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Mob Grazing mit Milchkühen

06.09.2024

Das Potenzial einer alternativen Weidestrategie


Im Öko-Betrieb von Haus Riswick am Niederrhein werden seit 2021 umfangreiche Praxisversuche und Untersuchungen mit rund 45 Milchkühen im Rahmen des Mob Grazings durchgeführt. Dazu werden erste Ergebnisse der Jahre 2022 und 2023 vorgestellt.

Vor dem Hintergrund der klimatischen Veränderungen, insbesondere im Hinblick auf mögliche zunehmende Trockenphasen, sind resiliente Weidesysteme zu entwickeln oder anzupassen, um die Verfügbarkeit qualitativ und quantitativ hochwertigen Futters auch während kritischer Witterungsphasen sicherzustellen. Vor allem intensiv genutze Kurzrasenweidesysteme können aufgrund des geringen Wurzeltiefgangs bei Sommertrockenheit tiefer liegende Wasserreserven nicht mehr erreichen. Sie kommen daher schneller an ihre Produktivitätsgrenzen als Umtriebsweidesysteme. Als potenziell geeignete Weidestrategie wird das Weideverfahren Mob Grazing diskutiert. In dem holistischen Weidekonzept werden gezielt natürliche Ökosystemleistungen und Stoffkreisläufe genutzt, um Aspekte des Klimaschutzes und der Klimaanpassung, der Bodenfruchtbarkeit sowie der Tiergerechtheit zu vereinen. Mob Grazing ist eine Weidestrategie innerhalb des Systems der Rotations- und Umtriebsweide mit einem ganzheitlichen Ansatz.

Humusaufbau, Kohlenstoff- und Wasserspeicherfähigkeit fördern

Über Weidereste und Ausscheidungen der Tiere soll im Zusammenhang mit dieser klimaresilienten Weidestrategie ein kontinuierlicher Humusaufbau stattfinden. In der Folge wird die Fähigkeit des Bodens, Wasser zu infiltrieren und zu speichern, erhöht. Das verstärkte Wachstum der Weidepflanzen wiederum führt dazu, dass mehr Kohlenstoff aus dem atmosphärischen CO2 im Boden gebunden wird.

Hohe Besatzdichten verhindern Futterselektion

Beim Mob Grazing wird mit sehr hohen Besatzdichten agiert. Dem Prinzip folgend, dient als Orientierungsgröße nicht die Besatzdichte in GV/ha, sondern das Lebendgewicht (LG) in kg/ha. Je nach Zuwachsraten werden 100 000 bis 120 000 kg LG/ha Besatzgewicht angestrebt. Mit einer sehr hohen Besatzdichte soll erreicht werden, dass Weidepflanzen weniger stark selektiert werden. Im Fokus der strategischen Weidezuteilung steht die Pflanzenentwicklung. Dabei wird erst bei hoher Wuchshöhe von mehr als 15 cm beweidet; den Weidepflanzen steht in der Zwischenweidephase dann mehr Zeit für die Regeneration und das Wurzelwachstum zur Verfügung und damit der Einlagerung von Reservestoffen zum Wiederaustrieb.

Weidende Kühe

Foto: Anne Verhoeven, Landwirtschaftskammer NRW

Weidereste bilden Mulchschicht

Mehr oder weniger hohe Weidereste gelten bei dem beschriebenen Strategieansatz nicht als Nutzungskosten belastende Futterverluste; sie werden einkalkuliert und sind systembedingt erwünscht. Auf diese Weise soll auf der Weide ein Mikroklima entstehen, in dem einerseits der Boden mehr Wasser speichern kann und andererseits durch eine zunehmende Mulchschicht aus abgestorbenem Pflanzenmaterial ein wirkungsvoller Verdunstungsschutz generiert wird. Die höhere Restaufwuchshöhe mit über 7 bis 10 cm sorgt für eine gute Photosyntheseleistung und Wiederaustrieb. Kurze Fress- und Weidezeiten und lange Ruhe- oder Regenerationszeiten kennzeichnen diese Weidestrategie.

Wie wurde beweidet?

Die im Versuchsbetrieb praktizierte Mob Grazing-Weidestrategie ist im Prinzip ein Umtriebsweidesystem mit sehr kurzen Umtriebszeiten von einem bis zwei Tagen je Koppel. Die Weidesaison startet obligatorisch mit einer frühen Vorweide kurz nach Vegetationsbeginn. Diese Phase der stundenweisen Weideführung dient zum einen der physiologischen Gewöhnung der Tiere an das junge, strukturarme Weidegras. Zum anderen wird durch den frühen Verbiss die Bestockung der Gräser angeregt und damit die Narbendichte gefördert. Gleichzeitig werden sehr früh schossende Gräser, wie Wiesenfuchsschwanz, in der generativen Entwicklung gebremst. Unerwünschte Kräuter, wie Stumpfblättriger Ampfer, Wiesenkerbel und andere Arten, werden zudem zurückgedrängt.

