
Foto: Landwirtschaftskammer NRW
Der Titel der diesjährigen Öko-Milchviehtagung am 29. und 30. November war Programm: Rund um den Schwerpunkt „Milcherzeugung in turbulenten Zeiten“ ging es in den zahlreichen Beiträgen aus Wissenschaft und Praxis. Denen konnten am ersten Veranstaltungstag rund 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, von denen etwa ein Drittel an den heimischen Bildschirmen und rund 70 Personen in der Aula auf Haus Düsse saßen, folgen.
Organisiert wurde die Veranstaltung, die im Rahmen des Projektes „Leitbetriebe Ökologischer Landbau NRW“ stattfand, von der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen gemeinsam mit der Landesvereinigung Ökologischer Landbau NRW e.V., in deren Namen Jan Leifert die Begrüßungsworte sprach. Die waren alles andere als erwärmend, denn: „Die Preissituation war für ökologisch wirtschaftende Milchviehbetriebe noch nie so dramatisch wie aktuell. Die Preise für Biomilch steigen nur langsam, der Unterschied zum konventionellen Milchpreis ist verschwindend gering - und NRW Schlusslicht bei den Auszahlungspreisen“, so Jan Leifert. Der hohe konventionelle Milchpreis trage die Öko-Milch derzeit mit. Doch wie sich die Situation im 1. Quartal 2023 gestalten werde, sei ungewiss. „Erwartet werden wieder Preisrückgänge für konventionelle Milch. Ziehen sie die Biomilchpreise weiter mit nach unten?“ Diese potenzielle Entwicklung bereite den Biobetrieben keine große Freude. „Umso wichtiger ist es, Klarheit darüber zu bekommen, wie man seinen Betrieb für die nahe Zukunft aufstellen kann, wie sich Betriebszweige optimieren und das Risiko diversifizieren lassen“, meinte der LVÖ-Vorsitzende.
„Eine Stabilisierung des ökologischen Milchpreises ist über die Mengen- und die Preissteuerung möglich, und diese wird umso effektiver, je mehr Biolandwirtinnen und Biolandwirte sich und ihre Betriebe in Verbänden und Milcherzeugergemeinschaften organisieren“, ermunterte Jan Leifert die Berufskolleginnen und -kollegen, Stärke gegenüber den Molkereien zu zeigen und von der Schlusslicht-Rolle auf eine komfortablere Position in NRW zu wechseln.
Als Diskussionsgrundlage genau dafür konnten die Vorträge dienen, durch die am ersten der beiden Veranstaltungs-Tage Sebastian Glowacki, Landwirtschaftskammer NRW, und Hannes Michael, Bioland NRW, führten. Ein Ausschnitt soll hier wiedergegeben werden.

Foto: Meike Siebel, Landwirtschaftskammer NRW
Von der Theorie in die Praxis
„In der landwirtschaftlichen Praxis läuft es oftmals anders, als es sich Wissenschaft und Theorie vorstellen.“ So führte Moderator Hannes Michael die Berichte der beiden Bio-Landwirte Lukas Nellessen aus Dahlem in der Eifel und Friedrich Kinkelbur aus Minden ein, die ihre Betriebskonzepte und -philosophien vorstellten.
Lukas Nellessen, Buchenhof, Dahlem: Managementarme Kuh mit hoher Nutzungsdauer
Lukas und sein Vater Johannes Nellessen bewirtschaften einen reinen Grünlandbetrieb auf rund 550 m über NN in der nordrhein-westfälischen Eifel. 2001 hat Johannes Nellessen den Betrieb auf ökologische Milchviehhaltung umgestellt, Sohn Lukas hat das System der Vollweide von April bis November mit kraftfutterreduzierter Fütterung für die 70 Milchkühe plus Nachzucht weiterentwickelt. Seit 2009 wird Fleckvieh in die Holstein-Herde eingekreuzt; am Fleckvieh schätzen die beiden Biolandwirte dessen Robustheit und die Möglichkeit der Doppelnutzung.
Von den 105 ha Dauergrünland werden 65 % als Mähweide genutzt, 25 % sind reine Weide, die Besatzdichte beträgt 0,8 GV/ha. „Da unsere Flächen in der Blankenheimer Kalkmulde liegen und auch Kalkmagerrasen umfassen, der einmal pro Vegetationszeit geschnitten und dann nachbeweidet wird, müssen wir die für unsere Eifeler Verhältnisse hochwertigen Böden nicht kalken. Problematisch ist seit vielen Jahren die Sommertrockenheit“, fasste Lukas Nellessen die Standortverhältnisse zusammen. Außerdem wenden sie regenerative Methoden, wie den Einsatz von milchsauren Fermenten, an, um die Nährstoffe in Gülle und Festmist zu halten und so die Kreislaufwirtschaft zu optimieren.
Die kraftfutterreduzierte Fütterung im Betrieb bedeute Null KF während der Weidezeit und eine Reduktion im Winter. „Zur Winterfütterung werden die Kühe über Grassilage und Heu ausgefüttert. Rund 2,5 kg Kraftfutter pro Tag bekommt jede Kuh zwecks Energiegehalt“, so Nellessen. Ganz verzichten wollten er und sein Vater aus Gründen der Milchleistung und der Tiergesundheit nicht auf den Kraftfuttereinsatz, der bei weniger als 10 % der Gesamtration liegt. Seit die Grobfutterversorgung der Kühe effizienter gestaltet wird, habe sich die Nutzungsdauer der Einzelkuh deutlich erhöht. „Dieser Mehrwert war nicht sofort sichtbar, sondern kristallisiert sich nun über mehrere Jahre heraus. Wir legen unseren Fokus auf die Langlebigkeit der Kuh und deren Management-Armut“, beschrieb der junge Landwirt die Philosophie. So liege die durchschnittliche Nutzungsdauer der Milchkühe bei neun Jahren, er behalte lediglich zehn weibliche Rinder zur Nachzucht.
Im Übrigen habe das Grünland parallel zur Kraftfutterreduzierung an Artenreichtum zugenommen. „Wegen mehr Kräutern in den Beständen sind diese nutzungselastischer und vor allem trockenheitstoleranter geworden, was uns eine Sicherheit in den zunehmenden Trockenphasen gibt“, nannte Nellessen einen weiteren Effekt der Fütterungsstrategie.

