Die Änderungen bei den Auslegungen von Weidevorgaben für Pflanzenfresser im Rahmen der EU-Öko-Verordnung führen aktuell zu vielen Reaktionen und Meldungen in der Presse. Betroffen sind unter anderem viele Milchviehbetriebe in Süddeutschland, ähnlich wie bereits in den Vorjahren in Österreich.
Im Nordwesten Deutschlands bieten die meisten Betriebe bereits Weidegang für die Milchkühe an, da dieses schon seit langem durch eine Bioverbandsmitgliedschaft oder Anforderungen der Biomolkereien vorausgesetzt wird. Das Thema Weidehaltung der Kälber betrifft jedoch alle Biohalter in ganz Deutschland gleichermaßen und stellt diese teils vor Herausforderungen.
Weidevorschriften für die Kälberaufzucht
Bei Kälbern ist eine Einschränkung des Zugangs zur Weide aus entwicklungsbedingten und physiologischen Gründen zeitlich begrenzt möglich. Dieses gilt für Kälber insbesondere in den ersten 90 Lebenstagen, in denen sie nach Bio-Richtlinien noch mit Milch getränkt werden müssen. Werden Kälber über die vorgeschriebene Mindesttränkezeit hinaus überwiegend mit Milch getränkt und soll es in diesem Zeitraum zu Einschränkungen bezüglich des Weidegangs kommen, muss dies nachvollziehbar begründet werden. Zuzüglich zur Tränkephase kann für weitere vier Wochen zum Zweck einer gezielten Umstellungsfütterung auf Weidegang verzichtet werden, sofern dieses Vorgehen gegenüber der Kontrollstelle begründet und dokumentiert wird.
Als Weidezeitraum wurde der Zeitraum April bis Oktober in einem sogenannten Weidepapier der LÖK definiert. Davon kann aber nach regionalen und jahresspezifischen Gegebenheiten in Maßen abgewichen werden. Ist beispielsweise in einem kalten Jahr in höheren Lagen des Mittelgebirges ein Weidegang erst ab Mitte Mai möglich, so ist dies ebenso akzeptabel wie ein Weideabtrieb schon Anfang Oktober, etwa bei starker Nässe oder frühem Wintereinbruch. Mit plausibler Begründung können Kälber auch bei extremen Witterungsbedingungen oder Krankheit temporär (so kurz wie möglich) aufgestallt werden.
Zwei Haltungsformen
Für die Haltung der Kälber in Ökobetrieben kommen nach dem Weidepapier zwei Haltungsformen in Frage:
Haltungsform A - Laufstall mit Mindestauslaufflächen, 75 % der Stallfläche, maximal 50 % überdacht:
- Permanenter Zugang zum Auslauf.
- Hier gilt ab 2025: Alle Tiere müssen während der Weidezeit täglich Weidezugang bekommen, der jedoch eingeschränkt sein kann (Joggingweide, stundenweise Weidegang). Dabei können sich auch Tiergruppen auf derselben Weidefläche stundenweise abwechseln.
- Die Weide muss (in geringem Umfang) der Bewegung und Fütterung dienen, also „grün“ sein.
Haltungsform B - Laufstall ohne Mindestauslaufflächen:
- Während der Weidezeit: täglicher Zugang zu Weideland, wenn die Witterung und der Bodenzustand es zulassen.
- Die Weide muss in umfassender Weise der Bewegung und Fütterung dienen, das bedeutet bei Kälbern mindestens Halbtagsweide mit einer Weidezeit von sieben bis zehn Stunden.
- Ein Auslauf ist dann nicht erforderlich.
Eine maximale Besatzdichte der Kälberweide ist nicht vorgeschrieben. Es ergibt sich aber natürlich eine maximale Besatzdichte aus der Vorschrift, dass die Weide der „Bewegung“ und „Fütterung“ dienen muss. Die Weide muss also mindestens so groß sein, dass ein fressbarer Aufwuchs für die Kälber bestehen bleibt.
Mit guter Praxis klappt es
Für die ökologischen Milchkuhbetriebe ist die Kälberweide verpflichtend. Doch auch unabhängig von gesetzlichen Bestimmungen spricht einiges für das Haltungssystem – und das nicht nur für Biobetriebe. Regelmäßiger Weidegang fördert Tierwohl und Tiergesundheit. Die Weide bietet Platz und einen griffigen Boden bei entsprechender Witterung. Der Bewegungs- und Spieldrang der jungen Tiere kann auf der Weide bestens gelebt werden. Sie können ihr arteigenes Verhalten unter Gleichaltrigen in der Gruppe in idealer Weise ausleben und lernen bereits sehr früh Weidefutter zu fressen. Ausreichend Sonnenlicht ist Voraussetzung für die Bildung von Vitamin D zur Knochenbildung und somit zur Förderung gesunden Wachstums. Eine gut geführte Kurzrasenweide bietet den Kälbern eine hochwertige Futtergrundlage, welche nicht nur der natürlichen Ernährung der jungen Wiederkäuer entspricht, sondern einem Kraftfutter in der Regel auch ökonomisch überlegen ist.
Möglichkeiten der Kälberweide prüfen
Wegen des relativ geringen Flächenbedarfs und Tiergewichts ist das Angebot von stallnahen Kälberweiden in der Praxis häufig einfach umzusetzen. Gibt es keine geeigneten Flächen direkt am Kälberstall, so gibt es mittlerweile für Biobetriebe keine Ausnahmegenehmigungen mehr. Dann muss im Gesamtbetrieb umgedacht werden:
- Triebwege werden gebaut / abgezäunt, um die Kälber täglich auf die Weideflächen zu treiben. Daran gewöhnen sich die Kälber ebenso schnell wie an das Führen am Halfter. Beide Varianten sind zeitaufwändig und sicherlich nicht in jeden Betriebsalltag problemlos zu integrieren. Ein positiver Aspekt: Im Ergebnis entwickeln sich die Kälber aus der Erfahrung heraus dann zu sehr zutraulichen Rindern oder Milchkühen.
- Wenn in der Weidezeit auf der Hofstelle Ställe von anderen Tiergruppen frei werden (Trockensteher und ältere Rinder auf entfernten Vollweiden), von denen ein Weidezugang einfacher zu realisieren ist als vom Kälberstall aus, könnten dort saisonal die Kälber gehalten werden. Hier muss unter anderem berücksichtigt werden, dass Fressgitter und Spaltenmaße entsprechend sind. Die Höhe der Tränken und des Futtertischs muss passen.
- Die Kälber gehen für die Weidezeit auf eine vom Stall entferntere Weide, eventuell mit einem Unterstand. In diesem Fall ist es besonders wichtig, die Kälber auf der Weide nicht zu vergessen. Es muss sich dann bewusst die Zeit genommen werden, die Kälber zu beobachten.
Fazit
Das neue Weidepapier ist keine Änderung der EU-Öko-Verordnung, sondern konkretisiert deren korrekte Umsetzung. Aus diesem Grund muss das Weidepapier ohne Übergangsfrist sofort eingehalten werden. In NRW hat man sich geeinigt, das Jahr 2025 trotzdem eher als Übergangsjahr zu behandeln und Verstöße gegen das Weidepapier nur als geringfügig und ohne Prämienrelevanz zu berücksichtigen, sofern ein Weidekonzept vorgelegt wird. Trotzdem sollten Sie als Rinderhalter diese Zeit nicht aussitzen, sondern sie nutzen, um sich an das Thema heranzutasten, Möglichkeiten auszuprobieren und den eigenen Blick für Tiere und Weide zu schulen.
Judith Stratbücker,
Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen