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Ökolandbau NRW

Wertschöpfungsketten sind Wertschätzungsketten

25.03.2025

Boris Voelkel und Nikolas Bathélmy (v.l.), deren Vorträge Sara Kuschnereit moderierte, war die Allianz von Landwirten, Verbrauchern und Handelsketten ein großes Anliegen. Foto: Sabine von der Decken

Flexibel auf verändernde Umstände reagieren zu können, bedeutet der Begriff Resilienz. Boris Voelkel, Geschäftsführung Voelkel und Einkaufsleiter, zeigte während des 8. Bio-Fachforums in Visselhövede die Bedeutung von Resilienz und Wertschöpfungsketten.

In seinen Ausführungen machte Boris Voelkel einmal mehr deutlich, dass Wertschöpfungsketten gleichbedeutend mit Wertschätzungsketten sind und den Ökolandbau voranbringen. Mit 5 Cent mehr pro kg, so Voelkels Ansatz, hätten Verbraucher ein Instrument, Landwirten ihre Wertschätzung zu vermitteln. „Damit wäre viel geholfen.“ Obwohl international soziale, ökologische, demographische und logistische Krisen und Probleme aktuell Fakt seien, werde trotzdem weitergemacht wie bisher. Im Sinne einer resilienten Gesellschaft sei es sinnvoll, jetzt zu reagieren, so sein Appell.

Extrem ist das neue normal

Soziale Medien verursachen immer schnellere und unkontrollierbarere Bewegungen des Markts. Es sei faszinierend und erschreckend zugleich, die plötzlich ansteigende Nachfrage nach „gehypten“ Produkten zu erleben. Am realen Marktangebot vorbei, unabhängig von Ernte und Ertrag, könnte das Fünf- bis Achtfache verkauft werden. In der Folge führe dieses Phänomen aber zu großen Über- und Untermengen. „Extreme sind die neue Normalität“, so Voelkel. Die klassischen Marktmechanismen taugten nicht mehr, um die extremen Ausschläge abzufangen und so den Ökolandbau voranzubringen. „Damit verspielen wir eine Menge Potenzial des Ökolandbaus.“

Als eine Möglichkeit, die Probleme anzugehen, sieht Boris Voelkel einen Runden Tisch, an dem die gesamte Wertschöpfungskette zusammenkommt. Nur so könne man Schwierigkeiten sichtbarmachen. „Die Branche hat die Chance und Pflicht, sich verantwortungsvoll zu erfinden und eine neue Art von Wirtschaften zu etablieren“, mahnte Voelkel zu der unbedingten Notwendigkeit, ein neues Bewusstsein zu entwickeln.

Ernsthafte Preisbildung

Landwirte bekämen in aller Regel einen zu geringen Preis, um eine sozialökologisch aufbauende Landwirtschaft zu betreiben.  Er lobte aber die Verbände für deren Ernsthaftigkeit beim Thema Mindestpreise. Denn Preisbildung habe nicht ausschließlich mit Vergütung der landwirtschaftlichen Produkte zu tun.  Verbraucherpreise für Voelkelsäfte seien mittlerweile „ziemlich saftig“. So entstehe aus einer 20-Cent-Möhre auch aufgrund der „Kleinteiligkeit“ in der Abfüllung mit alle zwei Stunden wechselnden Produktlinien und alle zwei Tage wechselnden Flaschenformaten im Wendland ein 3-€-Möhrensaft. Solch eine Kleinteiligkeit, die einhergeht mit vielen Rüstzeiten der Maschinen, flössen in die Preisbildung mit ein. Voelkel wünschte sich ein neues Format und kluge Antworten, um aus der Kostenfalle hinauszukommen. Er könne nachvollziehen, wenn Menschen kostenbewusst einkaufen und in den Discounter gehen. „Wir müssen einen Weg finden, stabile Wertschöpfungsketten zu denken und an neuen Preisbildungsmechanismen zu arbeiten,“ forderte er die Branche auf.

Werte- und verständnisvolles Handeln hält er für das Gebot der Stunde und wirtschaftlich für notwendig und clever. Er könne sich im Rahmen eines Gedankenmodells durchaus vorstellen, dass landwirtschaftliche Betriebe statt eines starren Korsetts „ökosoziale Punkte“ sammeln, um ihrer Betriebsindividualität gerecht zu werden. Kunden könnten so beim Einkauf über eine Bezuschlagung eine individuelle Landwirtschaft bezahlen, die sie sich wünschen. Biolandwirt Klaus Engelmann bestätigte als Erzeuger die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Voelkel, in der sich die Preise nicht ausschließlich nach Verfügbarkeit und Angebot richten. „Das ist ein sehr zukunftsweisender Weg“, so Engemann.

