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Kuhgebundene Kälberaufzucht unter der Lupe

16.08.2024

Die kuhgebundene Kälberaufzucht wird in kleinen und großen Betrieben praktiziert. Um einen Überblick über die Vielfalt in den Betrieben zu bekommen, hat im vergangenen Jahr eine Erhebung zu den Erfahrungen und der Umsetzung auf der Grundlage verschiedener Betriebsstrukturen und Systeme stattgefunden.

Die kuhgebundene Kälberaufzucht wird in kleinen und großen Betrieben umgesetzt, wobei große Betriebe vermehrt auf die Aufzucht an der Amme setzten. Ein besonderes Augenmerk muss auf das Absetzten der Kälber gelegt werden. Dies sind erste Eindrücke der 2022/2023 durchgeführten Befragung von 100 Betrieben mit kuhgebundener Kälberaufzucht, die teils vor Ort und teils online durchgeführt wurde. Ziel der Arbeit ist das Zusammentragen von Systemen, Umsetzmöglichkeiten und Erfahrungen landwirtschaftlicher Betriebe mit kuhgebundener Kälberaufzucht. Hieraus können unter anderem Tipps für die Umsetzung der Aufzucht erarbeitet sowie weitere Erkenntnisse zum Beratungsbedarf, der Vermarktung und den langfristigen Auswirkungen der kuhgebundenen Aufzucht gewonnen werden.

Erste Ergebnisse wurden in den online stattfindenden Höfestammtischen des Öko-Milchviehteams der Landwirtschaftskammer NRW veröffentlicht. Hierbei handelt es sich um ein überregional verfügbares Format von zweiwöchig stattfindenden online Austauschrunden. Ab 20:15 Uhr werden Themen rund um Milchvieh, Weide und Futterbau vorgestellt und der Austausch unter den Teilnehmern angeregt. Regelmäßig ist sowohl beim online Höfestammtischen als auch in den etwa wöchentlich versendeten Rundschreiben das Thema kuhgebundene Kälberaufzucht vertreten.

Verschiedene Betriebsstrukturen 

Der größte Anteil der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Umfrage wirtschaftet ökologisch (88 %). Von diesen gehören 40 % dem Demeter-Verband, 33 % Bioland und 7 % Naturland an. Darüber hinaus waren Biokreis, Gäa, BioSuisse, BioAustria und EU-Bio-Betriebe vertreten. Insgesamt gaben 77 % der Befragten an, alle Kälber kuhgebunden aufzuziehen. Nur die weibliche Nachzucht ziehen 15 % auf und alle weiteren Befragten ziehen nur Teile der Nachzucht oder nur Mastkälber an der Kuh auf. Die Kälberaufzucht wird auf der Hälfte der Betriebe ausschließlich von Familienarbeitskräfte betreut, ein Viertel der Befragten gab an die Kälber nur von festen Arbeitskräften (Familie oder Angestellt) betreuen zu lassen.

Haltungssysteme der Kühe

Ein Einfluss der vorhandenen Haltungssysteme auf das System der kuhgebundenen Kälberaufzucht (KK) konnte nicht festgestellt werden. Es wurden klassische Liegeboxenlaufställe mit Spalten oder planbefestigten Laufgängen, verschiedene Varianten von Strohställen, Anbindehaltung und Weidehaltung angegeben. Zudem beschrieben die meisten Betriebe (81 %), zweimal pro Tag zu melken. Rund 10 % der Betriebe haben ein automatisches Melksystem im Einsatz, das häufig in Kombination mit ammengebundener Aufzucht eingesetzt wird. Es zeigte sich, dass das einmal tägliche Melken besonders häufig bei rein muttergebundener Aufzucht praktiziert wird.

Hinsichtlich der geografischen Lage der Betriebe ist ein regionaler Einfluss erkennbar. Es scheint „Ballungsgebiete“ zu geben, so konnten besonders viele Betriebe im Süden und Norden Deutschlands mit KK identifiziert werden. Dies kann eventuell mit den regional sehr unterschiedlichen Beratungs- und Vermarktungsangeboten in Zusammenhang stehen. Die regionalen Einflüsse wurden bei der Bewertung der Angaben von Herdengröße, Rassenvielfalt der Milchkühe und Milchleistung beachtet und entsprachen den in Deutschland üblichen Werten.

Die KK scheint somit unabhängig von der Betriebsstruktur anwendbar zu sein. Lediglich ein Zusammenhang zwischen Herdengröße und System der KK war feststellbar: Je größer die Herde, desto häufiger werden Ammen eingesetzt, je kleiner die Herden, desto häufiger wird muttergebunden aufgezogen.

Kontakttier der Kälber

Die meisten Befragten (43 %) betreiben die KK mit Kontakt zur Mutter. Nur 15 % gaben an ausschließlich ammengebundene aufzuziehen. Von einer rein ammengebundenen Aufzucht wird bei einer Kontaktdauer zur Mutter von weniger als drei Tagen ausgegangen. Mit 31 % kommt die Kombination aus ammen- und muttergebundener Aufzucht am zweithäufigsten vor, wobei hier sowohl der Kontakttierwechsel während der Aufzucht als auch die Nutzung einer Mutter als Amme für weitere Kälber inbegriffen ist. Zuletzt kommt die Kombination aus Mutter oder Amme und Eimertränke recht selten vor. Kommen Ammen zum Einsatz, so nutzt etwa die Hälfte der Befragten Erstkalbinnen und Kühe und die andere Hälfte ausschließlich Kühe als Amme. Von diesen werden häufig (52 %) drei Kälber zur gleichen Zeit versorgt. Der Kuh-Kalb-Schlüssel hängt von der Milchleistung der Kühe und dem Alter der Kälber ab, so werden außerdem von den Befragten Kuh-Kalb-Schlüssel von zwei Kälbern pro Kuh (35 %) und vier Kälbern pro Kuh (13 %) beschrieben.

