Unter dem Motto „Entwicklungen im Ökolandbau – Alles im Blick: Mensch, Tier, Vermarktung“ fand vom 10. bis 11. Dezember im Versuchs- und Bildungszentrum Landwirtschaft (VBZL) Haus Düsse in Bad Sassendorf die 15. Öko-Milchviehtagung statt. Organisiert wurde sie von der Landesvereinigung Ökologischer Landbau NRW und der Landwirtschaftskammer NRW.
Den Einstieg in die Thematik übernahmen Judith Stratbücker und Christoph Drerup von der Öko-Milchviehberatung der Landwirtschaftskammer NRW, die einen Ausblick auf die betriebswirtschaftliche Situation der Biomilchviehbetriebe im Jahr 2030 wagten. Doch zunächst erfolgte ein Rückblick: Die Betriebszweigauswertungen der vergangenen Jahre zeige, dass die jährliche Leistungssteigerung der Ökobetriebe von einer noch stärkeren Kostensteigerung überholt wurde. Das führte dazu, dass in den letzten sechs Jahren keine Vollkostendeckung bei der Biomilcherzeugung erreicht werden konnte – insbesondere in den letzten, von Trockenheit geprägten Jahren.
Einige Entwicklungsperspektiven
Zu diesem Problem wurden sechs Perspektiven und Entwicklungsstrategien mit ihren Vor- und Nachteilen diskutiert. Christoph Drerup betonte dazu, dass jede Strategie stark von der Betriebsleitung und dem Standort abhängig sei.
1. Weiter so: Die Betriebsorganisation soll strukturell und organisatorisch fortgeführt werden, obwohl die Kosten stärker steigen als der Erlös. Dadurch fließt Liquidität aus der Landwirtschaft ab. Wichtig ist das Vertrauen in die Anpassungsfähigkeit des Umfelds. Um erfolgreich zu sein, müssen ausreichende Gewinne zur Deckung der Lebenshaltungskosten und Verbindlichkeiten vorhanden sein. Auch für Hofnachfolger muss die bestehende Organisation passen. Die Tragfähigkeit dieser Perspektive sollte für die eigene Sicherheit geprüft werden.
2. Erlösmaximierung: Die Betriebsorganisation zielt auf die Maximierung der Einzeltierleistung und Milcherlöse ab. Dazu werden zugekaufte Futterkomponenten sowie dazugehörige Fütterungstechnik eingesetzt. Dieser Ansatz erfordert intensiven Informations- und Beratungsaufwand, das notwendige Know-how sowie hohe Umsetzungsbereitschaft von Betriebsleitern und Mitarbeitenden. Regelmäßige Kontrollen der Intensität und passende Einzeltierleistung sind notwendig.
3. Kostenminimierung Weide: Die Betriebsorganisation setzt auf Weidemilch mit einer unkomplizierten, weidefähigen und futtereffizienten Rasse sowie saisonaler Abkalbung. Notwendig sind ausreichende Weideflächen und ausreichend regelmäßige Niederschläge. Erfolgsfaktoren sind die Kompensation geringerer Markerlöse durch niedrigere Kosten je Kuh und spezielles Know-how zur Maximierung der Futteraufnahme. Ziel ist eine hohe Arbeitseffizienz und radikale Kostenminimierung.
4. Betriebliche Diversifizierung (Beispiel kuhgebundene Kälberaufzucht): Die Betriebsorganisation konzentriert sich auf Fleischerzeugung durch Weiterverarbeitung oder hochpreisige Absetzer-Direktvermarktung und verzichtet auf Milchverkauf. Dafür werden Stallkapazität, Know-how und Futterfläche für die Viehaufstockung geschaffen. Erfolgsfaktoren sind, dass die Fleisch-/Absetzervermarktung den Erlösausfall und Mehraufwand deckt oder die Direktvermarktung ein Wertschöpfungspotenzial bietet. Wichtig ist, den Markt genau zu beobachten und zu nutzen.
5. Mehr Milch mit Investition: Die Betriebsorganisation setzt auf Wachstum durch zusätzliche Stallplätze, Futterflächen und Arbeitskapazitäten. Dies erfordert hohe Investitionen und Fremdkapital sowie eine positive Einschätzung der Marktpreise. Erfolgsfaktoren sind die Verfügbarkeit und Preiswürdigkeit der Futterfläche oder eine Futter-Mist-Kooperation sowie die Bereitschaft zum Umgang mit Personal. Investitionsförderungen sollten genutzt und eine realistische Planung mit Fokus auf Liquidität durchgeführt werden. Das Investitionsvolumen muss mit dem Risiko abgeglichen werden.
6. Rückumstellung: Die Betriebsorganisation wechselt zu einer ähnlichen und bekannten Erzeugungsweise, jedoch mit weniger Beschränkungen und Kontrollen. Dies ermöglicht eine weitere Steigerung der Milchleistung bei geringeren Erzeugungskosten. Wichtig ist, dass der Milchabsatz an eine konventionelle Molkerei gewährleistet wird. Rückzahlungen von Bio-Prämien müssen berücksichtigt werden.

Foto: Tessa Alkemper, Landwirtschaftskammer NRW
Was teilen Milch und Alkohol?
Rüdiger Sasse von der Feinbrennerei Sasse brachte eine neue Perspektive in die Diskussion ein. Anstatt Milch wird in seinem Unternehmen Alkohol produziert. Bei genauerer Betrachtung zeigen sich jedoch Parallelen zwischen den Branchen: Die Zahl der Brennereien im Münsterland ist in den letzten Jahrzehnten stark zurückgegangen, was neue Strategien zur Sicherung des Fortbestands erfordert. Die Feinbrennerei Sasse hat dies durch eine Umstrukturierung geschafft und den Schritt von der „anonymen“ Ethanolablieferung zur Herstellung und Vermarktung von Genussprodukten unter einem Markennamen gewagt.
Werbung, insbesondere über soziale Medien, spielt dabei eine entscheidende Rolle, so Sasse. Der Erfolg der Prozessinnovationen im Unternehmen basiert auf einem klaren Schema: Zuerst wird das Produkt verbessert, dann der Kundenstamm und der Verkaufsradius erweitert. Anschließend werden neue Produktkonzepte mit bestehenden Kunden entwickelt und schließlich neue Produkte entworfen und wiederum an neue Kunden gebracht. Ein wichtiger Bestandteil des Betriebskonzepts ist zudem die Zufriedenheit der Mitarbeitenden. Diese soll unter anderem durch einen monatlichen Austausch gesichert werden. An diesem Tag pausiert die Produktion, um gemeinsam mit jedem Mitarbeiter über die Verbesserung der Arbeitsplätze zu diskutieren.
Optimierungspotenziale im Visier
Am Nachmittag fanden auf dem derzeit ausgelagerten Milchviehstall von Haus Düsse Workshops statt. Bei diesen informierten sich die Teilnehmenden über effiziente und intensive Fütterung, Optimierung von Boxen und Laufgängen für Mensch und Tier sowie Arbeitszufriedenheit und -sicherheit durch verbesserte Zusammenarbeit von Mensch und Kuh. Bei allen drei Workshops stand ein reger Austausch zwischen Landwirten und Referenten im Vordergrund.
Andreas Pelzer, Landwirtschaftskammer NRW, demonstrierte die optimale Einstellung der Liegeboxen und das Ablegeverhalten der Tiere anschaulich an der Stalleinrichtung. Richtig eingestellte Liegeboxen vereinfachen deren Pflege für die Landwirte und fördern das Wohlbefinden der Kühe. Die passende Einstellung der Liegeboxen lässt sich auch am Kotverhalten der Tiere erkennen. Das Absetzen von Kot vor dem Ablegen kann ein Anzeichen von Stress sein und auf nicht optimal eingestellte Boxen hindeuten.
Pelzer verwies auch auf die Neubauprojekte auf Haus Düsse. Für den neuen Stall wurden optimierte Liegeboxengrößen eingeplant. Zukünftig wird auch die Technik eine größere Rolle spielen, wie die Separierung von Urin und Kot durch eine Kuhtoilette und das Aufsammeln von Kot durch Roboter im Laufstall.
Proben unter der Lupe
Zum Workshop zur Rationsgestaltung brachten Teilnehmende von ihren Betrieben Rationsproben mit. Diese wurden mit Alfons Baumeister von der Landwirtschaftskammer NRW in Hinblick auf eine optimale Häcksellänge von Gras und Mais, die Bedeutung des Wassergehalts in einer Mischration und die Größenverteilung vom Kraftfutter diskutiert, alles vor dem Ziel, das Selektionsverhalten der Kühe möglichst gering zu halten. Die mitgebrachten Futterproben wurden mithilfe einer Schüttelbox untersucht und mögliche Optimierungen für eine effiziente Fütterung angesprochen.