Die gesamte Mob Grazing-Fläche umfasste über den betrachteten Untersuchungszeitraum 10,7 ha, bei einer durchschnittlichen Herdengröße von 45 Tieren. Täglich wurde die Herde auf eine neue Weideparzelle getrieben. Die Flächenzuteilung und –abgrenzung erfolgte mit einer mobilen Weidespinne. Die Parzellengröße betrug im Jahr 2022 im Durchschnitt des Jahres etwa 5 000 m2; im Jahr 2023 wurde mit halbiertem Weideareal von etwa 2 500 m2 gearbeitet. Je nach Wachstumsvermögen der Fläche weideten die Kühe im Jahr 2022 auch zwei Folgetage oder –nächte auf einer Parzelle. Die Besatzdichte lag damit bei 90 und 180 GV/ha. Bei einem durchschnittlichen Gewicht der Kühe über die Weidesaison von 667 kg (2022) und 682 kg (2023) lag das Herdengewicht bei rund 60 000 kg/ha bei einem Weidetag sowie 120 000 kg/ha bei zwei Weidetagen (2022) und bei rund 123 000 kg/ha (2023). Die Aufwuchshöhe zum Weideauftrieb lag meist zwischen 12 und 15 cm. Dabei sollten sich die Pflanzen weitgehend im vegetativen Stadium befinden, um eine ausreichende Energie- und Nährstoffkonzentration zu gewährleisten. Ziel war das Abfressen des oberen Drittels bis höchstens der oberen Hälfte des Aufwuchses.

Mulchschicht-Bildung nach Beweidung

Foto: Anne Verhoeven, Landwirtschaftskammer NRW

Mähen und silieren

Um Futterüberschüsse abzuschöpfen, wurde im vergleichsweise wüchsigeren Weidejahr 2023 der erste Aufwuchs einer Teilfläche zusätzlich zur Beweidung gemäht und siliert. Betriebsüblich wurde aufgrund des genetisch hoch veranlagten Herdenleistungspotenzials von über 9 000 kg energiekorrigierte Milchmenge (ECM)/Kuh/Jahr die Halbtagsweide mit einer angepassten Mischration im Stall durchgeführt. Im Anschluss an die Vorweide während der Frühjahrsweidephase wurden den Milchkühen tagsüber acht Stunden Weidegang angeboten. Während der Sommermonate erfolgte bei entsprechenden Tageslängen ein nächtlicher Weidegang. Dabei weidete die Herde besonders während der Abendstunden sehr effizient, so dass bei zwölf Stunden Nachtweide mit vergleichbaren Weidefutteraufnahmen wie bei acht Stunden Tagweide kalkuliert werden konnte.

Was wurde gemessen?

Während der Vegetationsperioden wurde zweimal wöchentlich die komprimierte Aufwuchshöhe der Weidefläche mit einem Herbometer gemessen. Zusätzlich wurde diese auch beim Auf- und Abtrieb der Herde auf den Weideparzellen erfasst. Mit Hilfe von Weidekörben wurden der Ertragszuwachs und die Qualität des Aufwuchses an fünf Terminen in der Vegetationsperiode ermittelt. Dabei wurde auch der Ertragsanteil an Gräsern, Leguminosen und Kräutern im Bestand visuell geschätzt. Ebenfalls visuell geschätzt wurde der Anteil an Weideresten nach der Beweidung einer Weideparzelle.

Die Futteraufnahme im Stall wurde täglich als Gruppenmittel der Herde erfasst. Über die Waage am Futtermischwagen wurden der Anteil der Rationskomponenten sowie die Gesamtfuttermenge der Mischration bestimmt. Anfallende Futterreste wurden zurückgewogen. Die Menge an aufgenommenem Kraftfutter an der Abrufstation konnte mittels Transponder automatisiert und tierindividuell festgestellt werden. Von jeder Rationskomponente lagen die Ergebnisse der Futtermitteluntersuchung vor. Ebenfalls erfasst wurden Lebendmasse, Body Condition Score (BCS) sowie die Daten der wöchentlichen Milchleistungsprüfung.

Die Differenz des Bedarfs für Milchleistung und Erhaltung sowie der über die Stallfütterung aufgenommenen Energie ergab die Energieaufnahme aus der Weide. Mittels der Anteilsmethode wurde daraus die Weideleistung bestimmt.

