Wie sinnig sind formulierte Ausbauziele für Ökolandbau?
Ob Niedersächsischer Weg mit 15 %, Green Deal auf europäischer Linie mit 25 % oder das durch den noch geltenden Koalitionsvertrag mit 30 % ausgerufene Ziel für den Ökolandausbau - auf Bundesebene haben alle erklärten Ziele zum Ausbau des Ökolandbaus eines gemeinsam: Es sind Absichtserklärungen, denn die realen Zahlen sprechen eine andere Sprache. Es stellte sich daher die Frage, ob Zielsetzungen zum Bio-Ausbau mehr als nur politische Willensbekundungen seien.
Bei der Podiumsdiskussion „15% -25 % - 30%: Geht Marktwachstum auch ohne Ziel?“, die im Rahmen des 8. Bio-Fachforums Mitte November in Visselhövede stattgefunden hat, diskutierten Dr. Karl Kempkens, BMEL-Referatsleiter ökologische Lebensmittelwirtschaft, Jan Plagge, IFOAM Organics Europe und Bioland Präsident, sowie Dr. Marco Mohrmann, Agrarpolitischer Sprecher der CDU im niedersächsischen Landtag, aus Sicht der Bundesebene, mit europäischer Sicht und aus der niedersächsischen Perspektive miteinander. Bei der Vertretung ihrer Positionen standen sie sich allerdings nur selten konträr gegenüber. Moderatorin Carolin Grieshop hatte sich für eine lebhafte Diskussion mehr kontroverse Standpunkte erhofft. Trotz alledem aber war die studierte Politikwissenschaftlerin und Verwaltungsrechtlerin im Sinne der Sache und des Voranbringens erfreut über so viel Konsens in Sachen Ökolandbau.
Starker Einfluss der Verbraucher
Marco Mohrmann stellte die These auf, dass nicht nur die Politik, sondern ebenso der Verbraucher den Ausbau von Ökolandbau beeinflusse. Bei der Weichenstellung für das Marktwachstum helfe die Formulierung von politischen Zielen. „Die Definition von politischen Zielen ist für den Ausbau des Ökolandbaus sehr wohl sinnvoll, um die weiteren Prozesse zu befördern und in Gang zu setzen“, so Mohrmann. Niedersachsen habe als Flächenland mit 15 % ein eher vorsichtiges Ziel für den niedersächsisches Weg gewählt, das aber durch Zusammenarbeit von Landwirtschaft und Umwelt und deren Verbänden wie Nabu und BUND, Landvolk und Landwirtschaftskammer zustande gekommen sei. Als eine Kooperation für das Erreichbare bezeichnete Grieshop das niedersächsische Ausbauziel im Ökolandbau.
Ganz anders positionierte sich der Bund mit 30 %, dessen Perspektive Dr. Karl Kempkens erläuterte. Der Grund für die Höhe der Zahl sei die Erklärung eines politischen Ziels gewesen. Er unterstrich die Notwendigkeit von Zielen, da die daraus resultierende Festlegung einen enormen Druck in der Branche produziere. „30 Maßnahmen über die gesamte Wertschöpfungskette und mehr als 100 Einzelhandlungen resultierten im Sinne der Umsetzung aus der Biostrategie“, betonte Kempkens, der davon ausgeht, dass die Branche die hohe Zielsetzung befürworte.
Keine Symbolpolitik
Jan Plagge unterstützte grundsätzlich den Ausbau des Ökolandbaus, über die Höhe der anvisierten Ziele auf europäischer und deutscher Ebene habe allerdings bei den Erzeugern eine Diskussion stattgefunden. Kritisch sah er dagegen eine „Symbolpolitik“, da die zulasten der Akteure ginge. „Tritt eine relative Vorzüglichkeit für Biobetriebe nicht ein, wird die Zielsetzung zur Symbolpolitik“, warnte Plagge. Laut Berechnungen des europäischen Rechnungshofes seien die Aktionspläne der meisten Mitgliedstaaten der nationalen Ausbauziele über die Maßnahmen des GAP-Strategieplans (Gemeinsame Agrarpolitik) nicht konsistent. Ziel und Maßnahmen klafften auseinander. Obwohl sich Brüssel mit „Organic“ voll identifiziere, beruhe die niedersächsische Perspektive auf der Weiterentwicklung von landwirtschaftlicher Erzeugung über Verarbeitung bis hin zum Handel. Perspektive von Rechnungshof und EU-Kommission sei für „Bio“ als europäisches Projekt eine komplett andere.