Bei dem dritten Workshop zeigte Meike Böhm, Tierkommunikatorin, wie eine klare Kommunikation zwischen Mensch und Kuh zur Erhöhung der Arbeitssicherheit aber auch einer Arbeitserleichterung beitragen kann. Es wurde aufgezeigt, dass eine präzise Beschreibung der geplanten Handlungsabläufe sich selbst und dem Tier gegenüber, noch bevor man in Aktion tritt, zu weniger Unfällen führen kann. Dies liegt daran, dass Tiere aufmerksamer auf den Menschen reagieren und die Mitarbeitenden sich ihrer Aufgaben bewusster werden, die einzelnen Arbeitsschritte vorher im Kopf sortieren und gedanklich bei der Sache bleiben. Durch eine klare Kommunikation können stressige, nicht eindeutige Situationen vermieden werden.

Foto: Sebastian Glowacki, Landwirtschaftskammer NRW
Der Mensch im Fokus
Zum Beginn des zweiten Tagungstages stand der Mensch in Mittelpunkt der Diskussion. Das Wohlbefinden der Betriebsleiterin oder des Betriebsleiters ist entscheidend für die Entwicklungsmöglichkeiten und das Wohlergehen des Betriebs. Ein teilnehmender Landwirt verglich seine Zuständigkeiten im Betrieb und Privatleben mit Bällen, die man versucht, in der Luft zu halten. Sind einige Bälle zu groß oder werden es zu viele, gehen einzelne Bälle verloren oder alles bricht zusammen. Zu viele und zu große Baustellen oder Projekte zur selben Zeit können nicht gleichzeitig zum Erfolg führen. In Kleingruppen wurde daher diskutiert, wie man einen Ausgleich schaffen kann, um die eigene Gesundheit zu erhalten.
Nicht zu viele und zu große Bälle gleichzeitig in der Luft zu halten, fand sich auch in der Präsentation von Christoph Bosbach von der Firma Reudink über die Kälberhaltung wieder. Auch in der Entwicklung von Kälbern müssen Veränderungen in kleinen Schritten erfolgen, um diese nicht zu sehr zu stressen. Insbesondere wurde unter den Teilnehmenden über die optimale Milchmenge für die Aufzucht der Kälber diskutiert. Dabei wurde eine Studie zur Entwicklung von Kälbern mit unterschiedlichen Tränkemengen vorgestellt, bei der eine höhere Versorgung mit Milch zu größeren Organen führte und die Entwicklung der Kälber insgesamt förderte.
Potenziale der Kreuzungszucht
Im Anschluss wurde die Thematik der Kreuzungszucht aus einer Milchrasse und einer Fleischrasse von Dr. Sebastian Hoppe, Landwirtschaftskammer NRW, und Jörn Bender, Bioland, vorgestellt. Im Milchviehbetrieb wird nur ein gewisser Anteil der Nachzucht für die Bestandsergänzung benötigt, die anderen Kälber gehen meist in die Mast. Um den Masterfolg zu verbessern, bietet sich die Rassenkreuzung an.
Bei der Belegung der Milchkühe mit Fleischrassebullen legt laut Hoppe der Milchviehbetrieb Wert auf eine leichte Kalbung ohne gesundheitliche Probleme für die Kuh, eine hohe Konzeptionsrate, moderate Kosten und eine gute Vermarktung. Für den aufnehmenden Mäster sind gute Zunahmen, Futtereffizienz, einheitliche und hornlose Gruppen sowie die Schlachtkörperqualität von Bedeutung.
In einem Projekt wurden die Schlachtkörper von einer Limousin-Färse und einer Kreuzungsfärse aus HF x Angus verglichen, beide aus einem Bio-Betrieb. Bender berichtete, dass bei einer längeren Aufzucht der Kreuzungsfärse das Gewicht der Pistole zum Mastende mit einem Minus von 8 % leicht geringer war und die Teilstückgewichte bis zu 30 % kleiner ausfielen. Obwohl die Zuschnitte besser passten und die Fleischqualität durch die Marmorierung höher war, werden diese Aspekte derzeit bei der Schlachttierabrechnung nicht honoriert. Insgesamt wurde diskutiert, dass die Schlachtkörperklassifizierung aktuell das entscheidende Kriterium ist und dass durch Fleischrassekreuzungen und optimierte Aufzuchtverfahren eine gute Klassifizierung angestrebt werden sollte.
Sebastian Glowacki,
Landwirtschaftskammer NRW