Initiative für die und mit den Verbrauchern

Das Vertrauen von Konsumenten und Produzenten war auch Thema von Nikolas Bathélmy, Gründer der Initiative „Du bist hier der Chef“. Die 2016 gegründete Verbraucherbewegung hat es sich zur Aufgabe gemacht, Transparenz von Lebensmitteln, Partizipation und faire Preise zu schaffen.  Bathélmy entwickelte dazu Tools, um Konsumenten in die Produktion und Kreation von Lebensmitteln miteinzubinden. Dabei ginge es um das Miteinander von Landwirtschaft und Gesellschaft. „Bei jeder Tüte Milch im Regal fehlen 8 Cent für den Erzeuger“, machte Bathélmy deutlich. Ausgehend von einem Konsum von 46 l Milch pro Jahr und Verbraucher, entsprächen die Mehrkosten 31 Cent pro Monat, die Konsumenten für die Verbesserung der Biolandwirte ausgeben müssten. „Das ist nicht unmöglich, aber wie kriegt man es hin?“, so die Fragestellung, die Bathélmy zu beantworten versuchte.  Ließe man den Markt ungehindert agieren, erhöhe er trotz relativ gleichbleibender Produzentenpreise die Marktpreise, wie Erfahrungen aus 2022 zeigten. „Weil bei Landwirten davon nur wenig ankam, straften die Konsumenten die Entwicklung mit Verkaufszurückhaltung ab. Eine intransparente Preisbildung schaffe bei Kunden kein Vertrauen!“, so Bathélmy.

Resiliente Wertschöpfungsketten, aufgebaut durch die Bereitschaft aller Akteure zu Veränderungen, funktionierten nur, wenn am Ende die Konsumenten erreicht würden. Mithilfe des von der Verbraucherbewegung entwickelten Produkt-O-Mats kann der Konsument über sechs bis zwölf Fragen über den Preis für das Produkt entscheiden.  Hiermit entscheidet der Verbraucher über Produktqualität, Zusammensetzung der Preise und Verbesserung der Produkte. Es entstehen resiliente Produkte und Kundenbindung durch Mitbestimmung. Auf diesem Wege entstand eine Milch mit dem höchsten Biomilchpreis in ganz Deutschland für den Landwirt.

Es geht um wenige Cent

Auch bei Kartoffeln geht es nur um wenige Cent. Für Produzenten bedeutete das einen Mehrpreis von 23 Cent/kg, bei einem Prokopfverbrauch von 20 kg im Jahr bedeutete die Erhöhung 41 Cent pro kg.  Zur Nachvollziehbarkeit des von „Du bist hier der Chef“ entwickelten Produktpreises geht die Initiative in den Dialog mit Konsumenten aus der Community. „Faire Preise entstehen durch die Entscheidung der Konsumenten“, so Bathélmy. Faire Marktpreise für den Landwirt, Planungssicherheit, faire Partnerschaft, Preistransparenz und Kundenbindung sind die Faktoren, von denen alle Akteure der Wertschöpfungskette profitieren. „Uns treiben Werte und nicht das Geld“, beschrieb er die Methode für eine zukunftsfähige Land- und Ernährungswirtschaft. 

Um dem Kunden Transparenz über die Marge des Handels zu geben, ist auf der Milch der Verbraucherbewegung ein UVP aufgedruckt. Mit ihren Maßnahmen haben sie eine Nische im Markt geschaffen, die aber für eine Markttransformation nicht ausreicht. Ziel sei es, den Handel zu einer fairen Preisgestaltung mit Unterstützung der Konsumenten zu bringen. Alle Arten von Produkten könnten über den Produkt-O-Mat konfiguriert werden, angefangen haben sie mit Monoprodukten, wie Milch und Kartoffeln. Bei den Produkten von „Du bist hier der Chef“ gibt es keine Preisaktionen. Jedes Jahr treffen sie sich zur Einschätzung von Produktion und Preisen mit den Betrieben. So entsteht ein Mittelpreis für die gesamte Saison. Wenn kostendeckendeckende Preise Standard würden, wäre viel gewonnen, so der Gründer von „Du bist hier der Chef“.


Sabine von der Decken, Bremen