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Mit künstlicher Intelligenz dem Schwanzbeißen auf der Spur

01.06.2023

Schwanzbeißen ist eine weitverbreitete Verhaltensstörung, deren Folgen unter Landwirten gefürchtet sind. Dabei macht es keinen Unterschied, ob kupierte oder unkupierte Schweine gehalten werden. Für die Tiere sind die Verletzungen mit Schmerzen verbunden und die Tierhalter haben finanzielle Einbußen und einen deutlichen Mehraufwand im Management.

Die Gründe für einen Ausbruch von Schwanzbeißen sind vielfältig. Auch für erfahrene Tierhalter ist es häufig gar nicht so leicht, einen nahenden Schwanzbeißausbruch vorherzusehen und im richtigen Moment entsprechende Interventionsmaßnahmen zu ergreifen. Wissenschaftliche Untersuchungen konnten allerdings herausfinden, dass das Schwanzbeißen sehr wohl durch veränderte Verhaltensweisen vorhergesagt werden kann. Es stellte sich heraus, dass bereits bis zu sieben Tage vor dem Auftreten erster blutiger Schwanzverletzungen eine Änderung im Tierverhalten festzustellen ist. Die Ruhezeiten der Tiere verkürzten sich bei gleichzeitig ansteigender Aktivität, die Schweine beschnüffeln und beknabbern vermehrt die Ringelschwänze der Buchtgenossen. Zudem erhöhte sich der Anteil von hängend oder eingeklemmt getragenen Schwänzen merklich.

Diesen Umstand haben die Landwirtschaftskammer NRW und das Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik FIT in einem gemeinsamen Projekt aufgegriffen und ein auf künstlicher Intelligenz basiertes Früherkennungssystem von Schwanzbeißen erarbeitet. Das Projektvorhaben KISS - Künstliche Intelligenz gegen Schwanzbeißen bei Schweinen - wurde aus Mitteln des Zweckvermögens des Bundes bei der Landwirtschaftlichen Rentenbank gefördert und Ende Januar dieses Jahres abgeschlossen.


Videos erkennen Bewegungsdynamik

In vielen Untersuchungen zur automatisierten Erkennung von Frühanzeichen werden videobasierte Methoden eingesetzt. Diese Vorgehensweise nutzt den Vorteil, dass hierdurch die Bewegungsdynamik und auch deren Schwanzhaltung erkannt werden kann, ohne dass hierfür eine Markierung der Schweine oder am Tier angebrachte Sensoren erforderlich sind. In internationalen Untersuchungen kamen beispielsweise 3D-Kamera-Aufnahmen oder Methoden des Deep Learning, also die Verwendung sogenannter Neuronaler Netze zur Datenanalyse, zur Anwendung, um Verhaltensweisen auf Einzeltier- oder Gruppenebene zu erkennen. Da diese Ansätze sehr erfolgsversprechend waren, sollte im Rahmen des Projektes KISS ein Decision–Support-System entwickelt werden, das Betriebsleiter und Landwirte frühzeitig über Verhaltensveränderungen der Schweine informiert und so das Risiko eines Schwanzbeißausbruchs analysiert. Hierzu wurde eine umfangreiche Testphase in der Ferkelaufzucht des Versuchs- und Bildungszentrum Haus Düsse der Landwirtschaftskammer NRW in Bad Sassendorf durchgeführt.

Der Versuch erfolgte im Rahmen der konventionellen Ferkelaufzucht in vier Buchten mit einer Gruppengröße von jeweils 35 unkupierten Tieren. Die Haltungsumwelt zeichnete sich durch ein erhöhtes Platzangebot von 0,5 m² je Tier, ad libitum Trockenfütterung, offene Tränkeschalen sowie verschiedene Beschäftigungsmaterialien aus. Das Verhalten der Tiere wurde kontinuierlich über die gesamte Dauer der Ferkelaufzucht von sechs Wochen auf Video aufgezeichnet. Dazu wurden je Bucht zwei stationäre HD-Kameras installiert. Auf Grundlage dieser Videoaufzeichnungen fand zunächst die manuelle Verhaltensbeobachtung und später auch die KI-basierte Auswertung der Verhaltensweisen statt.


Automatisiertes Erkennen von Verhaltensweisen

Das Konzept basierte auf dem Verfahren der Posenerkennung aus dem Bereich des Deep Learning, bei dem feingliedrige, skelettartige Körperteile und Gelenke der Tiere erkannt werden. Für die automatisierte Erkennung der Verhaltensweisen wurde im Projekt eine vereinfachte Pose benutzt, die aus der Nacken- und Schwanzposition sowie der gerichteten Rückenlinie vom Nacken zum Schwanz bestand. Diese Vereinfachung hatte den Vorteil, dass durch die gerichtete Rückenlinie die Orientierung im Raum bestimmt und zusätzlich Maul-Schwanzannährungen erkannt werden konnten. Neben der Posenerkennung wurde auch die separate Erkennung der Schwanzhaltung trainiert. Diese Parameter stellten die wichtigste technische Basis für die Verhaltensbewertung dar.

 Für die Erkennung der Posen und deren zeitliche Koordinierung (Tracking der Tiere) wurden zunächst eigene Trainingsdaten in Haus Düsse erhoben. Zusätzlich hierzu wurden auch frei verfügbare Trainingsdaten der Universität Nebraska verwendet. Für die Bearbeitung der Trainingsdaten wurde ein interaktiver Editor zur Erfassung der Nacken- und Schwanzposition entwickelt. Anschließend wurde ein neuronales Netz (Deep Learning) zum Training verwendet. Mithilfe dieser Methoden war es einerseits möglich, die Schweine, ihr Bewegungsmuster sowie ihre gegenseitige Orientierung zu tracken.

Ziel dabei war es, die aus der Verhaltensforschung zum Schwanzbeißen bekannten Merkmale, wie atypische Schwanzhaltungen, Sequenzen mit aggressivem Verhalten, Schwanz-in-Maul-Situationen und Verfolgungen, automatisch zu erkennen und für die weitere Auswertung hinsichtlich eines Schwanzbeißausbruchs aufzubereiten. Da in der Praxis für jede Gruppe unterschiedliche Rahmenbedingungen vorliegen und die Gruppen verschiedene Aktivitätslevel haben, sollten auf Grundlage der Versuchsdaten gruppenindividuelle Referenzwerte abgeleitet und für die Früherkennung von Schwanzbeißen genutzt werden.


Integrierte Interventionsmaßnahmen

Insgesamt konnte im Rahmen des Versuchszeitraum festgestellt werden, dass die Tiere schon sieben Tage vor dem eigentlichen Schwanzbeißausbruch ein verändertes Verhalten aufwiesen. So zeigte sich unter anderem eine erhöhte Aktivität der Tiere, vermehrte Verfolgungen sowie ein erhöhter Anteil hängender und eingeklemmter Schwänze.

Diese Indikatoren wurden im Rahmen einer ersten prototypischen Umsetzung des Frühwarnsystems integriert. Die Daten eines Tages wurden gespeichert und analysiert, so dass nach Auswertung der Gruppentageswerte Abweichungen zu den Vortagen sowie zu definierten Schwellenwerten erkannt werden konnten. Im Rahmen eines täglichen Email-Reports wurden der Verlauf der Entwicklungen sowie erkannte Abweichungen grafisch dargestellt. Ebenso wurden mögliche Interventionsmaßnahmen zur frühzeitigen Entschärfung eines drohenden Ausbruchs integriert.

Prototyp zur Weiterentwicklung

Das System befindet sich derzeit noch in der Entwicklungsphase und soll perspektivisch in Praxisbetrieben getestet werden. Für den zukünftigen Einsatz in Praxisbetrieben werden durch den Einsatz günstiger 2D-Kameras mit Echtzeitauswertung weitreichende Potentiale gesehen. So könnte mithilfe der Posenerkennung das dynamische Verhalten der Schweine und deren Bewegungen und Interaktionen erkannt werden. Bei entsprechenden Auffälligkeiten könnte der Landwirt zukünftig mittels einer Push-Nachricht auf sein Handy über einen bestehenden Ausbruch von Schwanzbeißen gewarnt und zum Einsatz geeigneten Interventionsmaßnahmen aufgefordert werden.

Für die Weiterentwicklung und Ausweitung des Früherkennungssystems wären zukünftig auch weitere Module, wie eine integrierte Soundanalyse, die Einbindung von Stallklima- oder Bewegungssensoren, Sensoren oder die Identifizierung von Tätertieren, denkbar.


Dr. Katharina Dahlhoff, Dr. Astrid van Asten,

Landwirtschaftskammer NRW

Weitere Informationen

Zentrum für Digitalisierung

Automatisierung und Digitalisierung spielen im betrieblichen Alltag eine immer größere Rolle. Schon heute unterstützen verschiedene sensorgestützte Assistenzsysteme in Tierhaltung und Ackerbau die Betriebsleiter dabei, gezielte Managemententscheidungen zu treffen. Um die landwirtschaftlichen Betriebe bei dieser Entwicklung zu unterstützen, wurde im März 2022 das Zentrum für Digitalisierung in der Landwirtschaft mit Sitz in Haus Düsse von der Landwirtschaftskammer NRW und dem Ministerium für Landwirtschaft und Verbraucherschutz NRW ins Leben gerufen. Neben der Testung und Validierung verschiedener Anwendungen in den Ställen und im Außenbetrieb von Haus Düsse stellt ein weiterer Arbeitsschwerpunkt der Mitarbeiter die Entwicklung von Decision-Support- und KI-basierten Früherkennungssystemen für die Praxis dar. Hierzu konnten in den vergangenen Jahren zahlreiche Projekte und Forschungsvorhaben durchgeführt werden.

Darüber hinaus wird es auch in der Aus- und Weiterbildung von Landwirten und Landwirtinnen immer wichtiger, den richtigen Umgang mit digitalen Techniken zu schulen. Um aktuelle Erkenntnisse und Erfahrungen zu digitalen Technologien und Anwendungen zielgruppenorientiert für Schulungszwecke aufzuarbeiten, konnten bisher verschiedene simulations- oder VR-gestützte Lernmodule für den Einsatz in der überbetrieblichen Ausbildung sowie in weiteren Aus- und Weiterbildungsformaten entwickelt werden.

Interessierte Betriebe können sich mit ihren Rückfragen rund um Digitalisierung in Innen- und Außenwirtschaft bei den Ansprechpartnern des Zentrums per Email an Duesse-Digitalisierung@LWK.NRW.DE melden.

 

 

 

 

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