Rinder sind gegenüber Hitze sehr empfindlich. Während im Stall geeignete Maßnahmen getroffen werden können, um das Klima möglichst kühl zu halten, ist das auf der Weide nicht so einfach. Welche Faktoren zum Hitzestress bei Mutterkühen beitragen und wie er auch im Freien vermieden werden kann, darüber informierte Prof. Dr. Ralf Waßmuth jüngst in einer Online-Veranstaltung des Netzwerks Fokus Tierwohl der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen.
Der Referent ist an der Hochschule Osnabrück für die Tierzucht inklusive Tierhaltung zuständig und ist Mitglied der AG Mutterkuh und Mast, beziehungsweise hier der Unter-AG Mutterkuh Weidehaltung im Netzwerk Fokus Tierwohl. Gemeinsam wurden Erkenntnisse zum Thema Hitzestress bei Mutterkühen gesammelt und für die Praxis aufbereitet. Wie Prof. Waßmuth betonte, werden in der Fachliteratur schon lange Schattenbereiche für Rinder in Weidehaltung gefordert, ebenso wie das Tierschutzrecht klar festlegt, dass Tiere verhaltensgerecht unterzubringen sind und sie ausreichend vor widrigen Witterungseinflüssen geschützt werden müssen. In der Praxis seien Schattenbereiche auf Sommerweiden aber nicht immer vorhanden. Deshalb sei es auch Ziel der AG, für das Thema zu sensibilisieren.
Thermoregulation beim Rind
Ausgewachsene Rinder haben eine normale Körperkerntemperatur von 38 bis 39 °C; sie wird rektal gemessen. Gegenüber Umgebungstemperaturen von 4 bis 16 °C reagieren sie thermisch neutral. Wie Prof. Waßmuth betonte, sind Rinder ursprünglich Steppentiere und haben deshalb vielfältige thermoregulatorische Anpassungsfähigkeiten. Allerdings können sie bei Kältebelastung eine deutlich größere Temperaturdifferenz zwischen Körper- und Umgebungstemperatur ausgleichen als bei Wärmebelastung.
Eine Wärmebelastung beim Rind kann durch Sonneneinstrahlung, aber auch durch warmen Wind verursacht werden sowie durch körperlichen Kontakt zum zu warmen Boden hin. Hohe relative Luftfeuchte heizt die Wirkung noch an. Entlastend wirken hingegen Schatten, kühl-feuchter Boden, Regen oder kühler Wind. Überdies versucht das Tier, durch Schwitzen oder über die Atmung Wärme abzugeben.
Zur Einschätzung einer beginnenden Wärmebelastung eignet sich der THI-Temperatur-Feuchtigkeits-Index, der einst für Milchkühe entwickelt wurde, aber auf Mutterkühe übertragbar ist. In diesem Diagramm werden Temperatur und Luftfeuchtigkeit gegenübergestellt und die jeweilige Hitzestress-Wirkung auf das Rind. So stellt beispielsweise eine Temperatur von 23 °C bei 20 % relativer Luftfeuchte keine Gefahr dar, während bei 23 °C und einer Luftfeuchtigkeit von 80 % schon mäßiger Hitzestress eintritt. Mithilfe des Diagramms kann die Gefahr von Hitzestress eingeschätzt werden um dann entsprechend auf der Weide zu kontrollieren, ob die Tiere schon Symptome zeigen. Zu berücksichtigen sei dabei, dass oft große tierindividuelle Unterschiede bestehen, wie gut Hitzestress vertragen wird. Unterschieden werden milder, mäßiger und starker Hitzestress bis hin zur Gefahr von Todesfällen. Bei mildem Hitzestress suchen die Tiere Schattenplätze auf, zeigen eine erhöhte Atmungsrate und erweiterte Blutgefäße. In der nächsten Kategorie „mäßiger Hitzestress“ zeigen die Tiere zusätzlich eine erhöhte Herzfrequenz und erhöhte Speichelproduktion, sie nehmen mehr Wasser auf und weniger Futter bei rückläufiger Milchproduktion. Bei starkem Hitzestress merkt man den Tieren ein deutliches Unwohlsein an.

Foto: Maria Forstreuter-Wick, Landwirtschaftskammer NRW
Wärmestress abhängig vom Tiertyp
Zusätzlich zur Witterung kann das Tier selbst Wärmestress begünstigende Faktoren mitbringen. So sind Typ und Haarkleid, sprich Dichte und Farbe ebenso entscheidend wie Stoffwechselbelastungen durch Übergewicht, Trächtigkeit oder hohe Milchleistungen. Was das Haarkleid betrifft, so sei die Züchtung gefragt, Rinder zu entwickeln, die ein dünnes Sommerhaarkleid haben und den Wechsel von Winter- auf Sommerhaarkleid früher vollziehen als bisher – kurzum Züchtung auf Hitzetoleranz. Auch körperliche Anstrengung oder Aufregung in der Herde begünstigen Wärmestress. Weitere Faktoren sind ein zu knappes Wasserangebot und der Salzgehalt im Futter.
