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Gewagt – gewonnen: Puten in Freilandhaltung

20.07.2023

Schon bei der Fahrt auf das Betriebsgelände von Familie Haver-Rassfeld wird deutlich, dass hier Tierwohl an erster Stelle steht. Stolz, aufgebaumt, wie in freier Wildbahn üblich, laufen die schwarzen Puten über die Wiese und unter den dichten Pappelplantagen entlang. 

„Eigentlich bin ich seit 1 000 Jahren Bauer“ so die einführenden Worte von Betriebsleiter Friedrich Wilhelm Haver-Rassfeld, der zehn interessierte Teilnehmer einer Veranstaltung des Projekts „Fokus Tierwohl“ Mitte Juni auf der historischen Hofanlage begrüßte. Zunächst gab es einen Exkurs zur Geschichte des Hofes, in der erzählt wurde, dass sich der Standort über die Jahre wirtschaftlich positiv entwickelt hat. „Je schlechter der Boden, desto einfallsreicher die Menschen, und das hat geklappt“, sagt Haver-Rassfeld.

Die Idee dahinter

Viele namhafte Firmen seien im Umkreis von Gütersloh sesshaft geworden, wodurch auch mehr Menschen in die Region gezogen seien. Dadurch war der Hofnachfolger von der Geschäftsidee überzeugt, die vom Vater etablierte „Haver-Mast-Pute“ noch bekannter zu machen. Der studierte Agrarökonom übernahm 1986 den Hof seiner Mutter und entschloss sich dazu, die Putenhaltung unter der Prämisse auszubauen, dass es den Tieren gut geht und die Gesellschaft und Politik die Haltung akzeptiert.

Einfach nichts

„Unter jedem Dach muss eine Musik spielen“. Getreu diesem Motto baute die Familie Haver Rassfeld eine alte Wagenremise zu einem Geschäfts- und Wohnhaus aus, andere Gebäudeteile wurden zur gastronomischen Nutzung bereitet. Auch die Gebäude für die landwirtschaftliche Nutzung wurden weiterentwickelt und um weitere Zweckbauten wie Maschinenhalle, Aufzuchtstall und Strohlager ergänzt. Bereits 2008 wurde eine Hackschnitzelheizung installiert, die mittlerweile alle Wohn- und Geschäftsflächen des Anwesens mit thermischer Energie versorgt.

1987 wurde dann der Hofladen gegründet. 1997 wurde Haver-Rassfeld dann bewusst, dass er mit seinen Puten nicht den konventionellen Weg gehen, sondern den Weg der naturnahen Geflügelhaltung ausbauen wollte. Er leistete hiermit Pionierarbeit. „Ich musste alles selber kreieren, es gab ja nichts, keine wissenschaftlich erhobenen Daten, einfach nichts“. Friedrich Wilhelm Haver-Rassfeld importierte aus England 17 „Kelly Bronceputen“, die als besonders robust und widerstandfähig gelten. „Und diese Herde hat mir so viel Freude bereitet, dass ich keine anderen Tiere mehr haben wollte“.

Nach unzähligen Gesprächen und Kontrollen schaffte es Haver-Rassfeld, vom Verein Neuland e.V. 2014 zum Betrieb für besonders artgerechte und umweltschonende Tierhaltung zertifiziert zu werden und betitelt sich heute als der einzige Neuland-Putenbetrieb des ganzen Universums. Im nächsten Schritt entstand das Schlachthaus, danach der Zerlegebetrieb. Beide Bereiche sollen inzwischen aus organisatorischen und Kapazitätsgründen neu gebaut werden.


Was ist anders?

Alle drei Wochen bekommt der Betrieb zwischen 600 und 700 Eintagsküken besonderer Rassen. Friedrich Wihelm Haver-Rassfeld arbeitet bei den Eintagsküken etwa bis zur fünften Woche mit Hobelspänen als Einstreu, danach verwendet er Stroh.

„Ein normal wirtschaftender Putenhalter hat im Laufe seines Lebens ungefähr 60 Mal die Chance, bei einem Durchgang etwas besser zu machen und Erfahrungen zu sammeln, bei uns ist es um ein Vielfaches mehr“. Daher sind auch Hochschulen, Institute und MuD Tierschutzprojekte wie zum Bespiel #Pute@Praxis sehr interessiert an Haver-Rassfelds Arbeit, die er mit viel Engagement leistet. „Pickverluste gibt es hier nicht und die Aufzucht und Mast funktionieren bedenkenlos durch unser Knowhow und die Art und Weise, wie wir die Tiere halten“.

Ab dem ersten Tag haben die Puten die Wahl, erhöhte Sitzmöglichkeiten wie A-Reuter und Beschäftigungsmaterial zu nutzen, hochwertiges Futter und Tränkwasser nehmen sie im warmen Aufzuchtabteil mit Fußbodenheizung auf. In dieser Zeit werden die Küken gegen Turkey Rhinotracheitis (TRT), Hämorrhagische Puten-Enteritis (HE) und die Newcastle-Krankheit (ND) geimpft. Ungefähr ab der fünften Lebenswoche wird ein temporärer Wintergarten vor die Tore gestellt, sodass die Tiere Kontakt zum Außenklima haben. Der Wintergarten besitzt keinen festen Boden, entmistet wird erst dann, wenn er mit dem Traktor für den nächsten Durchgang versetzt wird. „Nach einer Eingewöhnungszeit von etwa zehn Tagen werden dann die Tore zum Auslauf geöffnet“, so der Betreibsleiter.