Vergleich der Mobgrazing-Weide

Foto: Anne Verhoeven, Landwirtschaftskammer NRW

Erste Ergebnisse

Die Niederschlagsmengen der Monate April bis Oktober betrugen 286 mm im Jahr 2022 und 573 mm im Jahr 2023. Damit herrschten in beiden Versuchsjahren sehr unterschiedliche Wachstumsbedingungen für die Weideflächen vor. Dies spiegelt sich auch in den Trockenmasse- und Energieerträgen wider, siehe Tabelle 1.   

Die angestrebte Aufwuchshöhe von 12 bis 15 cm zum Weideauftrieb konnte im Jahr 2022 aufgrund sehr geringer Niederschlagsmengen und -verteilungen und dem daraus resultierenden geringen Pflanzenwachstum zeitweise nicht erreicht werden. Im Jahr 2023 lag die Aufwuchshöhe beim Auftrieb der Herde meist zwischen 10 und 14 cm, wie in Grafik 1 dargestellt. Der geschätzte prozentuale Weiderest lag in beiden Jahren zwischen 5 % und 45 %.  

Die visuelle Ertragsanteilsschätzung von Gräsern, Klee und Kräutern ergab einen Anstieg des Gräseranteils, jedoch einen Rückgang des Weißkleeanteils im Jahr 2023, deutlicher als im Weidejahr 2022. Die Ruhe- und Regenerationszeit der Teilstücke lag im Untersuchungszeitraum zwischen 20 und 75 Tagen. Die sehr hohen Weide-Zwischenzeiten resultierten primär aus der langanhaltenden Trockenheit im Sommer 2022. Hier fand so gut wie kein Wachstum auf der Weide mehr statt. In dieser Phase wurden die Tiere zeitweise aufgestallt.

Grafik 2 zeigt den täglichen ECM-Verlauf je Kuh sowie die anteilige Energieaufnahme aus Weide und Mischration im Stall beispielhaft für das Weidejahr 2023. In beiden Untersuchungsjahren wurden vergleichbare Weideleistungen erreicht, siehe Tabelle 2.  Durch die zusätzliche Schnittnutzung im Jahr 2023 erweitert sich rechnerisch die flächenbezogene Milchleistung um die aus der Erntemenge erzeugbare Milchmenge in der Stallfütterung. Daraus ergibt sich eine deutlich höhere Flächenleistung 2023 im Vergleich zum Vorjahr. Da die Weideperiode im Jahr 2023 mit 174 Weidetagen deutlich kürzer ausfiel als die im Vorjahr mit 204 Tagen, wurde zusätzlich die Weidetagleistung berechnet, die im Jahr 2023 um 1,3 kg pro Tag höher lag als im Jahr 2022.

Die Erträge der Weidekörbe ließen auf eine potenzielle Weideleistung von 15 400 kg ECM pro ha und Jahr im Jahr 2022 und 20 000 kg ECM pro ha und Jahr im Jahr 2023 schließen. Bei dieser Hochrechnung wurden allerdings keine Weidereste berücksichtigt, die wichtiger Bestandteil des Mob Grazing sind.

Ein erstes Fazit

Die Einordnung der bisherigen Ergebnisse von tierischen Leistungsmerkmalen - Milchleistung der Herde pro Hektar, BCS -, die hier dargestellt und diskutiert werden, muss auf Basis bisheriger konventioneller und bewährter Weidesysteme erfolgen, auch wenn ein direkter Vergleich mit dem langjährigen Kurzrasenweidesystem im Rahmen des vorliegenden Versuches nicht möglich ist. Vor dem Hintergund der langjährig erhobenen Leistungsdaten im System der Kurzrasenweide im Ökobetrieb Haus Riswick von 2009 bis 2020 scheint Mob Grazing auf der Basis der bisherigen Ergebnisse zunächst vergleichbare Leistungen zu ermöglichen.  

Eine abschließende Bewertung des Mob Grazing Systems kann nach bisher zweijähriger Auswertung noch nicht vorgenommen werden. Hier sind zwingend weitere Untersuchungsjahre erforderlich, um neben Kennzahlen der tierischen Leistung auch die pflanzenbauliche Entwicklung des Grünlandes sowie diverser Ökosystemleistungen - Bodenparameter, faunistische und floristische Biodiversität, C-Akkumulation - hinreichend erfassen, einordnen und interpretieren zu können.

Mobgrazing Weide Riswick

Foto: Anne Verhoeven, Landwirtschaftskammer NRW

Sarina Hertel, Hubert Kivelitz, Anne Verhoeven, Gregor Janknecht und Dr. Christian Böttger,

Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen