenschaft trifft Praxis

Wie lief es auf den Betrieben? Welche Ergebnisse wurden erzielt und welche Erfahrungen haben die Landwirtinnen und Landwirte sammeln können? Pia Niewind, Landwirtschaftskammer NRW, stellte die Ergebnisse aus der Praxisphase vor. Im Versuchsstall des Versuchs- und Bildungszentrums Landwirtschaft Haus Düsse startete das Projekt im Juli 2020, die Praxisphase auf den Betrieben schloß sich von Januar 2022 bis Sommer 2023 an. Insgesamt wurden von der Landwirtschaftskammer NRW 25 Herden betreut, davon acht Herden mit gekürztem Schnabel und 18 Herden mit intaktem Schnabel. „Wir hatten sechs sehr engagierte Landwirte, es hat unheimlich viel Spaß gemacht, mit allen zusammenzuarbeiten“, berichtete Niewind. Alle Betriebe hatten unterschiedliche Vorerfahrungen mit langen Schnäbeln und haben unterschiedliche Beschäftigungsmaterialien eingesetzt. Die Betriebe mussten während der Projektdurchgänge die Tierverluste, Separationsmaßnahmen, den Materialeinsatz und den Arbeitsaufwand dokumentieren.

Beschäftigungsmaterialien

Niewind stellte die verschiedenen Beschäftigungsmaterialien vor, die im Rahmen des Projekts in Haus Düsse und in den Praxisbetrieben eingesetzt wurden. Zu diesen zählten erhöhte Ebenen und schräge Wände als Strukturierungsmaßnahme im Stall, Strohballen und Staubbäder wurden als Struktrurierungs- und Beschäftigungsmaßnahme eingesetzt. Einige Materialien hatten die Putenhennen dauerhaft zur Beschäftigung im Stall, Niewind empfahl den Betrieben aber, zusätzlich einen „Notfallkoffer“ mit drei unterschiedlichen Beschäftigungsmaterialien bereitzuhalten. Darunter können Pickblöcke, Heukörbe, Haferspender, Ketten, Polsterchips aus Maisstärke, Metall- oder Schnurmobiles, halbe Jeans, Hubsysteme, Sägemehl, Luzerneballen, Kälbermüsli, Mulchpulver oder Deckeln mit Muttern zählen. Ein Landwirt des Projekts hat in Eimer unterschiedlich große Löcher geschnitten, woraus die Puten verschiedene Materialien picken konnten.

Was kostet eine Pute mit intaktem Schnabel mehr?

Mandes Verhaag, Johann Heinrich von Thünen-Institut, hat mehrere Praxisbetriebe des Projekts wirtschaftlich begleitet. Während der einzelnen Durchgänge mit intaktem Schnabel waren die Kosten höher, es gab aber keine steigenden Erlöse, da die Puten mit intaktem Schnabel genauso abgerechnet werden, wie Puten mit kupiertem Schnabel. Aufgefallen ist, dass die Kosten im ersten Durchgang mit intaktem Schnabel bei den Landwirten höher waren als im zweiten Durchgang, sodass ein Lerneffekt aus dem 1. Durchgang entstanden ist. Insgesamt wird aber die mittelfristige Wirtschaftlichkeit verloren, wenn dauerhaft Puten mit intaktem Schnabel eingestallt werden sollten. „Das Auftreten von Verlusten durch die Haltung von Puten mit intaktem Schnabel kostet bis zu 0,94 € mehr pro Platz und Durchgang“, so Verhaag. Das beinhaltet eine ungefähre Kostensteigerung der Produktionskosten von 10 bis 15 % auf den teilnehmenden Betrieben.

Es wurde ein Excel-Tool als Entscheidungshilfe für Landwirte entwickelt, indem die betriebseigene Wirtschaftlichkeit und die Mehrkostenkalkulation der gewählten Maßnahmen für die Haltung von Hennen mit intaktem Schnabel kalkuliert werden kann. Dieses Tool wird den Putenhaltern bald zur Verfügung stehen.

Wenn man die Kosten im Blick hat, sind mehrere Zielgrößen entscheidend. Die Futterkosten sollten optimiert werden, da diese den größten Teil der variablen Kosten ausmachen würden. Gleichzeitig sollten Arbeitsabläufe und Management hinterfragt werden: Jeder Betriebsleiter sollte die einzelnen Arbeitsschritte hinterfragen und mit seinen Mitarbeitern abstimmen, um Arbeitskraft produktiv einzusetzen.