Wie passen sich die Tiere an?
Die Rinder versuchen bei Hitze, ihre Wärmeabgabe zu erhöhen, um eine Hitzebelastung zu vermeiden. Typischerweise stellen sich die Tiere mit ihrer Körperbreitseite gegen den Wind oder suchen windexponierte Stellen auf damit der Luftzug möglichst viel kühlt. Mit beginnender Wärmebelastung suchen die Rinder Schattenbereiche auf. „Wenn diese fehlen, ist das Ganze nicht mehr verhaltensgerecht“, mahnte der Referent. Das Verhalten der Tiere ändert sich auch mit drohender Hitze: erhöhte Wasseraufnahme, Wälzen im Schlamm, verringerte Bewegungsaktivität, weniger Futteraufnahme, kürzeres Wiederkäuen, kürzere Liegedauer, dichtes Beieinanderstehen zum gegenseitigen Beschatten, insbesondere falls Schattenbereiche fehlen.
Die physiologische Anpassung zur Erhöhung der Wärmeabgabe zeigt sich im Schwitzen, im sehr effektiven Wärmehecheln mit Erhöhung der Atemfrequenz, im Speicheln und damit in der Abgabe von Flüssigkeit, in einer Erhöhung der Herzfrequenz und in einer Erweiterung der Blutgefäße. Nach Eintritt der erhöhten Wärmebelastung kann es allerdings ein bis vier Stunden dauern, bis sich ein Anstieg der Atemfrequenz zeigt. Daher sollte bei kritischem THI alle zwei Stunden die Herde kontrolliert werden, so die Empfehlung der AG. „Je größer die thermische Belastung ist, desto schärfer tritt die Aufrechterhaltung der Körperkerntemperatur in Konkurrenz zur Nutzleistung und Gesundheit. Übersteigt die Wärmeaufnahme die Wärmeabgabe, so erhöht sich die Körperkerntemperatur“, erläuterte Prof. Waßmuth.
Hitzestress erkennen
Wärmehecheln lässt sich an den Flankenbewegungen, sprich den Atemzügen pro Minute erkennen. Außerdem werden Sensoren entwickelt, die eines Tages die Info über die Atemfrequenz dem Landwirt aufs Handy schicken können. Je mehr die Atemfrequenz ansteigt, desto eher ist auch Speichelfluss zu sehen sowie Maulatmung bei gestrecktem Nacken und erhobenem Kopf. Wenn dann auch noch die Zunge herausgestreckt wird, besteht bereits Lebensgefahr, so Prof. Waßmuth.
Hitzestress vermeiden
Die Weideflächen müssen für alle Tiere frei zugängliche, ausreichend große Schattenbereiche haben. Dabei wird von den Rindern natürlicher Schatten unter Bäumen gegenüber Schuppen, Netzen oder anderen baulichen Einrichtungen bevorzugt, vermutlich weil die Bäume durch Evaporation Verdunstungskälte erzeugen. Bauliche Schattenmaßnahmen sollten luftig und windexponiert sein. Als Faustzahlen für die Schattenfläche nannte der Referent 4 m²/Kuh, beziehungsweise 1 m²/Kalb.
Da im Schattenbereich vermehrt gekotet und uriniert wird, sollte diese punktuelle Nährstoffbelastung bedacht werden und im Idealfall durch mobile Schattenbereiche ausgeglichen werden. Für stationäre Schattenbauten ist die Baugenehmigungspflicht zu prüfen.
Selbstverständlich sollte eine ad libitum-Wasserversorgung der Tiere gewährleistet sein. Wegen der damit verbundenen Unruhe in der Herde und möglichen Wasseransammlungen sollte die Wasserversorgung nicht im Schattenbereich erfolgen. Wohl aber sollte das Wasserfass an anderer Stelle schattig stehen.
Tritt trotz Schattens und trotz Wasserversorgung Hitzestress auf, dann hilft oft nur noch der kühle Stall, schloss Prof. Waßmuth. Eine Checkliste zur Einschätzung von Hitzestress bei Mutterkühen sei aktuell noch in Arbeit bei der AG Mutterkuh Weidehaltung innerhalb des Netzwerks Fokus Tierwohl.
Sabine Aldenhoff,
LZ Rheinland 22/2022

Foto: Maria Forstreuter-Wick, Landwirtschaftskammer NRW