Lukas Nellessen Foto: Meike Siebel, Landwirtschaftskammer NRW
Friedrich Kinkelbur, Biohof Kinkelbur, Minden: Diversifizierung statt Spezialisierung
Familie Kinkelbur bewirtschaftet den gleichnamigen Biohof als Gemischtbetrieb mit Milchvieh und Ackerbau, auf dem 25 ha mit Kleegras, 18 ha mit Silomais, 10 ha mit Kartoffeln und 47 ha mit Getreide bestellt sind. 60 ha sind Grünland, davon 15 ha reine Weide und 45 ha Mähweide - insgesamt 50 ha liegen auf Niedermoorflächen. 1981 wurde der Betrieb auf Ökolandbau umgestellt, damals schon lag der Durchschnitt der Holstein-Herde bei 8 000 l. Heute hält Friedrich Kinkelbur 113 Milchkühe plus Nachzucht, die ganzjährig abkalben. Bis 2020 ist die Milchleistung stetig gestiegen, 2020 gab es einen immensen Sprung von 9 300 auf 11 000 Liter, den sich Kinkelbur so erklärt: „Bis 2020 haben wir das Grundfutter – Grassilage, Mais und Kartoffeln – über den Futterverteilwagen viermal täglich vorgelegt. Kraftfutter gab es bis zu 8 kg über die Abruffütterung. 2020 dann, im zweiten Trockenjahr in Folge, herrschte auch bei uns große Futterknappheit und wir mussten Futter, unter anderem teure Sojapülpe und Grascobs, zukaufen“, erinnerte sich der Landwirt. Daraufhin hätten sie sich einen Futtermischwagen angeschafft und die Kuhzahl reduziert. „Das Resultat: Die Trockensteher ließen sich besser anfüttern vor dem Abkalben. Das führte ebenso zu einem Anstieg der Milchleistung wie die Umstellung der Färsenfütterung: Die wurden nicht mehr mit der Milch „großgehungert“, sondern bekamen fortan 900 l pro Kalb.“
Wegen der geringen Energiedichte in der Grassilage habe man die Rationen mit Mais ergänzt. „Dadurch war ein Ausgleich im Grundfutter durch Eiweißergänzer nötig“, so Friedrich Kinkelbur, der zur wirtschaftlichen Dimension hinzufügt: „Die Kosten schnellten in die Höhe und wir mussten uns fragen, wie wir davon wieder herunterkommen.“ Die nächste Maßnahme sei folglich die Reduktion des Kraftfutters sowie der Eiweißergänzer gewesen. „Zeitgleich zum Weideaustrieb haben wir den Ergänzer von 4 kg auf 2,5 kg pro Tier reduziert, was natürlich zunächst auf die Milchleistung durchgeschlagen ist. Nach der Beweidung der Kleegrasbestände hat sich die Leistung aber wieder stabilisiert“, zeigte sich der Landwirt zufrieden mit der Entwicklung.
Sein Fazit aus den letzten Jahren: „Auf guten Standorten ist es auch möglich, hohe Leistungen zu erzielen, wobei wir in unserem Fall nicht von der „managementarmen“ Kuh sprechen können. Im Gegenteil: Unsere Kühe fordern viel Einsatz. Allerdings haben sie in den vergangenen Trockenjahren auch gezeigt, wie flexibel sie sind“, so Friedrich Kinkelbur.
In Zukunft möchten er und sein Team weiter züchten und andere Rassen einkreuzen, außerdem die Kälber typisieren. „Und wir setzen auf Diversifizierung statt reine Spezialisierung: Mit der Direktvermarktung unserer Produkte und der Veredelung zu Milch und Fleisch - wir vermarkten jährlich zwei Tiere über unseren Hofladen - konnten wir unseren Umsatz steigern, was wir natürlich weiter voranbringen möchten.“ Am wichtigsten war Friedrich Kinkelbur jedoch Folgendes: „Wir müssen mehr Verbraucher finden, die bereit sind, den Mehrwert unserer Bioprodukte zu bezahlen. Dafür muss Biomilch als High-End-Produkt in den Regalen stehen, sodass die Endkunden nicht zu Weide- oder Tierwohlmilch greifen, sondern ausschließlich zu Biomilch!“

Friedrich Kinkelbur Foto: privat
Meike Siebel,
Landwirtschaftskammer NRW