Fazit

In dem Projekt #Pute@Praxis konnte das Beschädigungspicken durch die eingesetzten Maßnahmen nicht verhindert werden. Es gibt eine starke herdenindividuelle Variation im Ausmaß und Auftreten der Pickgeschehen. Für kritische Zeiten sollten sich Putenhalter immer einen Notfallkoffer bereithalten, ebenso muss ein Separationsabteil in jede Fall vorgehalten werden. Wenn das Pickgeschehen nicht mehr mit anderen Maßnahmen eingrenzbar ist, kann eine Möglichkeit der Verdunkelung hilfreich sein. Insgesamt ist der Anspruch an die Tierbetreuung bei schnabelintakten Hennen durch schnelles situationsabhängiges handeln, schnelles Reagieren, höherer Arbeitseinsatz und die emotionale Belastung der Tierhalter sehr hoch. Mit dem Statement „Die Mortalität, die notwendigen Separationsmaßnahmen sowie die Prävalenz aufgetretener Pickverletzungen bei schnabelintakten konventionell gehaltenen Putenhennen zeigt, dass unter den vorgenommenen Optimierungsmaßnahmen die Haltung eine Herausforderung ist und bleibt“, beendet Niewind ihren Vortrag.

Erfahrungen aus einem Praxisbetrieb

Der Waldhof Schulte Spechtel in Dorsten war einer der Praxisbetriebe des Projekts #Pute@Praxis. Die moderne und nachhaltige Landwirtschaft des Betriebs ist auf drei Säulen gegründet: der Anbau und die Direktvermarktung von Qualitätsspargel, Erdbeeren und Heidelbeeren, teilweise im geschützten Anbau, eine effiziente Energiegewinnung mit Hilfe einer Biogas- und Photovoltaikanlage und eine optimierte Putenaufzucht- und -mast von Hennen und Hähnen unter Tierwohlaspekten. Zusätzlich züchtet der Betrieb westfälische Reitpferde und bildet diese selbst aus.

Im Rahmen des Projekts #Pute@Praxis wurden im Zeitraum von Mitte 2022 bis zum Frühjahr 2023 zwei Durchgänge mit jeweils rund 7 000 Putenhennen von der Landwirtschaftskammer NRW begleitet. Der erste Projektdurchgang war mit gekürztem Schnabel, der zweite Durchgang mit intaktem Schnabel. Markus Schulte Spechtel ist auf dem Betrieb für die Putenhaltung verantwortlich. Er berichtet, dass er neugierig wurde, als er von dem Projekt gehört hat und selbst ausprobieren wollte, wie es klappt, Puten mit intaktem Schnabel einzustallen. Außerdem war seine Motivation dabei, den Tierschutz weiter voranzutreiben.

Erhöhter Arbeitsaufwand

Schulte Spechtel erinnert sich mit einem mulmigen Gefühl an den Durchgang mit den intakten Schnäbeln zurück. Jede Herde ist unterschiedlich und da nur ein Durchgang gemacht wurde, kann er insgesamt keine konkrete Aussage treffen. Aufgefallen ist, dass die Herde deutlich höhere Futterverluste hatte. Durch den intakten Schnabel hätten die Puten mit dem Futter und auch mit dem Wasser herumgespielt, sodass das Futter oft neben den Futterschalen verteilt wurde und der Stall extem nass gewesen sei. Dadurch wäre der Arbeitsaufwand enorm hoch gewesen: die Futterstände mussten ständig neu eingestellt werden und der Stall wurde täglich eingestreut. Die Verletzungen, die sich die Puten mit intaktem Schnabel zuzogen, waren tiefgehend und schwer. Angepickte und verletzte Tiere wurden im Krankenstall separiert und mit Zink-Spray behandelt. Teilweise ist der Putenhalter bis zu viermal täglich durch den Stall gegangen, hat die Tiere kontrolliert, aussortiert und behandelt. Dadurch hat er deutlich mehr Zeit im Stall verbracht als bei den Hähnen, die parallel mit gekürztem Schnabel eingestallt wurden.

Separationsabteil

Während des Projektdurchgangs hat der Betrieb ein Separationsabteil eingerichtet, der rund ein Drittel der Stallfläche umfasste. „Wenn man frühzeitig eine verletzte Pute in den Krankenstall setzt haben die Puten nach Behandlung mit Zinkspray eine gute Chance, dass die Verletzungen wieder abheilen. Das ist natürlich auch abhängig vom Schweregrad der Verletzungen und vom Altersstadium der Pute“, berichtet Markus Schulte Spechtel. Wenn er noch einen Putendurchgang mit intakten Schnäbeln einstallen würde, würde er das Separationsabteil anders bauen. Im Projektdurchgang war der Krankenstall ganz am Anfang des Stalls, sodass die verletzten Puten teilweise durch den ganzen Stall getragen werden mussten. Um die Laufwege zu verkürzen, empfiehlt er, das Abteil in der Mitte des Stalls einzurichten, sodass dieser von allen Stallseiten gut zu erreichen ist. Dabei sei auch die Futter- und Wasserversorgung der verletzten Tiere einfacher.

