Die Erfahrungen mit Kurzrasenweide in der Schweiz und Österreich, später auch in Bayern und in Norddeutschland führten zu einem Umdenken. Nicht, dass Kurzrasenweide überall zu empfehlen ist. Aber der Blick auf die Pflanzen und die Weidetiere veränderte sich, sowohl in der Praxis als auch unter Beratern und Wissenschaftlern. Das zeigte gerade erst die Internationale Weidetagung in Ravensburg. Und die Forschung dazu ist noch nicht am Ende: Vielmehr sind laufend Anpassungen an veränderte Rahmenbedingungen erforderlich. Hilfreich dafür sind die Auswertungen von Weidedaten der letzten zehn Jahre.
2004 traf Dr. Edmund Leisen, lange Jahre Grünland- und Futterbauberater bei der Landwirtschaftskammer NRW, erstmals in 2.000 m in Serfaus/Österreich auf Flächen, die wahrscheinlich schon seit Jahrhunderten immer kurzgehalten und selten über 5 cm hoch wurden. Denn die Almkühe weideten jeden Sonntag um die Alm. Zwei Wochen später berichtete Prof. Peter Thomet aus der Schweiz von seinen Erfahrungen mit der Kurzrasenweide: Unglaublich hohe Flächenproduktivität und das bei Pflanzenbeständen, die auf den ersten Blick alles andere als gut waren. Wesentliche Teile der Versuchsflächen bestanden zu zwei Dritteln aus Gemeiner Rispe und Flechtstraußgras, nur 20 % Deutschem Weidelgras und etwas Weißklee.
Ob das überhaupt sein kann? Zu sehr widersprach es den eigenen Vorstellungen. Mit den zwei Grünlandspezialisten aus Norddeutschland, Dr. Clara Berendonk und Dr. Uwe von Borstel, wurden im nächsten Frühjahr die Versuchsflächen in der Schweiz angeschaut. Danach war klar: Es sind genauere Zahlen nötig darüber, was auf den Praxisbetrieben läuft und wie die Bestände dort aussehen.
Zusammen mit von Borstel, zwischenzeitlich pensioniert, wurde in den Folgejahren auf etwa 100 Betrieben und dort jeweils auf acht Schlägen die Artenzusammensetzung festgehalten. Auf reinen Grünlandbetrieben zeigte sich, dass es zwischen Artenzusammensetzung und Einzelkuhleistung bei Weidenutzung kaum einen Zusammenhang gab. Nicht verwunderlich also, dass auf dem Schweizer Betrieb auch ein Bestand aus überwiegend weniger wertvollen Pflanzenarten eine hohe Flächenproduktivität bringen kann.
Ausbreitung der Kurzrasenweide nach Norden
Die Neugierde war geweckt. Zusammen mit Landwirten aus unterschiedlichen Regionen wurden ab 2007 verschiedene Länder besucht, unter anderem England, Irland, Dänemark, Neuseeland. Der Besuch der Schweiz 2008 brachte aber die größten Veränderungen. In den nächsten beiden Jahren stellten praktisch alle Landwirte, die dabei waren, auf Kurzrasenweide um. Dabei gab und gibt es aber zwei wesentliche Probleme:
- Zu wenig Niederschlag auf den umstellenden Betrieben, fast durchweg geringer als auf den Schweizer Betrieben. Und bei Trockenheit ist das Wurzelsystem bei Kurzrasenweide zu kurz, so Schlussfolgerungen aus einer Literaturstudie, die von Borstel durchgeführt hatte. Heute weiß man, dass es auch unter Kurzrasenweide längere Wurzeln gibt und die Wasserversorgung bei vergleichbarer Artenzusammensetzung nicht schlechter sein muss.
- Gefahr von Übersäuerung des Pansens: Die Weideflächen waren extrem kurz verbissen, kürzer als in der Schweiz. Erste Futteranalysen im Frühjahr zeigten extrem nährstoffreiches Futter mit wenig Struktur (25 % Rohprotein, 32 % Zucker, nur 12 % Rohfaser). Eigentlich tödlich. Der erste besuchte Betrieb weidete aber schon seit zwei Monaten und es zeigten sich noch keine Probleme. Die Tiere fressen immer nur kleine Bissen und speicheln gut ein. Das stabilisiert den Pansen. Eine Bestätigung hierfür gab es ab 2013 durch Untersuchungen mit Bolis im Pansen. Bei Kurzrasenweide ist der pH-Wert im Pansen stabil und liegt auf gutem Niveau.
Hohe Flächenproduktivität
Die Zahlen in der Schweiz hatten die Landwirte überzeugt. Eine derart hohe Flächenproduktivität wie bei gut geführter Weide ist mit reiner Schnittnutzung nicht zu erzielen. Aber auch die Arbeitsbelastung ist in der Weideperiode geringer und es ist wirtschaftlicher. Ein Schweizer Betrieb erzählte, dass er vorher 5 Franken Stundenlohn hatte und jetzt 30 Franken. Die eigenen Wirtschaftlichkeitserhebungen auf 39 Betrieben, aber auch die Auswertungen in den USA und den Niederlanden bestätigten diese Einschätzung: Vor allem Vollweidebetriebe sind überdurchschnittlich wirtschaftlich.
Weit verbreitet, nicht überall geeignet
Seit 2011 bildet die Begleitung von Weidebetrieben einen Schwerpunkt im Projekt „Öko-Leitbetriebe in NRW“. Es liegen Wochendaten zur Weide von 120 Betrieben vor, von elf Betrieben sogar durchgehend seit 2014. 60 % machen Kurzrasenweide, 40 % Portionsweide oder Umtriebsweide. Inzwischen melken 25 Weidebetriebe mit einem Melkroboter, zwölf Betriebe mit Kurzrasenweide und 13 mit Portionsweide.
Inzwischen ist es deutlich, dass Kurzrasenweide nicht überall passt. Vorteilhaft ist sie, wo es keine zu lange Trockenheit mit knappem Zuwachs gibt. In Betrieben mit begrenztem Weideumfang muss das kein Problem sein. Hier kann je nach Zuwachs mehr oder weniger zufüttern werden. Nicht zu empfehlen ist Kurzrasenweide dort, wo bevorzugte Liegeflächen entstehen, zum Beispiel in hügeligem Gelände.
Bei Umtriebs- und Portionsweide stehen mehr Reserven auf den Flächen. Hier sollte allerdings auch auf ausreichend Strukturversorgung geachtet werden, vor allem, wenn es häufiger Probleme mit Blähungen oder Klauen gibt.
Dr. Edmund Leisen, AG Öko-Futtersaaten

Weidende Milchkühe, Foto: Anne Verhoeven, LWK NRW