Kontaktzeit und -ort von Kuh und Kalb

Hinsichtlich der Dauer des Kontaktes pro Tag wurde unterschieden zwischen Ganztagskontakt (64 %), Halbtagskontakt (19 %) und Kurzzeitkontakt (18 %). Bei Halbtagskontakt wird häufiger die Kontaktzeit in den Nachtstunden als am Tag gewählt. Die Variante des Kurzzeitkontaktes stellte sich vielfältiger dar. Hier erfolgt das Treffen vor dem Melken bei etwa der Hälfte der Befragten, nach dem Melken treffen 22 % der Kühe ihre Kälber zum kurzzeitigen Säugen und 11 % Säugen während des Melkprozesses das Kalb. In ebenfalls 11 % der Betriebe treffen Kuh und Kalb zur Melkzeit zusammen, wobei die Mutter/Amme nicht gemolken wird. Durch den direkten Bezug zum Melken erhalten Kälber in Kurzzeitkontaktsystemen zumeist zweimal täglich für jeweils 30 bis 60 Minuten Kontakt zur Mutter. Die Treffpunkte von Kuh und Kalb sind am häufigsten der Vorwartebereich (33 %) und der Kuhstall (33 %), gefolgt von Laufhöfen (22 %). Ein kleiner Teil der Kälber wird von ihren Müttern/Ammen im Kälberstall besucht und weitere 6 % der Kälber haben freien Zugang zu allen Bereichen des Kuhstalls, inklusive Weide.

Absetzzeitpunkt und -Methode

Das Absetzen erfolgt häufig mit Vollendung der zwölften Lebenswoche. Nach der 18. Lebenswoche setzten vermehrt Mastbetriebe ab. Die meisten Betriebe nutzen ein langsames Ausschleichen (42 %) als Absetzmethode, der Zaunkontakt (fence-line weaning) wird nur selten angewendet. Zudem haben viele Betriebe gute Erfahrungen mit Saugentwöhnern, wie QuietWean oder NoseFlap, gemacht, diese setzen 25 % der Befragten ein. Hierbei ist jedoch wichtig, die Entwöhner nur über einen kurzen Zeitraum von rund vier Tagen einzusetzen, um Schäden an den Nasenwänden zu vermeiden. Rund 26 % der Umfrageteilnehmenden gaben an abrupt abzusetzen, also die zeitgleiche Trennung vom Kontakttier und das Absetzen von der Milch zu vollziehen.

Bedürfnisse der Kälber beachten

Das abrupt Absetzten ist nicht empfehlenswert, da dies zu einer hohen Stressbelastung von Kuh und Kalb führt. Dies kann sich in Unruhe, vermehrter Vokalisation und Wachstumsdepressionen äußern. Hilfreich, um die Trennung zu erleichtern und die Auswirkungen des Trennungsstresses zu reduzieren, ist neben einer schonenden Absetzmethode eine gute Vorbereitung. Hierzu gehört das Heranführen des Kalbes an Grob- und Kraftfuttermittel, um die Pansenreifung zu unterstützen und das Kalb auf eine den Energiebedarf deckende Festfutteraufnahme zum Zeitpunkt des Absetzens vorzubereiten. Dies wird in 42 % der befragten Betriebe so umgesetzt. Häufig wird jedoch lediglich Grobfutter, wie Heu oder Grassilage, angeboten.

Die Gewöhnung an kurze Separationen, die sich besonders gut durch das Angebot von Kälberschlüpfen im Stall einführen lassen, konnte hingegen in der Mehrzahl der Betriebe (52 %) beobachtet werden. Kälberschlüpfe unterstützen zudem das natürliche Verhalten der Kälber und bieten einen Rückzugsort in dem Klima, Fütterung und Tränken kälbergerecht eingerichtet werden können.

Einen Überblick über die Befragung finden Sie auch in diesen drei Abbildungen. 

Kalb trinkt bei Mutter

Foto: Tessa Alkemper, Landwirtschaftskammer NRW

Fazit

Es wird deutlich: Die Vielfalt der Systeme ist groß! Viele betriebliche Rahmenbedingungen, wie Stallsystem, Haltung der Kälber oder die Mitarbeiterstruktur, scheinen jedoch bei der Systemwahl keine Berücksichtigung zu finden. Ob nicht doch gewisse Systeme unter bestimmten Rahmenbedingungen Vorteile bieten könnten, wird derzeit anhand weiterer Auswertungen untersucht. Gute Tipps für eine Systemwahl abhängig vom bestehenden Betrieb finden sich in dem Handlungsleitfaden auf der Internetseite www.kuhgebundene-kaelberaufzucht.de.

Tessa Alkemper und Sebastian Glowacki,
Landwirtschaftskammer NRW