Plagge riet, den Ökolandbau als funktionierendes Steuerinstrument zu benutzen. „Mit der EG-Öko-Verordnung, Rahmensetzung in der GAP, und ausreichenden Mitteln in den nationalen Strategieplänen der gemeinsamen Agrarpolitik ist es für Betriebe, die auf Ökolandbau umstellen oder diesen beibehalten, ein adäquates Steuerinstrument.“
Grundvoraussetzung: Faires Miteinander
Dr. Karl Kempkens sah durch das formulierte Ausbauziel von 30 % für Landwirte und Verarbeiter keine Gefährdung. Das Ziel sei ein rein marktwirtschaftliches. Er ging davon aus, dass das Problem in einem fairen Handel und in fairen Partnerschaften liege. „Allerdings bereitet mir die Marktentwicklung Sorgen, denn 10 % der bioverarbeitenden Pionierbetriebe ist 2024 insolvent gegangen“, gab Kempkens zu bedenken.
Agrar und Ernährung zusammen denken
Nach dem starken Biowachstum in 2016 bis 2021 stagniert aktuell das Biowachstum. Marco Mohrmann wehrte sich aber gegen ordnungspolitisches Eingreifen. „Der Markt muss es aufnehmen können“, so sein Ansatz. Politisch bestünde aber Einigkeit über den Ökoland-Ausbau. Er monierte jedoch maßnahmenorientierte Strategien und hoffte auf größere Eigenverantwortlichkeit der Biolandwirte und Ernährungsbildung.
Regionale, nationale und europäische Ziele seien wichtig, so Jan Plagge. Er betonte aber auch, dass es unter den Landwirten keine Konkurrenz zwischen konventionellem und Bioanbau gebe. „Bei der Zielsetzung im Ökolandausbau muss über ein Bild für die gesamte Land- und Ernährungswirtschaft gesprochen und Polarisierung überwunden werden!“, so ein Appell. Als großer Auftrag sollen Agrar und Ernährung zusammen gedacht werden, um Landwirte in der Lebensmittelkette zu stärken und den Aufkauf von landwirtschaftlichen Rohwaren unterhalb der Produktionskosten auszuschließen.
Ja zu Flächenförderung
Kempkens befürwortete Flächenförderungen als wichtiges Element, um Ökolandbau weiter zu begünstigen. Wichtig sei, Umwelt- und Gemeinwohlleistungen von Landwirten entsprechend zu honorieren. „Wir brauchen ein einfaches System“, so sein Appell. Politik brauche es, um Rahmenbedingungen vorzugeben und regelbasiert Vertrauen zu schaffen, sagten auch Marco Mohrmann und Jan Plagge. Allerdings sorge Überregelung für Unmut unter den Landwirten. Einig waren sich Mohrmann und Kempkens über die Notwendigkeit der Verringerung von zähen Genehmigungsprozessen.
Einigkeit bestand darüber, vor dem Hintergrund der real erreichten Ziele zukünftig auf prozentuale Zielvorgaben zu verzichten. Ziele sollten als Orientierung im Hintergrund stehen, wichtig seien Wirkung und Maßnahmen. Kempkens wünschte sich ein Gesamtbild der Weiterentwicklung von Land- und Ernährungswirtschaft und monierte konfrontative Positionen von öko- und konventioneller Landwirtschaft. Mohrmann unterstrich Landwirtschaft als Bekenntnis zur Produktion. Gesellschaftliche Kritik an der Landwirtschaft sei zum Teil berechtigt, aber auch deutlich überzogen. Er riet dazu, dass Gesellschaft und Landwirtschaft wieder ins Gespräch kommen müssen.
Landwirtschaft gesellschaftlich nicht relevant
Das Bewusstsein für die Relevanz von Landwirtschaft in der Gesellschaft sah Jan Plagge nicht. Realität sei, dass europaweit viele Betriebe „an der Kante“ stehen. Die Transformation in Richtung regionaler Konsum, Nachhaltigkeit, Tierwohl, Ökologie koste große Anstrengungen. „Im bundesdeutschen Konsens wäre die Finanzierung des Umbaus der Tierhaltung relevant“, so Plagge. Bei der Umstellung auf bessere Haltungsformen aber dürften Verbraucher nicht „bestraft“ werden.
Sabine von der Decken, Bremen

Dr. Karl Kempkens, Carolin Grieshop, Jan Plagge und Marco Mohrmann (v.l.n.r.) diskutierten über die Notwendigkeit von politischen Ausbauzielen. Foto: Sabine von der Decken