
Foto: Jürgen Zimmer, DLR Rheinland-Pfalz
Jutta Kienzle ist Koordinatorin des Arbeitsnetzes zur Weiterentwicklung des Öko-Obstbaus der Fördergemeinschaft ökologischer Obstbau e.V. (FÖKO) und hat das Forschungsprojekt PSSYSTEMBIOOBST mitgeleitet, in dem Bio-Obstbaubetriebe ihre Maßnahmen zur Erhaltung der Pflanzengesundheit offenlegen. Im Interview erklärt Sie, welche überraschenden Ergebnisse das Projekt gezeigt hat, was das für Praxis und Forschung bedeutet und warum sich Transparenz auch im ökologischen Anbau bezahlt macht.
Frau Kienzle, seit 2014 liefern über 30 Bio-Obstbaubetriebe bundesweit jährlich alle Informationen zu ihren Pflanzengesundheitsmaßnahmen. Wie aufwändig ist das für die Betriebe?
Die Daten sind sehr umfassend und reichen von den Aufwandmengen der eingesetzten Präparate über die Spritztermine bis zu indirekten Maßnahmen wie der Entfernung von Laub aus der Anlage. Sehr aufwändig sind die Erfolgsbonituren, für die wir in diesem Projekt einheitliche Vorgaben entwickelt haben. Das alles ist für die Betriebe sehr viel Zusatzarbeit, für die sie derzeit leider keine Aufwandsentschädigung erhalten.
Wie konnten Sie die Betriebe motivieren, mitzumachen?
Alle beteiligten Betriebe sind Mitglieder der FÖKO. Im Verband waren wir uns einig, dass wir die Pflanzengesundheitsmaßnahmen im Bio-Obstbau transparent machen möchten. Wir brauchten das für eine strukturierte Weiterentwicklung intern. Außerdem gab es von außen regelmäßig Vorwürfe im Sinne von: Die Bios spritzen ja auch, sagen das aber nicht. Uns war klar, dass wir die Vorwürfe nur entkräften können, wenn wir offenlegen, was wir in der Praxis tun. Deshalb waren genügend Betriebe bereit, uns zu unterstützen.
Hat sich die Transparenz bisher ausgezahlt?
Vor der Veröffentlichung der ersten Praxisdaten zum Pflanzenschutz hatten wir ein bisschen Angst vor den öffentlichen Reaktionen. Aber dann ist überhaupt nichts passiert. Die Medien haben so gut wie gar nicht darüber berichtet. Aber seitdem wurde der Bio-Obstbau auch nicht mehr von der Presse kritisiert. Denn wir können mit diesen Daten schwarz auf weiß belegen, was wir tun und was wir anders machen als die konventionellen Betriebe. Auch die Politik hat großes Interesse an den Daten. Sie sind eine wichtige Grundlage für eine fachliche Diskussion und politische Entscheidungen. Und nicht zuletzt bringt es auch den ökologischen Obstbau voran. Denn wenn wir uns weiterentwickeln wollen, müssen wir die Realitäten in der Praxis abbilden und kein Bullerbü, das auf Wunschvorstellungen beruht. Das ist die Basis für Verbesserungen.
Gab es Ergebnisse, die Sie als Expertin überrascht haben?
Überrascht hat uns, dass mit schorfwiderstandsfähigen „schowi“-Sorten wie Topaz, die in großem Stil angebaut werden, immer weniger Pflanzenschutzmittel eingespart werden aufgrund zunehmender Resistenzdurchbrüche. Wir führen diese Entwicklung auf fehlende Sortenvielfalt zurück, die das Risiko für Resistenzdurchbrüche erhöht. Interessant war auch, dass eine neu entwickelte indirekte Maßnahme wie das Laubsaugen kaum praktiziert wird, während die Förderung des Laubabbaus durch Vinasse im Herbst ihren Weg in die Praxis gefunden hat. Einige Betriebe arbeiten das Laub inzwischen in den Baumstreifen ein, obwohl es dazu keine wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt. Damit hatten wir nicht gerechnet.
Wie nutzen Sie diese und andere Ergebnisse der Datenanalyse für die Weiterentwicklung?
Diese Erkenntnisse sind für die Weiterentwicklung sehr wertvoll, weil wir jetzt wissen, was auf den Betrieben tatsächlich gemacht wird. Das gilt besonders für die indirekten Maßnahmen, die das Rückgrat der Strategie sind. Konkret ergibt sich daraus zum Beispiel, dass wir jetzt in einem Projekt prüfen wollen, ob das Einarbeiten von Laub wirksam ist. Eine übergeordnete Erkenntnis ist, wie wichtig die Sortenwahl und vor allem Sortenvielfalt für den vorbeugenden Pflanzenschutz sind.
Konnten die beteiligten Betriebe ihr Pflanzenschutzkonzept optimieren?
Für jeden Parameter können wir die jeweils 25 Prozent schlechtesten und besten Anlagen und deren Gesamtstrategie anonymisiert darstellen und die Strategien mit denen des eigenen Betriebs vergleichen. Gerade am Anfang gab es da schon einige Aha-Erlebnisse bei den Betrieben. Welche Schlüsse daraus gezogen werden, ist aber letztlich Sache der Betriebsberatung. Für die Betriebe gibt es im Projekt keinen Zwang, etwas Bestimmtes umzusetzen. Es war nicht unser Ziel, allen Betrieben eine einheitliche Strategie überzustülpen. Wir wollen auch keine festen Strategien, dazu sind die Anbaujahre und die Betriebe viel zu unterschiedlich. Wir wollen aus den Daten lernen und Schwachstellen schnell erkennen. Das Ziel ist letztlich eine dynamische Strategie, bei der Betriebe möglichst gut auf wechselnde Herausforderungen reagieren können.
Wie geht das Projekt weiter?
Das BÖL-Projekt und damit auch die Finanzierung sind ausgelaufen. Wir werden die Daten der Betriebe aber weiter aufnehmen und mit dem entwickelten Tool auswerten. Gegen Ende des Jahres werden Daten aus sieben Anbaujahren verfügbar sein. Mit unseren begrenzten Mitteln ist die weitere Auswertung schwieriger. Leider ist auch die Bio-Obstbau-Beratung stark überlastet und kann uns nur wenig unterstützen. Das ist sehr schade. Denn mit den Daten ließen sich bei intensiverer Auswertung sicherlich noch viel mehr für die Weiterentwicklung der Pflanzengesundheitsstrategie im Öko-Obstbau ableiten.
Das Interview führte Jürgen Beckhoff fürs BÖL