Nagelprobe Weide

Mit einem Alter von etwa acht bis neun Wochen werden die Puten im Sommer aus der Aufzucht in die mobilen Ställe auf die Weide gebracht. Hier erwartet die Puten ein Auslauf aus einer Kurzumtriebsplantage gekoppelt mit Ackergras.

„Und jetzt sehe ich, ob eine Herde in Ordnung ist oder nicht“ sagte Friedrich Wilhelm Haver-Rassfeld, als die rund 600 Puten einer Herde unter den Pappeln hervorkamen und die Besucher der Exkursion begrüßten. „Was braucht eine Pute jetzt noch mehr? Der Auslauf mit Schatten und Versteckmöglichkeiten ist gegeben, frisches Gras, ein Sandbad, Aufbaummöglichkeiten, Geflügelgrit und der Zugang zu frischem Wasser unter den Bäumen“.

Doch auch der Elektrozaun und die guten Versteckmöglichkeiten halten natürliche Feinde nicht fern. Füchse und der Bussarde greifen manchmal an und sorgen für unnötigen Ärger. „Ab der zehnten Woche greift der Bussard die Puten nicht mehr an, das ist schon gut“ erklärt Haver-Rassfeld. Leider ist es auch schon auf seinem Betrieb passiert, dass Puten geklaut wurden.

Haver-Rassfeld erklärt, dass die Puten im Sommer zu 90 % draußen übernachten, die restliche Zeit im Unterstand. Wird es zu warm, wird vorne und hinten das Tor geöffnet, sodass eine Art Kamineffekt entsteht. „So bekommen wir das Hitzeproblem gut gelöst, wenn denn dann überhaupt Puten im Unterstand sind und nicht draußen die schattigen Plätze bevorzugen“.


Futterexperiment sorgt für Klarheit

Die Tiere werden in den mobilen Einheiten mit für den Betrieb eigens hergestelltem Futter gefüttert. Dazu der Experte: „Auch hierzu haben wir ein Versuch gemacht, indem wir den Tieren alle Futterkomponenten einzeln in Futterschalen angeboten haben. Aus dem gefressenen Verhältnis wurde dann die Futtermischung kreiert und somit den Bedürfnissen der Tiere angepasst.“

Durch ein mobiles Futtersilo und eine einfache Rohrschneckenanlage wird die Versorgung der Tiere in den Tunneln sichergestellt. „Für ein solches System braucht man Infrastruktur, weshalb wir an die jeweiligen Standorte Strom, Wasser und ein Telefonkabel für eventuelle Überwachungsfunktionen gelegt haben. Im Sommer haben wir unsere mobilen Einheiten zwischen den hohen Pappeln stehen, die eine Menge an Schatten werfen, im Winter verwenden wir hingegen Standorte ohne Bäume, um die Kraft der Sonne zu nutzen die dunkelgrün lackierten Tunnel weitestgehend warm zu halten“, geht Haver-Rassfeld ins Detail. Die Puten werden gemischtgeschlechtlich aufgezogen und erreichen zwischen dem sechsten und siebten Monat die Schlachtreife. Die Henne wiegen dann 8,5 kg, die Hähne 14,5 kg. Insgesamt hat Familie Haver-Rassfeld für die Putenhaltung 15 ha landwirtschaftliche Nutzfläche als Freilandfläche zur Verfügung.


Weitere Spezies

Ein weiterer Betriebszweig ist die Freilandhähnchenhaltung. „Hierzu verwenden wir die Linie ISA-JA-757 die mit einem durchschnittlichen Alter von elf Wochen geschlachtet wird. Die Tiere haben dann ein Schlachtgewicht von 1,6 bis 2,5 kg. „Hähnchen sind begehrt, passen gut in unseren Produktionsablauf und bereichern unser Produktsortiment“ so Haver-Rassfeld. Die Vermarktung der kompletten Ware erfolgt über den Hofladen, die Belieferung von Wiederverkäufern sowie über die eigene Eventküche.

Das Hauptgeschäft des Meierhof-Rassfeld sind die weißbefiederten Weihnachtsputen, die jedes Jahr im Sommer eingestallt werden und zu Weihnachten ein Schlachtgewicht zwischen 4,5 kg bis 7 kg haben. Hierzu setzt Haver-Rassfeld auf Rassen des englischen Züchters Paul Kelly. Diese Puten werden in den kälteisolierten Mobilställen aufgezogen, in denen die Hähnchen im Winter gehalten werden. „So haben wir die Kapazitäten der Ställe optimal genutzt und den Kreislauf geschlossen“, beendet Friedrich Wilhelm Haver-Rassfeld den Jahreszyklus.


Johannes Heer, Landwirtschaftskammer NRW

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