Beschäftigung der Puten

Strohballen, Pickblöcke, Tennisbälle und rot-weiße Ketten haben die Puten im Betrieb Schulte Spechtel dauerhaft zur Beschäftigung. Im Rahmen des Projektes wurden acht erhöhte Ebenen an den Wänden des Stalls eingebaut. Zusätzlich wurden Heukörbe an der Decke aufgehangen und selbst gebaute Spielzeuge mit Grit, Heu, Stroh, Milchpulver, Hafer und Maisschips gefüllt. Hier konnten die Puten durch Löcher die verzehrbaren Beschäftigungsmaterialien herauspicken. Die Beschäftigung mit Luzerne habe nicht funktioniert, da sie zu kurz geschnitten war und durch die Öffnungen in den Heukörben durchgefallen sei. „Die neu eingebauten, erhöhten Ebenen im Stall sind super. Da können die Tiere nicht nur drauf springen und sich aufbaumen, sondern auch kranke oder angepickte Tiere finden darunter Schutz und sie schaffen Struktur im Stall“, berichtet der Landwirt. Auch die gefüllten Spielzeuge und Heukörben seien sehr gut von den Tieren angenommen worden. Das Verteilen von Maisschips war eine kurze Zeit interessant, jedoch konnten die Puten damit nicht lange beschäftigt werden, weil die Maisschips direkt gefressen wurden. Der Betrieb setzt die Heukörbe und erhöhten Ebenen auch nach dem Projekt gerne im Stall ein.

Gute Betreuung

Gut geklappt im Projekt habe die Betreuung von der Landwirtschaftskammer NRW. „Wir konnten uns immer melden und bekamen sofort Hilfe. Die Projektbetreuer haben sich sehr angestrengt“, berichtet Schulte Spechtel. Alle zwei Wochen kamen Mitarbeiter der Landwirtschaftskammer und der Tierärztlichen Hochschule Hannover zur Bonitierung der Tiere auf den Betrieb. Ebenso wurde die Herde mit intakten Schnäbeln engmaschig durch den Tierarzt des Betriebes kontrolliert und begleitet.

Auch während der regelmäßigen Projekttreffen gab es viel fachlichen Input, Diskussionen über die neuesten Ergebnisse aus dem Projekt, aber auch der Austausch mit Berufskolleginnen und Kollegen kam nicht zu kurz.

Emotionale Komponente berücksichtigen

Die größte Überraschung in dem Durchgang mit intaktem Schnabel war für den Putenhalter die psychische Belastung. „Man sieht täglich verletzte Tiere. Man muss sich vorstellen, dass man einen kompletten Stall voller angepickter, blutender Tiere mit offenen Wunden hat“. Jedes verletzte Tier wurde von Markus Schulte Spechtel und den Mitarbeitern des Betriebs in den Krankenstall getragen und behandelt. „Man geht durch den Stall, macht seine Arbeit. Wenn man mal eine verletzte Pute sieht, ist es kein Problem, die sieht man bei den gekürzten Schnäbeln auch mal. Aber die Vielzahl an angepickten, schwerwiegenden Verletzungen bei Puten mit intakten Schnäbeln ist nicht zu unterschätzen“, erinnert sich der Landwirt. Auch als er den Stall verlassen hat, hat er viel über den Zustand der Tiere nachgedacht. Das Anschauen und die Arbeit mit den verletzten Tieren war definitiv nicht schön, berichtet er.

Insgesamt muss man sich bewusst sein, dass es neben der emotionalen Belastung auch ein deutlich höherer Arbeits- und Zeitaufwand ist, wenn die Oberschnabelspitze des Kükens in der Brüterei nicht gekürzt wird. 

Viola Erfkämper,

Landwirtschaftskammer NRW

Weitere Informationen


 

Ergebnisse

Alle Ergebnisse aus dem Projekt wurden in einem "Praxishandbuch Pute" mit praxisgerechten Handlungsanweisungen, kurzen Lehrfilmen sowie einem Excel-basierten Tool, der sogenannten "betriebsindividuellen Entscheidungshilfe", zusammengefasst und frei zugänglich veröffentlicht. Zu finden sind sie auf der Homepage der Landwirtschaftskammer NRW unter Tierhaltung und Tierzuchtrecht, Geflügelhaltung, Projekte und Versuche.

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